Skrupellosigkeit à la Nancy Faeser
Innenministerin Faeser will überfallartige Abschiebungen zur Norm machen
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Der am 1. August 2023 vom Bundesministerium des Inneren und für Heimat vorgelegte „Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung“ wird aktuell viel diskutiert. Er soll die Vereinbarungen zwischen dem Bundeskanzler und den Ländern von dem im Mai abgehaltenen „Flüchtlingsgipfel“ umsetzen. Die Vorschläge des Ministeriums gehen jedoch über die getroffenen Vereinbarungen hinaus und würden zu massiven Verschärfungen im Asylbereich führen. Während die Erleichterungen bei der Abschiebung sogenannter „Clan-Angehöriger“ oder die Verlängerung des Abschiebegewahrsams von 10 auf 28 Tage bereits größere mediale und politische Aufmerksamkeit erhielten, wurde eine weitere, folgenschwere Verschärfung bisher beinahe übersehen: die Etablierung von Überraschungsabschiebungen für alle.
Was bedeutet Überraschungsabschiebung und warum wird das so viele Menschen betreffen?
Die geringe Aufmerksamkeit mag darin begründet sein, dass Überraschungsabschiebungen nicht neu sind und bereits jetzt häufig stattfinden. Immerhin darf der Abschiebungstermin laut § 59 AufenthG nicht angekündigt werden und Informationen zu Abschiebungen sind nach § 97a AufenthG geheimhaltungspflichtig. Lediglich für Personen, die bereits mehr als ein Jahr geduldet werden, sieht das Gesetz eine Ausnahme vor. Ihnen muss – sofern sie die Gründe für das Aussetzen ihrer Abschiebung nicht selbst zu vertreten haben – die Abschiebung mindestens 4 Wochen vorher angekündigt werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will diese Ausnahme nun ersatzlos streichen und so Überraschungsabschiebungen zur Norm machen. Ausländerbehörden könnten folglich bestehende Duldungen in einem Zug widerrufen, die Betroffenen festnehmen und abschieben. Auch wenn einige Behörden bereits jetzt Wege gefunden haben, der Ankündigungsverpflichtung auszuweichen, würde diese Änderung massive Verschlechterungen für zahlreiche Menschen bedeuten.
Fadenscheinige Begründung des Diskussionsvorschlags
Begründet wird der Änderungsvorschlag damit, dass ein solche Ankündigung „entbehrlich“ sei und „nur zur zusätzlichen Belastung der Ausländerbehörden“ führe. Außerdem wären Betroffene bereits in der Vergangenheit (zumeist nach Abschluss eines Asylverfahrens) zur Ausreise aufgefordert und ihnen andernfalls eine Abschiebung angedroht worden. Sie müssten daher jederzeit mit einer Abschiebung rechnen. Über die enorme „Belastung“, welche Überraschungsabschiebungen für Betroffene darstellen, verliert der Diskussionsentwurf kein Wort.
Realität für Betroffene sieht ganz anders aus!
Mit dieser Begründung verkennt Faeser jedoch die Realität, denn die Ausreiseaufforderungen liegen oft Jahre zurück, da Duldungen aus unterschiedlichen Gründen erteilt werden, die meist über längere Zeit bestehen bleiben. So können bspw. kriegerische oder allgemein bedrohliche Verhältnisse im Herkunftsland oder humanitäre oder gesundheitliche Belange einer Abschiebung entgegenstehen und zu deren Aussetzung – also der Erteilung einer Duldung – führen. Betroffene bleiben zwar weiterhin formell ausreisepflichtig, können dieser Pflicht jedoch nicht nachkommen. Häufig kommt es so zu langjährig geduldeten Aufenthalten durch sogenannte „Kettenduldungen“. Laut Ausländerzentralregister lebten Ende 2022 mehr als 180.000 von den rund 250.000 geduldeten Menschen drei oder mehr Jahre in Deutschland.
Die bisher vorgeschriebene Ankündigung der Abschiebung gibt diesen Menschen zumindest eine gewisse Sicherheit, dass sie nicht abgeschoben werden, solange ihre Duldung gültig ist. Darüber hinaus soll sie ihnen ermöglichen, ihre persönlichen Angelegenheiten, wie die Kündigung und Auflösung der Wohnung, Abmeldung der Kinder von der Schule oder Verabschiedung von Freund:innen und Verwandten, vor der Abschiebung zu regeln. Auch bietet die Ankündigung Gelegenheit zu prüfen, ob sich die Situation nun so verändert hat, dass eine selbstständige Ausreise möglich wäre und somit negative Konsequenzen einer Abschiebung, wie Wiedereinreiseverbote und Inhaftierungen, umgangen werden können. Durch eine aufenthaltsrechtliche Beratung können auch Punkte bekannt werden, die zu einer erneuten Duldung oder sogar einem Aufenthaltstitel führen können. Dadurch entfaltet die Ankündigung auch eine rechtsschutzwahrende Wirkung, die nun umgangen werden soll.
Für alle betroffenen Menschen ein Horrorszenario, insbesondere für vulnerable Menschen
Besonders dramatisch ist hierbei, dass der Änderungsvorschlag keinerlei Ausnahmen für besonders vulnerable Personen, wie kranke, alte oder traumatisierte Menschen, vorsieht. Gerade sie würden aber entsprechende Vorlaufzeiten benötigen, um Vorkehrungen für die Reise zu treffen und bspw. Medikamente zu besorgen oder die notwendige Versorgung im Herkunftsland sicherzustellen. Auch für Familien mit Kindern soll es keine eigenen Regelungen geben. Das Kindeswohl, welches nach UN-Kinderrechtekonvention in allen staatlichen Handlungen zu beachten ist, wird dadurch übergangen, denn unangekündigte Abschiebungen stellen insbesondere für Kinder eine geradezu traumatische Gewalterfahrung dar.
Erst zu Beginn dieses Jahres trat das Chancenaufenthaltsrecht in Kraft, welches langjährig geduldeten Personen eine feste Bleibeperspektive ermöglichen soll. Mit dem aktuellen Vorstoß agiert die Bundesregierung nun quer zu ihren eigenen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag und dem angekündigten Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik. Vielmehr versucht sie Maßnahmen einzuführen, von denen selbst Horst Seehofer nur träumte. Menschen, die sich über Jahre ein Leben in Deutschland aufgebaut haben, sollen in ständiger Angst leben müssen, dass sie plötzlich, mitten in der Nacht aus dem Bett geworfen und zur Abschiebung geholt werden. Das ist in rechtsstaatlicher Hinsicht völlig unverhältnismäßig und inakzeptabel. Der Vorstoß stellt einen Angriff auf die Menschenwürde und unsere Grundrechte dar.
Was tun als Linke?
Als Linke lehnen wir Abschiebungen ab, sie können nicht Teil einer humanitären Asylpolitik sein. Insbesondere Abschiebungen in Kriegsgebiete und existenzielle Not wie Obdachlosigkeit, mangelhafte medizinische Versorgung und Diskriminierung dürfen wir nicht hinnehmen. Was für uns als Linke klar sein muss: Unsere Solidarität darf an keiner Grenze haltmachen. Wenn wir die Unterdrückungs- und Entrechtungsverhältnisse für Menschen beenden wollen, brauchen wir internationale Solidarität. Die Grenzen, die wir überwinden müssen, verlaufen nicht zwischen: wer wo geboren wurde, sondern zwischen oben und unten. Gegen diese ungerechte Weltordnung ist nicht nationaler Burgfrieden das Mittel, sondern solidarischer Internationalismus. Menschen, die fliehen, sind häufig auch im Herkunftsland schon prekarisiert oder verfolgt, weil sie sich bspw. für Demokratie oder Arbeiter:innen- und Menschenrechte einsetzen.
Die massive Einschränkung von Rechten geflüchteter Menschen ist nur ein Baustein entrechtender und immer totalitärer werdenden Gesellschaften in der EU. Die verschiedenen Formen der Entrechtung müssen nicht nur zusammen gedacht werden, gegen sie muss auch gemeinsam, im Sinne verbindender Klassenpolitik, mobilisiert werden.