US-Präsidentenwahlen

„Der wichtigste Kampf beginnt am Tag nach der Wahl"

Ihn loszuwerden ist gar nicht so einfach.

Auch wenn im Wahlkampf der USA vor allem von Demokraten und Republikaner zu hören ist, so gibt es dort auch linke, sozialistische Organisationen, die sich aktiv einbringen, wie die Demokratischen Sozialisten Amerikas, die in der letzten Zeit enorm Zulauf bekommen haben. So sitzt mit Alexandria Ocasio-Cortez ein prominentes Mitglieder der DSA im Repräsentantenhaus. Julia Wiedemann hat für „Links bewegt“ mit David Duhalde, dem Vizevorsitzenden des Democratic Socialists of America Fund, gesprochen.

Hallo David, bevor wir auf die Wahlen eingehen, kannst du uns zunächst etwas mehr über die DSA erzählen, und was ihr macht?

Ich denke, es ist wichtig zu verstehen, dass die DSA keine politische Partei ist. In Deutschland, wie in vielen anderen Demokratien, gibt es Verhältniswahlrecht und mehrere Parteien. Personen können über eine Liste gewählt werden. In den Vereinigten Staaten haben wir ein Zweiparteiensystem und Kandidaten benötigen nur die Mehrheit der Stimmen, um zu gewinnen. Deshalb haben wir ein System mit zwei politischen Kräften, zwei Parteien, die eigentlich aber Koalitionen sind. Jede von ihnen vereinigt eine große Bandbreite an Positionen. Die Demokraten in den Vereinigten Staaten entsprechen der SPD und der Partei DIE LINKE in Deutschland. Und wir haben den sogenannten Freedom Caucus bei den Republikanern, deren Postion ähnlich ist wie der der FDP, während andere Republikaner eher mit der CDU vergleichbar sind. Und es gibt die besonders reaktionären Republikaner, die mehr der AfD in Deutschland entsprechen.

Wir als DSA versuchen, unsere Ideen in den politischen Prozess einzubringen, indem wir Einfluss auf den Wahlprozess nehmen und Kampagnen zu bestimmten Themen initiieren, innerhalb und außerhalb des Parteienraums.

An welchen Themen arbeitet ihr, und wie organisiert ihr eure Arbeit?

Die DSA hat 70.000 Mitglieder und ist in mehreren hundert Gruppen landesweit in Städten und Gemeinden organisiert, sowie in etwa 120 Student*innengruppen. Diese Gruppen unternehmen verschiedene eigene Aktivitäten oder sind in der Arbeiter*innenbewegung organisiert, die hier sehr klein ist. Es gibt DSA-Gruppen, die Streiks und Arbeiter*innen unterstützen oder politische Bildung organisieren. Wir setzen uns zudem dafür ein, Kandidat*innen für den Kongress zu stärken. Wir unterstützen Kandidat*innen der DSA, indem wir mobilisieren über Anrufe, Haustürgespräche und direkte Gespräche mit Wähler*innen. Das tun wir auch gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Demokraten.

Wie einflussreich seid ihr?

Der Einfluss der DSA nimmt zu, vor allem in Großstädten wie New York oder Chicago. So gibt es inzwischen sechs DSA-Mitglieder unter den 51 Mitgliedern des Stadtrats in Chicago. Und im Parlament des Bundesstaates New York gibt es unter den 90 Abgeordneten sechs von der DSA. Und die DSA wächst weiter. Als ich vor 15 Jahren eingetreten bin, hatte sie etwa 5.000 Mitglieder und verharrte eine Weile auf dem Niveau. Aber die Dinge veränderten sich deutlich, als Bernie Sanders 2016 für die Präsidentschaftswahl kandidierte, denn viele Menschen wurden politisiert durch den Sieg von Trump. Sie sahen, wie demokratische Normen zerstört wurden. Und so kamen viele von ihnen auch zur DSA.

Ihr arbeitet auch mit anderen Bewegungen zusammen und versucht, Kämpfe zu verbinden?

Wir können über Medicare for All [Anm. d. Red.: allg. Krankenversicherung für alle] als Beispiel sprechen. Die Medicare-for-All-Kampagne bringt die DSA, andere Nichtregierungsorganisationen und die Gewerkschaften zusammen. Zu den Aktivitäten gehört etwa Lobbyarbeit auf nationaler Ebene, denn so eine Krankenversicherung lässt sich nicht allein auf Ebene eines Bundesstaates einführen, dafür ist es zu teuer. Also versucht man Demokraten zu überzeugen, das Gesetz zu unterstützen. Aber ebenso wird bei lokalen Vertretern dafür geworben, dass sie Resolutionen verabschieden, denn das kann einen wichtigen symbolischen Effekt haben. Zu der Kampagne gehört auch, mit Wähler*innen zu reden und aufzuklären.

Und weil die Gewerkschaftsbewegung hier sehr klein ist, nur etwa jeder zehnte Arbeitnehmer ist Gewerkschaftsmitglied. Wobei die Mehrheit von ihnen im öffentlichen Sektor beschäftigt ist. Das heißt, im privaten Sektor sind 95 Prozent der Beschäftigten in keiner Gewerkschaft und kennen möglicherweise niemanden in der Gewerkschaft. Hier spielt die DSA eine große Rolle, dabei zu helfen, diese Menschen aufzuklären, darüber zu informieren, was Gewerkschaften machen, wozu sie gut sind und wie man eine gründet.

Ihr seid auch dabei, die Post vor Trumps Zugriff zu retten. Warum?

Wir arbeiten mit den Postgewerkschaften und anderen in einer öffentlichen Aufklärungskampagne zusammen. Trump will den Postbereich privatisieren. Zum Teil, weil er damit die Chancen der Demokraten in der Briefwahl verringern will. Denn er denkt, das könnte ihm schaden und hat damit wahrscheinlich sogar recht. Denn je mehr Menschen wählen gehen, um so schlechter wird das Ergebnis für die Republikaner. Aber die Privatisierung der Post ist auch ein Angriff auf Schwarze, weil die Post viele AfroAmerikaner beschäftigt, die so eine Chance auf Aufstieg in die Mittelschicht bekommen haben, da sie sichere Jobs bietet. Das ist also ein Angriff auf öffentliche Güter, auf Schwarze und auf die Demokratie.

Lass uns über die kommenden Wahlen sprechen. Welche Rolle spielt die DSA dabei?

Die DSA unterstützt Joe Biden nicht. Wir haben uns als Organisation entschieden, nur Kandidaten direkt zu unterstützen, die sich als Sozialisten verstehen. Aber trotzdem gibt es genug zu tun. Wir wollen Trump besiegen. Viele unserer Mitglieder leben in den sogenannten Swing-States, sie beteiligen sich vor Ort an der Wählermobilisierung. Wir arbeiten dabei mit anderen progressiven Organisationen, um Kandidat*innen in den Swing-States zu unterstützen*, um Menschen zum Wählen zu bewegen und dafür, nicht für Trump zu stimmen. Und wir unterstützen unsere eigenen lokalen Kandidat*innen, denn die Leute wählen die Wahlliste von oben runter. Wenn wir sie dazu bringen, in Philadelphia für einen DSA-Kandidaten zu stimmen, werden sie auch für Joe Biden stimmen. *[Anm. Zusammen mit der Präsidentschaftswahl finden die Wahlen für das Repräsentantenhaus sowie etliche Wahlen für die Parlamente der Bundesstaaten statt.]

Ihr habt Bernie Sanders unterstützt. Wie viel Einfluss hatte seine Kampagne auf die Wahlkampagne von Biden?

Auf diese Frage kann ich verschiedene Antworten geben. Vor der Kampagne von Bernie Sanders, also der von 2016 bis zur Kampagne 2020, waren Bernie und die DSA sehr marginal. Die Menschen hatten keine Ahnung von Medicare for All, sie sprachen außerhalb der Linken und akademischen Gewerkschaftsorganisationen nicht von Ungleichheit. Aber Dinge haben sich verändert. Schon die Occupy Bewegung von 2011 hat Veränderung bewirkt. Das Versprechen des Neoliberalismus, wenn wir nur alles privatisieren, wird jeder reicher werden, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Der wurde der Mittelschicht allmählich klar, dass das nicht passieren wird.

Du hast also diesen Kandidaten, der für das Präsidentenamt kandidiert, der unglaublich prinzipienfest ist, der über diese jungen Menschen redet, die so viel Geld für ihre Ausbildung ausgeben müssen, der über das ungerechte Gesundheitssystem spricht, über die Ungleichheit, darüber, dass die Reicher immer reicher werden, aber die Mittelschicht nicht. Du hast also diesen Kandidaten, der diese großartige Energie mitbringt, und der wirklich auch von Wut über das System spricht. Und im Gegensatz zu Hillary Clinton, deren Kampagnenslogan war „I‘m with her“ [„Ich bin bei ihr.“], sagte Bernie „Nicht ich, wir!“. Das bedeutet: „Die Menschen verändern, ihr werdet mir helfen.“ Und das ist ein großer Unterschied. Bernie hat Menschen inspiriert, sich selbst zu engagieren, und selbst für ihre lokalen Gemeinden anzutreten. Du kannst die Welt nicht über Nacht verändern, aber so fängst du an und so baust du eine Wählerbasis und Kandidaten auf.

Aber zur Biden-Kampagne selbst. Biden ist ideologisch nicht bei Bernie. Und ich denke nicht, dass er hier Zugeständnisse machen wird. Aber ich denke, er hat den Klassenbezug in seiner Rhetorik verstärkt, weil er gesehen hat, dass es funktioniert. Das war gut zu sehen, und vielleicht war das ein Stückchen von Bernie. Aber ganz praktisch betrachtet: Er verfolgt keine sehr progressive Agenda.

Aber ich denke, dass Bernie Biden wählen will, denn Trump repräsentiert - ich mag es normalerweise nicht, das Wort faschistisch zu verwenden -, aber er repräsentiert wirklich eine wachsende faschistische Tendenz unter den Republikanern in diesem Land, die sehr beängstigend ist. Trump zu verhindern, das ist jetzt Priorität Nummer eins, und dann können wir uns mit anderen Themen befassen.

Die Umfragen sehen Biden weit vorn, aber ist das Rennen wirklich so klar?

Trump hat sehr deutlich gemacht, dass er nicht verlieren kann. Wenn er verliert, wird etwas passieren. Das ist einer der Gründe, warum er Druck gemacht hat, schnell die neue Richterin für den Supreme Court zu bestimmen. Und das sollten eure Leser auch im Hinterkopf haben: George Bush hat 2000 die Wahlen wegen des Obersten Gerichtshofs gewonnen. Es war eine knappe Entscheidung mit 5 zu 4 Stimmen. Das heißt die Richter im Gerichtshof waren letztlich diejenigen, die für alle gewählt haben. Die DSA und andere Organisationen müssen Menschen ermutigen, selbst wählen zu gehen.

Ich denke, in einer freien und fairen Wahl würde Joe Biden auf keinen Fall verlieren. Die Umfragen stehen sehr zu seinen Gunsten. Ich denke, die Menschen sind nicht mehr an Trumps Seite. Es kommt also wirklich darauf an: Der wichtigste Kampf beginnt am 4. November, dem Tag nach der Wahl. Ich kann es nicht genug betonen, wenn am Ende der Oberste Gerichtshof entscheidet, müssen wir sicherstellen, dass die Richter viele Menschen sehen. Wenn sie die Unterstützung sehen, werden sie sich entscheiden müssen, auf welcher Seite der Geschichte sie stehen wollen. Also, ich bin sehr nervös. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich es nicht wäre.

Vielen Dank David, wir werden gespannt auf den Wahltag schauen, und drücken euch die Daumen!