Riot Shields und Homopop - EuroPride 2022 in Belgrad
Bis zuletzt war unklar, ob die diesjährige EuroPride – quasi der europaweite Christopher Street Day, bei dem queere Menschen für ihre Belange auf die Straße gehen – überhaupt stattfinden würde. Mit der serbischen Hauptstadt Belgrad wurde erstmalig ein Austragungsort außerhalb der EU und auf dem Balkan ausgewählt. Die serbische Regierung gab sich angesichts dessen wenig begeistert. Vor allem der rechtsgerichtete Präsident Aleksander Vučić sowie sein Innenminister Aleksander Vulin drohten den Organisator*innen und Teilnehmenden im Vorfeld der Veranstaltung. Zwischenzeitlich wurde die Pride von der Polizei verboten und hohe Bußgelder für alle in Aussicht gestellt, die trotzdem auf die Straße gehen.
„We walked“ hieß es am Tag nach der Pride seitens der Veranstalter*innen. Dass der Protestzug mit rund 1.000 Teilnehmer*innen immerhin mit verkürzter Route durch Belgrad zog, ist wohl in erster Linie drei Dingen zu verdanken:
(1) dem unerschütterlichen Mut der Communities vor Ort,
(2) der großen internationalen Solidarität, die sich in einer relevanten Anzahl extra angereister Teilnehmer*innen aus dem Ausland sowie europaweiten Solidaritätsbekundungen ausdrückte und
(3) taktischen Überlegungen der serbischen Regierung, für die eine Eskalation der Lage mit zu großen politischen Kosten verbunden gewesen wäre.
Und so verkündete die serbische Premierministerin Ana Brnabić - selbst lesbisch – wenige Stunden vor dem Demozug, dass der Protest stattfinden könne und man die Sicherheit aller Anwesenden garantiere. Die Vielstimmigkeit der Regierung war Teil eines „Guter Bulle, böser Bulle“-Spiels, das wohl hauptsächlich dazu diente, den Protest durch größtmögliche Unsicherheit und das Stiften von Verwirrung kleinzuhalten. So hatte im Nachgang dann auch jeder seine eigene Interpretation der Geschehnisse: Das Innenministerium etwa sprach davon, dass das polizeiliche Verbot der Pride durchgesetzt wurde und man lediglich eine kleine Menschenansammlung unter Polizeischutz zu einem Konzert eskortiert hätte.
Rückblickend empfiehlt es sich, sich die Ambivalenzen dieses Tages vor Augen zu führen: Dass die Pride stattfinden konnte, ist ein großartiger und empowernder Sieg für die örtliche Communities, der wohl auch in die Zukunft nachwirken wird. Dass der Demozug gleichzeitig von Riot Police begleitet wurde, zeitgleich Ultraklerikale und faschistische Gruppen in Belgrad aufmarschierten, dass queere Bars am Pride Wochenende durch großes Polizeiaufgebot geschützt werden mussten und Pride-Teilnehmer*innen im Nachgang der Veranstaltung auf der Straße attackiert wurden, zeigt, wie prekär die Lage in Serbien nach wie vor ist. Wir haben mit Queers aus örtlichen Strukturen gesprochen, die sich aufgrund traumatischer Erfahrungen (z.B. Polizeigewalt bei früheren Prides) dazu entschieden, der Demonstration fernzubleiben.
Gleichzeitig ist der Kampf um die mediale Deutungshoheit der Pride Ausdruck der politischen Zwischensphäre zwischen Russland und dem Westen, in der Serbien sich befindet. Während russische YouTuber auf der Veranstaltung filmten und das Narrativ einer vom Westen und sogar der N.A.T.O gesteuerten Operation spannen, feierten liberale Medien im Westen den Protestzug als glorreichen Akt des Widerstandes.