Fahrzeug-Attacken: Bundesregierung leugnet die Gefahren
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„Auto rammt Tor vom Kanzleramt“, hieß es am Mittwoch in den Agenturen. Offenbar hatte ein Mann versucht, mit seinem PKW die Barrieren vor dem Kanzleramt zu durchbrechen. Der Versuch scheiterte zwar, doch führt der Vorfall wieder einmal vor Augen, dass Fahrzeuge immer öfter auch zu Tatwerkzeuge bei Anschlägen werden. Wobei es sich hier keinesfalls nur um islamistische Attentäter handelt. Oft sitzen Rechte hinter dem Steuer. Wie am 17. Oktober 2020 in Schleswig-Holstein, als ein Geländewagen von AfD-Anhängern in eine Gruppe fuhr, die an einer antifaschistischen Demonstration teilnahm. Dabei sollen mindestens drei Personen verletzt worden sein. Oder der AfD-Funktionär, der 2019 in Köln in eine Gruppe von linken Gegendemonstranten fuhr. Oder im April 2017 in Cottbus, als ein 20jähriger Mann aus Sachsen sein Auto beschleunigte und eine ägyptische Frau so schwer verletzte, dass sie wenige Tage später verstarb. Zeugen berichteten davon, dass der Beifahrer des Täters sich unmittelbar nach der Tat noch rassistisch über das Opfer geäußert hatte.
Bundesinnenministerium wiegelt ab
Vor diesem Hintergrund wollte die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Martina Renner, in einer Kleinen Anfrage wissen, wie die Bundesregierung die aktuelle Gefährdungslage durch „Fahrzeug-Attacken" von Rechtsextremisten, Neonazis, Rassisten oder Personen aus dem Umfeld der extrem rechten Szene beurteilt. Renner zählte mindestens 13 Fahrzeugattacken von Neonazis mit sechs Todesopfern. Doch das zuständige Bundesinnenministerium wiegelt ab: Demnach stellen Fahrzeug-Attacken für den „Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität -rechts- grundsätzlich keinen üblichen Modus Operandi dar. Insofern ist grundsätzlich und nach heutigem Kenntnisstand von keiner erhöhten Gefährdungslage durch Fahrzeug-Attacken von Rechtsextremisten, Neonazis, Rassisten oder Personen aus dem Umfeld der extrem rechten Szene für die Bevölkerung auszugehen“, wie es in der Antwort der Ministeriums heißt, die "Links bewegt" vorliegt.
Dabei muss die Bundesregierung einräumen, dass sie keinen Überblick über das tatsächlich Ausmaß der Attacken hat: „Für Straftaten in diesem Zusammenhang bzw. mit dieser konkreten Motivlage existiert weder eine bundesweite Begrifflichkeit noch ein recherchefähiger Katalogwert in der BKA-Fallzahlendatei LAPOS.“
Renner: Bundesregierung ignoriert Bedrohung
Bereits 2018 hatte Renner, die auch im Innenauschuss sitzt, eine ähnlich Anfrage gestellt. Damals hatte man der Linkspolitikerin zugesagt, eine »bundesweit gültige Katalogwerte für Tatmittel (u. a. Fahrzeuge) zum 1. Januar 2019 einzuführen«. Doch passiert ist offenbar nichts. Das Bundesinnenministerium setzt offenbar andere Prioritäten. Für Martina Renner ist das ein Skandal: „Nach wie vor ignoriert die Bundesregierung, dass Fahrzeugattacken durchaus zum Aktionsspektrum von Neonazis und Rassisten gehören. Auch scheinen solche Angriffe entgegen früherer Ankündigung nicht richtig dokumentiert zu werden. Eine Bedrohung, die weder richtig verstanden noch richtig erfasst wird, bleibt dauerhaft gefährlich.“