Ein absurdes Spektakel
Die Fußball-WM in Katar überschreitet mehrere Rote Linien.
Katar hat sich in den letzten Jahren verstärkt in den Sport und besonders in den Profifußball eingekauft. Als Sponsor bei Bayern München oder beim FC Barcelona. Als Fernsehrechteinhaber der ersten Französischen Fußballliga. Und als Besitzer von FC Paris St. Germain, bei dem seit 2012 über eine Milliarde Euro allein für Ablösesummen und die Schuldentilgung ausgegeben wurden, finanziert auch aus den Einnahmen der Fernsehrechte. Seit 2021 ist Katar eine von bis zu 22 festen Stationen der Formel-1-Weltmeisterschaft und war schon vorher Austragungsort vieler Weltmeisterschaften in anderen Sportarten. Der bisherige Höhepunkt ist die Fußball-WM. Für dieses Sportswashing, die Imagepflege mit prestigeträchtigen Namen, gibt es Gründe.
Katar versteht sich als islamisches Emirat in der Tradition des Wahhabismus. Der Wahhabismus entstand im 18. Jahrhundert und unterscheidet sich von anderen islamischen Lehren durch den Anspruch, als einzige die islamische Lehre authentisch zu vertreten. Auch andere islamische Glaubensauffassungen, die mit dem Wahhabismus danach nicht vereinbar sind, werden von ihnen als „unislamisch“ deklariert. Die Scharia ist Hauptquelle der Gesetzgebung. Neben Katar dominiert der Wahhabismus besonders Saudi-Arabien und die Terrororganisation Islamischer Staat, auch Daesh genannt. In Katar ist Homosexualität verboten und wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft; auch Auspeitschungen und die Todesstrafe sind möglich. Seit der Gründung Katars 1868 und der Unabhängigkeit 1971 herrscht durchgehend die Dynastie al-Thani. Ein Parlament und politische Parteien gibt es nicht. Wahlen gab es in diesem Land erstmals 2021, allerdings nur für zwei Drittel der Mitglieder der Beratenden Versammlung, die auch keine Gesetze beschließen kann. Im Demokratieindex 2020 der britischen Zeitschrift The Economist belegt Katar Platz 126 von 167 Ländern. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen 2022 belegt Katar Platz 119 von 180.
Aber: Katar ist durch Erdöl reich geworden, durch Erdgas superreich. Im Persischen Golf zwischen Katar und Iran liegt das größte bekannte Erdgasfeld der Welt. Für Robert Habeck eine gute Adresse, um Gas zu kaufen, besser jedenfalls als Russland. Und die Oberschicht Katars kann sich alles leisten und alles kaufen. Auch ein gutes Image zur Pflege der Handelsbeziehungen?
Der Mafia nicht unrecht tun
Die Vergabe der WM an das Emirat wurde 2010 erst durch umfangreiche Bestechungen ermöglicht. Zunächst hatte ein FIFA-Fachgutachten Katar als vollkommen ungeeignet für eine WM eingeschätzt. Dazu gab es konkurrierende Bewerbungen aus den USA, Südkorea, Japan und Australien – die WM sollte nicht in Europa stattfinden. Zwei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees wurden vor der Abstimmung mit versteckter Kamera gefilmt, wie sie ihre Stimmen für die WM-Vergabe zum Kauf anboten und wurden gesperrt. Im Mai 2020 brachten New Yorker Enthüllungen ans Licht, dass die entscheidenden Stimmen von drei der verbliebenen FIFA-Funktionäre in der Tat gekauft wurden, um für Katar abzustimmen. Danach wurde 2022 ein Treffen zwischen dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und Michel Platini bekannt. Vor diesem Treffen hatte sich Frankreich für eine WM in den USA und gegen Katar ausgesprochen. Nach dem Treffen unterstützte Frankreich die Kandidatur Katars, nachdem der Kauf von 24 Kampfflugzeugen für 6,3 Milliarden Euro und der Kauf des hochverschuldeten Fußballvereins Paris Saint-Germain durch Katar im darauffolgenden Jahr vereinbart worden war. Von den 22 Wahlmännern bei der Abstimmung 2010 waren 2017 nur noch zwei im FIFA-Amt, heute noch einer.
Ein in die Aufklärungen engagierter amerikanischer Anwalt kommentierte, dass man die FIFA mit der Mafia vergleichen könne, aber eigentlich würde man der Mafia damit Unrecht tun. Sie würde sich nie so plump und gleichzeitig arrogant verhalten wie die Fifa-Funktionäre.
FIFA-Präsident Gianni Infantino eröffnete die WM 2022 mit den Worten „Lassen wir die Show beginnen“. Bis zuletzt hatte er noch die katarische Propagandalüge verbreitet, dass auf den Baustellen lediglich drei Arbeitsmigrant*innen ums Leben gekommen wären.
Arbeitssklaverei
Von den drei Millionen Einwohner*innen Katars sind ca. 90 Prozent Arbeitsmigrant*innen. Ihre Aufenthaltsgenehmigung ist an den Job gekoppelt, weshalb sie weitgehend rechtlos sind. Das Kafala-System verpfichtet jeden ausländischen Arbeiter im Land dazu, sich unter Patronage eines katarischen Garanten oder „Sponsors“ zu stellen. Der sogenannte Kafil bürgt für den Arbeitnehmer und soll ihm eigentlich Schutz und Hilfe bieten. De facto bestimmt er dadurch aber auch, ob und wie lange der Arbeiter im Land bleiben darf. Vielen Arbeitsmigrant*innen wird zu Beginn ihres Aufenthalts der Reisepass abgenommen, häufig werden Gehälter nicht ausgezahlt und die Arbeit auf Baustellen muss unter extremen klimatischen Bedingungen, Temperaturen von 45 Grad sind keine Ausnahme, verrichtet werden. Obwohl Katar schon 2014 behauptete das Kafala Systems abgeschafft zu haben und den Einzug von Reisepässen unter Strafe stellte sieht die Realität meist anders aus. Gewerkschaften gibt es in Katar nicht, Streiks sind verboten. Nach Angaben von Amnesty International sind seit der WM-Vergabe ca. 15.000 Arbeitsmigrant*innen im Land verstorben, die meisten jungen Männer an Herz- oder Atemstillstand in Folge der Hitze und Dehydrierung auf den Baustellen in der Wüste. Nach Amnesty International wurden 70 Prozent der Todesfälle nie richtig aufgeklärt. Auf Druck von etlichen Menschenrechtsorganisationen wurden zumindest einige Regelungen per Gesetz geändert, das Bürgschaftssystem formal abgeschafft und ein Mindestlohn von 250 Euro eingeführt.
Klimaschutz
Bei Bundesligaspielen hierzulande brennt bei strahlendem Sonnenschein um 15:30 Uhr die Flutlichtanlage in jedem Stadion, damit auf den teuer verkauften Fernsehbildern auch ja keine Schatten zu sehen sind. Während Schwimmbäder und Turnhallen im Winter wegen Gasmangel womöglich nicht beheizt werden und der Amateursport mal wieder schauen muss, wo er bleibt, betreiben die Profivereine Heizungen und künstliche Beleuchtungen für den Rasen, kritisierte die Frankfurter Rundschau. Die Fußball-WM wird trotz der Verschiebung des Turniers in den Winter in Katar in Stadien mit offenen Dächern spielen, die im Innenraum auf ca. 20 Grad heruntergekühlt werden. Der Fanclub der Nationalmannschaft richtet sein Basislager zur WM in Dubai ein und die knapp zehntausend Fans werden für jedes Spiel extra nach Katar ein- und wieder zurückgeflogen. Allerdings sind es diesmal und im Vergleich zu Russland 2018 und Brasilien 2014 nur etwa die Hälfte der Fans. Bereits vor der WM hatte Katar 2020 pro Kopf 35,6 Tonnen CO2 emittiert, etwa dreimal so viel wie die USA und Russland, mehr als viermal so viel wie China und Deutschland pro Kopf.
Nützt ein Boykott?
Über Boykott-Forderungen wird immer und immer wieder gestritten, zu Recht. Wen trifft ein Boykott, etwa die Ärmsten? Wer hat das Recht, einen Boykott zu verhängen, etwa nur die UNO? Vor allem aber, was bewirkt ein Boykott? Die zivilgesellschaftlichen Akteure, die diese Boykott-Forderung erheben, sind da ganz klar: „Unser Ziel ist es, das lukrative Zusammenspiel zwischen FIFA, Sponsoren und autokratischen Regimen zu stören. Es darf für sie nicht mehr attraktiv sein, die WM auf diese pervertierte Art zu präsentieren und den Fußball weiter zu ruinieren.“ Die FIFA ist in den letzten Jahrzehnten so übermächtig geworden, dass sie von jedem Ausrichter für die Dauer des Turniers für sich und ihre Partner Steuerfreiheit verlangen kann, während das Gastgeberland die gewaltigen Kosten für die vom Fußballweltverband geforderte Infrastruktur übernehmen muss. Mit dramatischen Folgen: So blieb Südafrika 2010 auf rund zwei Milliarden Euro Verlust sitzen, während die FIFA mehr als dieselbe Summe als Gewinn einstrich. Katar investierte für die WM 200 Milliarden Euro. So etwas liebt die FIFA. Auch die Fernsehwerbung während der WM steht hoch im Kurs und kann Unternehmen laut Videomarketingdienst Pictima sogar bis zu 12.600 Euro kosten — für eine Sekunde Werbung. Die Anstoßzeiten ab der Mittagszeit kommen besonders deutschen Vermarktern entgegen, weil sie in ARD und ZDF bis 20 Uhr Werbung schalten dürfen. Die Boykott-Forderung verringert dagegen aktuelle und künftige Sponsoreneinnahmen, weil Sponsoren weniger in einem derartig kritisierten Umfeld auftreten wollen. In Deutschland haben viele Branchen das sonst sehr lukrative WM-Geschäft schon im Vorfeld abgeschrieben. Laut Handelsblatt rechnen fast alle Unternehmen aus den sonst beteiligten Branchen mit einem Minusgeschäft. Supermärkte, Discounter, aber auch Brauereien und die Gastronomie profitieren regelmäßig enorm von einem großen Fußballturnier. Man sollte auch nicht nur auf das vermarktete Deutschland schauen: bei Norwegens TV-Sendern etwa waren vor einer Woche noch Plätze für Sponsoren und Werbekunden frei. Auch die auflagenstärkste und der BILD vergleichbare, Tageszeitung Verdens Gang hatte noch keine Sponsoren für die WM-Berichterstattung gefunden.
Proteste wirken
Proteste gegen ausrichtende Länder der Fußball Weltmeisterschaft gab es schon in der Vergangenheit, etwa bei der WM 1978 nach dem Militärputsch in Argentinien oder 2018 gegen Russland. 1978 bemerkte der westdeutsche Bundestrainer Helmut Schön noch allen Ernstes, dass er nichts gesehen habe, von dem man sagen könnte, es handle sich um eine ausgesprochene Diktatur – ungeachtet der Tatsache, dass ca. 30.000 Menschen nach dem Putsch 1976 umgebracht wurden. Auch heute wird geheuchelt, aber neu ist diesmal, dass sich sehr viele Fans engagieren und es sogar online eine Liste boykottierender Fußballkneipen gibt. In jedem Bundesliga-Stadion gab es Proteste und vor Europapokalspielen in diesem Jahr gab es in fast jedem Land Europas Schweigeminuten für die gestorbenen bzw. getöteten Arbeitsmigrant*innen auf Katars WM Baustellen. Noch nie wurde Arbeitsmigration so stark thematisiert und wurden so viele Menschen sensibilisiert, wie bei dieser Weltmeisterschaft. Nach Infratest dimap werden 56 Prozent der Bevölkerung die Fußball-WM nicht verfolgen, 15 Prozent wollen weniger Spiele sehen als bei der letzten WM. Zwei Drittel einer Umfrage bei Civey sind dagegen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz zur WM fliegt. Aber auch das sollte kritisiert werden: der sportpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN spricht sich mit nicht nachvollziehbaren Gründen gegen einen Boykott aus. Argumente für seine Position verrät Andre Hahn den Leser:innen seines Pressestatements allerdings nicht.
Zuletzt gab es einen Offenen Brief von über 40 Fanvereinigungen an den DFB, darunter sieben vom 1. FC Union Berlin. Die Fanvereinigungen fordern von der FIFA, dass sie Entschädigungszahlungen an die Arbeitsmigrant*innen in derselben Höhe leisten soll, in der sie Preisgelder an die teilnehmenden Fußballverbände ausschüttet: 440 Millionen US-Dollar. Sollte die FIFA sich dieser Idee verweigern, wird vom DFB erwartet, dass er seine Preisgelder (je nach Platzierung zwischen 9 und 42 Millionen Dollar) eigenständig für Entschädigungszahlungen verwendet. Für den gleichen Zweck sollten die DFB-Nationalspieler etwaige Siegprämien spenden. Man wird sehen, aber es braucht sicher mehr Druck, um diese Entschädigungen Wirklichkeit werden zu lassen. Es wäre das Allermindeste.
P.S. Ein Bier bitte…
Übrigens ist auch der Alkoholgenuss, nach wahhabitischer Auslegung des Islam, in Katar stark eingeschränkt und in der Öffentlichkeit verboten. Alkohol darf auch nicht aus dem Ausland, etwa dem Duty Free mitgebracht werden. Im Wesentlichen wird aber die Abstinenz bei dieser WM wohl über den Preis geregelt: ein Liter Bier etwa kostet in Restaurants, Hotelbars und den sog. Fanzonen rund 30 Euro. Das Emirat hatte der FIFA vorher eine Ausnahme für die Zeit des Tuniers zugesagt, nach der es Bier in den Fanzonen vor und nach den Spielen um die Stadien herum hätte geben sollen. Diese Zusage wurde aber einen Tag vor Beginn der WM zurückgezogen. In den VIP-Lounges dagegen gibt es alles. Hauptsponsor Budweiser schrieb am Freitagmittag: "Nun, das ist unangenehm." Der Tweet wurde nur kurze Zeit später wieder gelöscht.
Kampagne, Fotos, Veranstaltungstermine, Materialien:http://https://www.boycott-qatar.de
Bundesweite Liste boykottierender Kneipen: #KeinKatarinmeinerKneipe - Twitter Suche / Twitter