Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?

Die – sperriger, aber vollständiger Name – Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft des Parteivorstandes der LINKEN hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Kommission wurde 2017 eingesetzt, um Entscheidungsgrundlagen für Positionen der Partei zum Verhältnis von Staat und Religions- sowie Weltanschauungsgemeinschaften und der Rolle von Religion und Weltanschauung in der Gesellschaft zu formulieren. Der Arbeitsauftrag erging an die Kommission, nachdem sich neue gesellschaftliche Herausforderungen entwickelt hatten und es über Jahre immer wieder zu Debatten auf Parteitagen gekommen war, aber es zu wenig inhaltliche Angebote gab. Das war aber nicht nur ein Problem der LINKEN, sondern hat eine lange Geschichte.

Linke Geschichten

Linke kamen vor 150 Jahren zur Arbeiterbewegung, weil sie sich von der Kirche als Autorität und Machtfaktor emanzipieren wollten. Andere Linke fanden zur Arbeiterbewegung, weil sie ihre christlich geprägten sozialen, ökonomischen, teils politischen Vorstellungen verwirklichen wollten. Sozialdemokraten traten aus der Kirche aus, Pfarrer traten in die Partei ein. Für August Bebel etwa standen sich Christentum und Sozialismus gegenüber wie Feuer und Wasser. https://www.marxists.org/deutsch/archiv/bebel/1874/02/christentum.html Rosa Luxemburg und Franz Mehring dagegen betonten, dass die Sozialdemokratie nicht irgendjemand den Glauben nehmen will oder gegen die Religion kämpft, wohl aber gegen die Religion als Machtmittel der herrschenden Klasse https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_0504.pdf . In der DDR setzten sich diese Widersprüche fort. Anfang der 50er etwa wurde die Jungen Gemeinden verfolgt, Einrichtungen enteignet, Jugend- und Studentenpfarrer inhaftiert und bis zum Ende 1989 führte die Mitgliedschaft in der Kirche regelmäßig dazu, dass junge Leute weder zum Abitur noch zum Studium zugelassen wurden und älteren ein sozialer Aufstieg verwehrt wurde. Dagegen zahlte die DDR wie die alte Bundesrepublik und die neue bis heute aber auch die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen weiter und gab es nur in der DDR und in keinem anderen sozialistischen Land einen Wehrersatzdienst ohne Waffe (Bausoldat), was u. a. auf das Engagement des nach Leipzig berufenen Theologen und Sozialisten Emil Fuchs zurückging. In der alten Bundesrepublik war die Situation anders: Pfarrer*innen riefen zur Wahl der CDU/CSU auf, Militärbischöfe segneten Waffen, andere setzten die Tradition des religiösen Sozialismus oder Pazifismus fort.

Neue Herausforderungen

In den letzten Jahren kamen dazu neue Herausforderungen. In den christlichen Kirchen ist zwar immerhin noch knapp die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland, aber in Ostdeutschland haben die Menschen meist selbst vergessen, dass sie Gott vergessen haben. Das jüdische Leben entwickelte sich seit Anfang der 90er neu, seit dem Terroranschlag auf die Twin Towers 2001 wurde um ein Verständnis des Islam gerungen, der 1993 gegründete Humanistische Verband trägt in mehreren Bundesländern Kindertagesstätten und Schulen, in Berlin zudem Familienzentren und Sozialstationen, Hospize und eine Fachschule für Sozialpädagogik. Migrationsbewegungen verändern die Religions- und Weltanschauungslandschaft. Dagegen mobilisieren Rechtsextreme und Faschisten, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus. Gründe genug, dazu eigene Positionen weiterzuentwickeln.

Die Arbeit der Kommission und weitere Debatten

Die Kommission wurde religiös und weltanschaulich plural zusammengesetzt, wie der Name der Kommission: christliche Theologen, säkulare Philosophen, atheistische Humanisten, eine Muslima und Vertreter*innen aus dem Parteivorstand und der Bundestagsfraktion. Die Arbeit an den insgesamt fünf einzelnen längeren Positionspapieren folgte dann den politischen Ansprüchen der LINKEN. Anfangs wurde sich über das Menschenrecht auf Religionsfreiheit und die Trennung von Staat und Religion verständigt, was die systematische Grundlage wurde. Die Position zur Ablösung der Staatskirchenleistungen wurde parallel zum Gesetzentwurf der LINKEN im Bundestag erarbeitet. Es folgten Thesen zum Sonderarbeitsrecht der Kirchen und zur wachsenden Bedrohung durch Islamfeindlichkeit. Als letztes Positionspapier wurde ein Modell zur gleichberechtigten Finanzierung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften entwickelt.

Alle diese Positionspapiere sind im Abschlussbericht zusammengefasst. Nach einem Beschluss des Parteivorstandes soll der Abschlussbericht den Gliederungen der Partei zugestellt und werden die Landesverbände gebeten, Diskussionsräume für die Diskussion des Berichtes zur Verfügung zu stellen. Dabei sollen thematisch zuständige Arbeitszusammenhänge, Landesarbeitsgemeinschaften und Verantwortliche in den Vorständen und Fraktionen einbezogen werden.

Umgang mit dem Bericht der religionspolitischen Kommission. Beschluss 2022/315 des Parteivorstands vom 17.12.2022, Online: https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand-2022-2024/detail-beschluesse-pv/umgang-mit-dem-bericht-der-religionspolitischen-kommission/

Abschlussbericht Linke Religionspolitik: Staat und Kirche trennen – der Vielfalt von Religionen und säkularen Weltanschauungen Raum geben. Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft des Parteivorstandes der LINKEN; April 2023, Online: https://www.die-linke.de/fileadmin/user_upload/20230417-Bericht_RelPol-Komm.pdf

Alle Positionspapiere und Beschlüsse der Kommission Religionsgemeinschaften, Weltanschauungsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft des Parteivorstandes der LINKEN, Online: https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/kommissionen/kommission-religionsgemeinschaften-weltanschauungsgemeinschaften-staat-und-gesellschaft/

Die Linke und die Religion. Geschichte, Konflikte, Konturen. Hrsg. Cornelia Hildebrandt/Jürgen Klute/Helge Meves/Franz Segbers. VSA Hamburg/Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2019

Download des Buches als .pdf http://www.helgemeves.de/files/2019_VSA_Die_Linke_und_die_Religion_Buch.pdf