Wohnkostenlücke verstärkt Armut im Bürgergeld

Vor Kurzem hatte ich erneut eines von meinen vielen Gesprächen über Bürgergeldberechtigte, die scheinbar alles bezahlt bekämen. Dieses Gespräch fand mit einer älteren Dame statt, die auch kein Verständnis dafür aufbrachte, dass ich über Armut, Soziales und über das Bürgergeld schreibe. Ihre bereits verfestigte Meinung stand fest: Wenn die Kinder arm sind, sind die Eltern arm. Dem stimmte ich zu. Dann fuhr sie jedoch weiter. Die Eltern seien in der Regel arm, weil sie meistens das Geld in Alkohol oder Zigaretten und nicht für ihre Kinder verprassten. Dem stimmte ich natürlich nicht zu.

Stattdessen erläuterte ich ihr, dass ich genau über diesen Irrglauben schreibe und es darüber mehr als genug Studien gäbe und ich aus eigener Erfahrung sagen kann, dass dies ebenso nicht stimme. Sie brachte kein Verständnis auf, dass ich und viele andere über Armut und deren Folgen schreibe. Was gäbe es dazu evaluieren, war ihr Resümee. Wer arbeiten will, findet eine Arbeit.

Nun muss man bedenken, dass die Dame in einer Zeit aufgewachsen ist, in der ein beruflicher Aufstieg um einiges einfacher war und ihr Mann, samt des Geldes, den Aufstieg nach Hause brachte. Davon lebt sie heute. Ich beendete das Gespräch. Sie fing von jedoch vorne an. Meine Latte Macchiato hatte ich inzwischen ausgetrunken. Und überhaupt bekämen die „Hartzer“ ja alles bezahlt. Auch dem widersprach ich vehement.

Wohnkostenlücke im Bürgergeld

Just die Tage kam die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag zur Wohnkostenlücke 2023. Eigentlich werden die Miete und die Heizkosten, sofern sie angemessen sind, vom Jobcenter übernommen. Das ist regional unterschiedlich. Ist die Wohnung zu groß oder zu teuer, werden die Mieter: innen vom Jobcenter aufgefordert, innerhalb einer bestimmten Zeit, eine billigere Bleibe zu suchen oder ein Zimmer unterzuvermieten.

Wer das nicht schafft, muss ausziehen. Auf Antrag werden diese Kosten zwar übernommen – der Druck, eine günstige Wohnung zu finden, bleibt jedoch. Wer Bürgergeld bezieht, hat es in der Regel nochmals doppelt schwerer. Hier schlagen die Vorurteile restriktiv zu, da viele Vermieter:innen Angst haben, ihre Miete nicht zu erhalten. Die Anfrage ergab, dass durchschnittlich jeden Monat 103 Euro aus dem eigenen Geldbeutel zur Miete selbst finanziert werden mussten. Dieses Geld fehlt dann für Lebensmittel, Gesundheit, Kleidung oder anderes.

Wer wohnt, heizt auch. Zu den Heizkosten mussten im Schnitt 55 Euro selbst zugezahlt werden. Nun ist das so eine Sache mit den günstigen Wohnungen – es gibt einfach immer weniger davon. Dies zeigt sich auch bei der Zuzahlungshöhe. So mussten in Rheinland-Pfalz rund 17 Prozent, in Baden-Württemberg 15 Prozent, in Saarland 14,5 Prozent und in Niedersachsen 14 Prozent der Bürgergeld-Haushalte einen Teil ihrer Wohnkosten selbst zahlen. Am wenigsten draufzahlen mussten sie in Bremen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, wo es noch ein wenig mehr bezahlbaren Wohnraum gibt. In Berlin lag die Zuzahlung im Schnitt bei knapp 160 Euro.

Nochmals zurück zur älteren Dame und zu unserem Gespräch und den verarmten Eltern, die ja das Geld für Alkohol und Zigaretten verprassen. Wer mit mindestens einem Kind unter sechs Jahren im Haushalt lebte, zahlt 128 Euro drauf. 12 Prozent der Haushalte mit mehreren Kindern mussten durchschnittlich rund 124 Euro im Monat vom Bürgergeld selbst finanzieren. Und bei den Alleinerziehenden waren es 13 Prozent, die rund 115 Euro aus dem eigenen Geldbeutel finanzieren mussten. Ein Singlehaushalt lag durchschnittlich bei rund 87 Euro im Monat. Davon waren 12 Prozent betroffen.

Die Wohnkostenlücke steigt Jahr für Jahr an. 2022 musste einen Teil der damaligen Hartz-IV-Empfänger:innen durchschnittlich 94 Euro selbst bezahlen. Nun sind es durchschnittlich knapp zehn Euro mehr. Zwar stieg das Bürgergeld, die Mieten steigen aber auch und der bezahlbare Wohnraum wird immer knapper. Und es ist eben nicht so, dass im Bürgergeld alles bezahlt wird.

Das Bürgergeld ist kein Schlaraffenland. Es ist kein soziales Netz mit doppeltem Boden. Vielmehr ist es ein Spießrutenlauf, gespickt mit Hürden, Scham, Angst und Ressentiments, die sich quasi in Luft auflösen, wenn die Fakten aufgezeigt werden. Die Dame treffe ich immer wieder mal – seit unserem letzten Gespräch grüßt sie mich nicht und würdigt mich keines Blickes mehr. Vielleicht schenke ich ihr die nächste größere Publikation über Kinderarmut im Herbst von mir. Ich gehe mal in mich.