Jana, Sophie Scholl, Gandhi & Corona
Jana aus Kassel. Diese drei Worte können seit dem 21. November unmittelbar Häme, Empörung und Wut auslösen. Zumindest bei denjenigen, die im Netz den Auftritt der 22-jährigen selbsternannten Widerstandskämpferin bei einer Querdenken-Demo in Hannover mitbekommen haben. In ihrem Redebeitrag sprach die junge Frau davon, dass sie sich wie Sophie Scholl fühle, weil sie auch seit Monaten Flugzettel verteile und öffentlich kritisch zu den von der Bundesregierung eingesetzten Corona-Maßnahmen spreche. Der Videomitschnitt zeigt zudem, wie ein junger Mann an sie herantritt, eine Warnweste auszieht und abgibt und verlauten lässt, dass er diese Holocaust-Verharmlosung nicht länger in seiner Funktion als Demo-Ordner mittragen wolle. Sie verlässt darauf empört die Bühne.
Der Shitstorm war vorprogrammiert. Holocaust-Überlebende und Bundespolitiker verurteilen die Relativierung aufs Äußerste, aber vorallem überführen die Gag-Schreiber*innen verschiedener Satire-Formate den Vorfall in den Pop-Mainstream.
Auffällig ist, wie das Handeln der Querdenkerin wiederum relativiert wird: Als „dumm“ und „naiv“ wird sie vielfach bezeichnet. Weil sie weinend abtritt, wird ihr Labilität zugeschrieben. Hier zeigt sich einmal mehr, wie die Sensation dafür sorgen kann, dass die Strukturen und Konsequenzen solcher Vorfälle aus dem Blick geraten, wenn die Handlung nur absurd genug ist. Im Zuge des schnellen Konsums eines weiteren Ausbruchs der „Covidioten“ wird weitestgehend übersehen, dass es ein zweites Video gibt, in dem Jana aus Kassel kurz nach ihrem Abgang zurückkommt, ihren Redebeitrag fortsetzt und beschwört sich nicht einschüchtern zu lassen.
Nachdem sie wiederholt, dass sie sich wie Sophie Scholl fühle, berichtet sie dass sie Psychotherapeutin werden wolle und in der Anti-Corona-Initiative „Studenten stehen auf“ organisiert sei. Dann spricht sie über zehn Minuten lang davon, dass es ihr um Frieden und Gerechtigkeit gehe und dass sie Zuversicht schenken wolle, damit der „Marathon zurück in die Freiheit“ möglich sei. In dem selbstverfassten Gedicht, dass sie daraufhin vorträgt, geht es um die Menschenwürde und die Göttlichkeit in jedem Mitglied der „Menschheitsfamilie“. Sie schwärmt von Naturverbundenheit, spirituellem Wachstum und Persönlichkeitsentwicklung, empfiehlt Yoga, Mantra-Gesänge, Meditation und Umarmungen. Alles das sei gut fürs Immunsystem. Anschließend wird es agitatorisch konkret: Sie leugnet die Corona-Pandemie, spricht stattdessen von einer „Plandemie“ und ruft dazu auf Versammlungen anzumelden, an Autokorsos teilzunehmen und täglich Menschen auf der Straße anzusprechen, um so die Masse zu erreichen. Sie flankiert das Ganze bezeichnenderweise mit dem Ghandi-Zitat „Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.“
Wer also glaubt, die Intervention des jungen Demo-Ordners, die zweifelsohne vorbildlich war, habe sie zum Schweigen gebracht, irrt.
Es geht nicht darum, Jana aus Kassel zur Neo-Nazi zu erklären. Es geht nicht mal um Jana aus Kassel. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, wie einerseits revisionistische Vereinnahmungen etwa von antifaschistischen Widerstandskämpfer*innen als offensichtliche rechte Strategie derartig normalisiert werden konnte, dass selbst Leute, die nicht explizit im rechten Spektrum organisiert sind, zu deren Sympathisant*innen werden, eben weil sie durch das Aufgreifen dieser Strategien aus dem rechten Spektrum Anerkennung bekommen. Und andererseits und darüber hinaus braucht es nicht mal die aufmerksamkeitsheischende Provokation der historischen Umdeutung. Es reicht schon der Bezug auf universelle Werte wie Liebe und Gerechtigkeit. Sprecher der Initiative „Studenten stehen auf“ beginnen ihren Redebeitrag auf einer Kundgebung gegen das Infektionsschutzgesetz in Berlin am 18. November mit dem Sprechchor „Friede Freiheit“. Der Mitschnitt findet sich auf einem Youtube-Kanal, dass das Infektionsschutzgesetz revisionistisch als Ermächtigungsgesetz bezeichnet. Die Brücke ist geschlagen. Das Feld für wechselseitigen Zuspruch bestellt.
Wenn Jana aus Kassel sich wirklich von Sophie Scholl inspiriert fühlt, sollte sie auch von ihr lernen. Sophie Scholl hat nämlich nicht quer- sondern umgedacht. Nachdem ihr klar wurde, welche Gräueltaten sie durch ihre Mitgliedschaft beim Bund Deutscher Mädel indirekt unterstützt, hat sie den weiblichen Ableger der Hitlerjugend wieder verlassen. Nun will ich nicht denselben Fehler wie die Querdenken-Bewegung machen und eben diese mit der NSDAP oder ihrer Gefolgschaft vergleichen. Aber es ist zunehmend offensichtlich, dass sich diese Bewegung zum Rattenfänger des rechtens Spektrum macht und die ideologische Beute unmittelbar in den Vorratsschrank der AfD, Identitären Bewegung, Reichsbürger und anderen Organisationen von Rechtskonservativen bis Rechtsextremen führt.
All die Umkehrungen, Verschwörungserzählungen und Revisonismen, die die Schnittmenge der Corona-Leugner*innen mit dem rechten Spektrum ausmachen, dienen zuallererst den Plattitüden der Veruneindeutigung, welche das Rohmaterial für rechte Propaganda sind.