Erneuerung nach dem Wahlschock

Das politische Bewirtschaften von Transformationsängsten, die Hetze gegen Arme, Erwerbslose und Geflüchtete sowie eine nationalistische Retro-Perspektive haben allen Parteien rechts der Mitte Zugewinne beschert. Verluste mussten hingegen alle Parteien links von der Mitte hinnehmen. Ernüchternd wirkt das Ergebnis der AfD, die trotz gesellschaftlichem Gegenwind und einem von Skandalen durchzogenen Wahlkampf insgesamt zweitstärkste und in den ostdeutschen Bundesländern stärkste Partei wurde. Ihre Wähler wissen, was sie tun. 82 Prozent der AfD-Wähler sagen, dass ihnen egal ist, dass die Partei als gesichert rechtsextrem gilt, wenn sie nur die richtigen Themen anspricht. 71 Prozent der AfD-Wähler geben an, diese Partei wegen ihrer Positionen zu wählen. Niemand soll mehr behaupten, dass es sich bei den AfD-Wählern um Protestwähler handelt, die für linke Politik zurückzugewinnen sind.

Teilweise an die AfD anknüpfende Positionen von CDU/CSU und BSW vermochten den Wahlerfolg der AfD nicht zu schmälern, sondern tragen durch eine „Einmittung“ extrem rechter Positionen eher zu diesem Wahlerfolg bei. Insbesondere durch die Gründung und den ersten Wahlantritt des rechtspopulistischen BSW wurde das gesamte politische Spektrum nochmals nach rechts verschoben. Dabei wurde die Legende, das BSW würde der AfD Stimmen kosten, praktisch widerlegt.

Einen Anteil am Wahlerfolg der AfD darf sich auch die Ampel-Regierung zurechnen lassen. Mit ihrer Regierungspolitik gegen Geflüchtete und Arme sowie dem Verzicht auf eine konsequente, sozial abgefederte Klimapolitik und dem Bruch vieler Wahlversprechen befördert sie Transformationsängste, schürt Unzufriedenheit und setzt keinen Kontrapunkt gegen die Positionen der AfD, sondern legitimiert diese praktisch.

Besonders getroffen: Die Linke

Für Die Linke gab es das Wahlergebnis, das sich schon seit Monaten abzeichnete. Auch sie bekam die Rechtsverschiebung des politischen Spektrums deutlich zu spüren. Etwa 1 Million verlorene Stimmen im Vergleich zur Europawahl 2019, von 5,5 Prozent auf 2,7 Prozent zurückgefallen und nur noch drei Abgeordnete im Europäischen Parlament treffen sie empfindlich. Dass etwa eine halbe Million Stimmen an das BSW abgegeben wurden, schmerzt zusätzlich.

Die Linke ist trotz eines umfangreichen und differenzierten Wahlprogramms, welches von NGOs hoch gewürdigt wurde, mit ihren Kernanliegen soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität, Klimagerechtigkeit und Friedenspolitik nicht durchgedrungen. Ihrer Kampagne mangelte es an konkreten politischen Forderungen. Ihre politische Kommunikation ist nicht auf der Höhe der Zeit. Sie hat zudem versäumt, den Schwerpunkt des Wahlkampfs auf das bevölkerungsreichste Bundesland NRW zu legen. Vor allem aber hat sie die Abspaltung ihres sozialkonservativen Parteiflügels nicht so verarbeitet, wie sie es tun müsste. Ihr Erneuerungsprozess verläuft stockend und ist oft kaum auffindbar.

Ohne Erneuerung geht nichts mehr

Zwar sind seit Oktober 2023 mehr als 6000 Menschen der Linken beigetreten, aber die neuen Mitglieder haben bis heute kaum Einfluss auf die politische Arbeit oder die Entscheidungen. Eine eingeforderte „Erneuerungsquote“ in den Gremien und Vorständen der Partei könnte dies verbessern. Geschehen muss das bald. Im September 2024 stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. In Sachsen und in Brandenburg droht ein Ausscheiden aus dem Landtag, wenn jetzt nicht ein klares Zeichen gesetzt wird.

Überhaupt braucht die Partei einen radikal demokratisierenden und aktivierenden Prozess. Viel zu viele wichtige Entscheidungen werden faktisch von sehr wenigen Funktionsträger*innen getroffen und dann in zentralistischer Manier an die Gremien und die Parteibasis vermittelt. Aktivierend ist das nicht. Zusätzlich werden viele Debatten gelenkt und behindert. Dabei muss Die Linke einige programmatische Fragen diskutieren und entscheiden, will sie unter den Bedingungen von Klimakatastrophe und zunehmender Umweltzerstörung, von neuen Kriegen, grassierender Armut, Wohnungsnot und Digitalisierung zielführende politische Lösungen anbieten. Dabei soll sie politisch nicht von Transformationsängsten und populistischen Parolen leben, sondern Transformationspfade aufzeigen, die Hoffnungen erwecken.

Zusätzlich geht es im Rahmen einer Erneuerung der Partei um Glaubwürdigkeit nach innen und außen. Parteiintern bedeutet das unter anderem einen solidarischen Umgang, eine offene politische Debatte mit gleichen Möglichkeiten für alle Mitglieder, die Umsetzung von Mitgliederentscheiden und Rotation sowie Mandatszeitbegrenzung. Nach außen muss Die Linke durch direkte Angebote mit und für Menschen vor Ort für diese Menschen den Unterschied zu anderen Parteien machen. Und immer muss sie nach Möglichkeiten suchen, wirkmächtig zu werden, weil Wähler*innen darauf setzen, dass eine Partei etwas für sie verändert.