Aufgaben, die vor uns liegen
- Martin Heinlein
Unter Windungen und Schmerzen hat sich unsere Partei mit den Krisen der Gesellschaft auseinandergesetzt und überfällige Antworten gesucht. Das war notwendig, brachte sie aber an den Rand des Abgrunds. Gegen Widerstand, gegen die üblichen, in dieser Stärke jedoch überraschenden Angriffe von innen und außen musste DIE LINKE auf die Vielfachkrisen reagieren und anders aufstellen. Eigentlich ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Allerdings muss er nun abgeschlossen werden – und wir haben dafür weniger Zeit als wir hofften: Dabei mitzutun, das ist die Bitte an alle solidarischen und sozialen Kräfte: Aus dem kapitalistischen Herz Europas braucht es eine linke Kraft, um dem milliardenschweren Reichtum, der Klimakrise, dem Kampf gegen Rechts und den bewaffneten Auseinandersetzungen weltweit eine starke Stimme entgegenzusetzen.
Hinter die Zeit geworfen wurden wir durch die politischen Folgen der Pandemie genauso wie den imperialistischen Angriffskrieg Russlands. Nicht nur, dass die massiven Krisen jede und jeden von uns persönlich betrafen: Insbesondere ersteres erschwerte politische Entscheidungsfindungen, letzteres machte eine Weiterentwicklung unserer antiimperialistischen Friedenspartei notwendig – zusätzlich zu den Antworten auf den Klimawandel und die notwendige Transformation, die wir finden und durchsetzen mussten, zusätzlich zu den Widersprüchen, die auf uns als sozialistische und dennoch teils regierende Partei im bestehenden System immer lasten.
Dem krassen Rechtsruck der letzten Jahre haben sich auch einige unserer prominenten Mitglieder gebeugt. Sie haben nun die Partei verlassen. Dass aus einem Machtzentrum mit zehn von 39 Abgeordneten ein solcher Angriff vorbereitet wurde, hat uns länger beschäftigt, als es sollte. Linke Kräfte müssten damit besser umgehen können, aber von der Skrupellosigkeit wurde auch ich überrascht, wie mit Alimenten und durch Unterstützung rechter Medien wahrheitswidrig die Partei angegangen wurde. Doch wir hätten das alles wissen können, ja wissen müssen: Sozialistische Parteien haben schon weitaus schlimmeres erlebt. Es stellt sich die Frage, was müssen wir jetzt tun, was wurde bereits getan?
DIE LINKE hat sich bereits als Partei der Menschenrechte und Demokratie aufgestellt, genauso als Partei, die Antworten auf den Klimawandel hat und ihn nicht auf den Rücken der Schwächsten austrägt. Sie ist das Bollwerk gegen Rechts.
Dafür steht sie singulär gegen die Ampel und die Parteien rechts davon. All dies war programmatisch schon vorher gesetzt, wurde aber bislang durch die inzwischen abziehende Prominenz öffentlich hintertrieben. Jetzt erhält die Partei die notwendige klare Kante auch in der Öffentlichkeit zurück.
Die Frage der Außen- und Friedenspolitik ist komplizierter. Die grundsätzlichen Antworten haben wir nach wie vor, der Weg dahin ist jedoch für viele schwer beschreibbar. Diesen Weg müssen und werden wir mit unserem EU-Wahlprogramm vermitteln. Gegen das Europa der Abschottung setzen wir ein solidarisches Europa der Hilfe und des Friedens: Abrüstung und Dialog, friedlicher, und doch vehementer Druck auf die, die die Kriege vorantreiben. Keine Unterstützung der Kriegstreiber, wie sie die Regierenden und die Unternehmen in Deutschlands seit Jahrzehnten tun. Immer aus dem Blick derjenigen, die unter den Kriegen am meisten leiden, weil sie es sind, die an vorderster Front sterben, weil sie es sind, die verschleppt werden: aus dem Blick unserer Klasse. Das ist linke Politik.
Im Bereich Arbeit & Soziales ist das Problem ein anderes. Es ist weniger die politische Klarheit, die wir hier durchaus besitzen, sondern die Notwendigkeit, solidarisch an der Seite der Beschäftigten, Rentner:innen und Erwerbslosen sichtbar und wirksam zu stehen.
Es reicht nicht, Sprachrohr für die Betroffenen zu sein, wir müssen für sie spürbar werden.
Zu lange hat die Partei die Spürbarkeit an die reine Durchsetzung der Forderungen geknüpft. Bei vielen kam es jedoch nicht an, dass wir die Partei des Mindestlohns sind, dass wir die Partei sind, ohne deren jahrzehntelangen Druck es die zu geringen Verbesserungen im Bürgergeld nicht gegeben hätte. Daher müssen wir zwar in den Forderungen hörbar bleiben, aber dürfen bei der Spürbarkeit nicht auf die Umsetzung warten – denn das hieße, mit gesellschaftlichen Mehrheiten zu agieren, die wir gegenwärtig nicht haben –, sondern müssen den Menschen davor schon Hilfe leisten. Wir müssen Solidarität erlebbar werden lassen: Lasst uns – in Anlehnung an die Erfolge der KPÖ+ in Österreich – zur Kümmererpartei werden. Die Idee der solidarischen, direkten Hilfe haben bei linken Parteien jahrhundertelange Tradition. Wir helfen im bestehenden System und wir motivieren alle, sich selbst zu ermächtigen, die Hilfe weiterzugeben und sich bei uns zu engagieren. Wir unterstützen bei Wohngeldanträgen und stehen auf gegen unberechtigte Mieterhöhung, helfen bei den Drangsalierungen des Bürgergeldes, wir loten mit Bündnispartner:innen rechtliche und finanzielle Möglichkeiten aus. Wir organisieren Netzwerke innerhalb der Partei für den Austausch unter Betroffenen. Wir machen gemeinsam den Rücken grade – mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Mieterinitiativen. Solche Ideen gibt es bereits in unserer Partei, wir haben aber zu häufig die rein karitative Seite gezeigt, hatten zu selten die Organisierung derjenigen, für die wir stehen, mitbedacht. Das müssen wir ändern. Unsere inhaltliche Ausrichtung müssen wir leben, indem wir helfen.
Weiters dürfen wir nicht darauf vertrauen, dass andere unsere Inhalte kommunizieren. Wir müssen sie selbst kommunizieren.
Wir müssen den Kampf um die Gerechtigkeit organisieren.
Der Kürzungsplan der Ampel ist der Horror, er ist menschengemacht, er ist veränderbar: Wir können umsteuern. Das müssen wir den Menschen nahebringen, indem wir rausgehen, auf die Straße, mit ihnen ins Gespräch gehen. Wir ersetzen Medienmacht durch Sichtbarkeit vor Ort. Und wir organisieren die Menschen, die sich für unsere Themen interessieren. Wir organisieren die Gesundheitsarbeiter:innen, die Mieter:innen, die Geflüchtetenhelfer:innen: Wir organisieren den Austausch und den weiteren gemeinsamen Kampf – in unserer Partei.
Das ist die entscheidende Aufgabe unserer Partei. Die Organisation: Sie ist zugleich unsere Achillesferse. Vor allem in der inneren Kommunikation und der politischen Bildung müssen wir die wenigen Mittel nutzen, die wir haben. Die eigene Basis erhält ihre Informationen über linke Inhalte bislang beinahe ausschließlich über die bürgerliche Öffentlichkeit. Hier war insbesondere die Prominenz hörbar, die die linken Inhalte gar nicht mehr vertraten, die die Öffentlichkeit nur erhielten, weil sie sich im Widerspruch zu uns befanden. Auch das ist eigentlich ein urlinker Kern: sich untereinander zu informieren – einen Gegenpol zur bürgerlichen Öffentlichkeit zu bilden, mit eigenen Infos, eigenen Materialien, eigener politischer Bildung. Wir müssen unsere Kanäle in der Kommunikation ausbauen, um in die eigene Mitgliedschaft und die kritische Öffentlichkeit hineinzuwirken. Das gilt auch für unseren Umgang mit ‚den Neuen‘: Wir dürfen uns nicht wundern, wenn Neumitglieder, die aufgrund ihrer moralischen Vorstellungen völlig zurecht in DIE LINKE eintreten, bald wieder gehen, weil sie die Widersprüche in dieser Gesellschaft und in unserer Partei nicht nachvollziehen können – nicht jeder hat Marx gelesen vor dem Eintritt. Wir werden weiter miteinander streiten: Aber wir müssen verstehen, warum die andere ihren Standpunkt hat und ich meinen, und warum wir insgesamt dennoch den gleichen Klassenstandpunkt haben und für ihn gemeinsam nach außen kämpfen.
Der Kampf ums Überleben wird länger dauern, als so mancher glaubt: Aber es ist nicht nur ein Kampf um die weitere Existenz einer sozialistischen Partei in all ihren Widersprüchen. Es kann angesichts des Erstarkens der Faschisten ein realer Überlebenskampf werden. Es ist der Kampf, ob die Gesellschaft einen sichtbaren Gegenpol bilden kann gegen den bürgerlichen Block des Kapitals und neofaschistischem Hass. Erstere sind nicht widerständig, sondern bekanntermaßen anpassungsfähig, solange das Geld brummt. Letztere töten.
Daher braucht es uns. Die Wahlen sind in diesem System dafür Markierungen: Wir kämpfen um jede Kommune, setzen Bodo einmal mehr der Barbarei entgegen und entwickeln ein anderes, ein solidarisches Europa, gegen Abschottung und Aufrüstung: Dafür steht nicht nur das Europawahlprogramm, dafür stehen auch unsere vom Bundesausschuss nominierten Spitzenkandidat:innen. Eindrucksvoll belegen Schirdewan, Rackete, Demirel und Trabert mit ihrer jahre-, ja jahrzehntelangen Arbeit, mit ihrer Unterschiedlichkeit, wie eine solidarische Gesellschaft aussehen könnte. Und mit denen, mit euch, miteinander brauchen wir die Vision, die Utopie einer besseren Gesellschaft.
Das ist dann auch der letzte Punkt, der nötig ist für den Erfolg. Die Utopie: Dieses Bild einer solidarischen Gesellschaft, in der einander geholfen wird, in der Reichtum und Technik den Menschen helfen, in der die Gegensätze aufgelöst sind. Für sie haben Tausende und Abertausende Sozialist:innen gekämpft, wurden belächelt, entwürdigt und ermordet. Sie erscheint weit weg, wir selbst vergessen sie zeitweise, und doch ist sie es, um die es geht. Die anderen Parteien haben nichts, manche wollen zurück ins letzte Jahrhundert – je nachdem, wie weit rechts sie sind, in die 60er, 50er, gar die 40er. Wir sind zu sehr in Abwehrkämpfe verstrickt, gegen Rechts, gegen Klimawandel, gegen soziale Kälte. Das geht nicht nur der Parteilinken so, das geht allen linken Kräften gegenwärtig so. Dabei verlieren wir den Blick für das Schöne, worum es eigentlich geht: Als einzige Partei wollen wir eine Gesellschaft der Gerechtigkeit, in dieser Welt, mit gleichen Rechten, ohne Hass und Gewalt, ohne Grenzen, ohne Armut. Der Weg, er ist weit. Aber wir gehen ihn gemeinsam, und dabei helfen wir einander.
Packen wir's an.