Massenmobilisierung von rechts?
Thesen zu unseren Aufgaben als antifaschistische Bündnisorganisation
- Valentin Ulemann, Florian Gutsche
Das gesamte neofaschistische Spektrum in Deutschland lauert auf seine nächste Chance, um Menschenmassen mit chauvinistischen Parolen auf die Straßen zu bringen. Nach den rassistischen Protesten der Jahre 2015 ff. und den seit 2020 anhaltenden, zuletzt abgeflauten »Corona-Protesten« wäre es die dritte große Mobilisierung. Anlass diesmal: die Explosion der Energiepreise. »Unser Land zuerst!« lautet die von Donald Trump geklaute Parole der AfD für ihre angekündigten Großdemos im Herbst.
Während große Teile der Bevölkerung sorgenvoll in die Zukunft schauen, freuen sich die Führungspersonen der extremen Rechten unbändig auf die Krise. Ihnen kann sie nicht einschneidend genug sein, hofft man doch, dass der heiß ersehnte Tag X, der Tag des nationalistischen Umsturzes, in greifbare Nähe rückt. Die Elsässers, Kubitscheks und Höckes wollen nichts Geringeres anzetteln als den antidemokratischen Aufstand eines enthemmten und verrohten deutschen Klein- und Mittelbürgertums. Gleichzeitig schauen die neofaschistischen Vordenker*innen voller Hass und Verachtung auf diejenigen, die die Krise am meisten gefährdet: die armen, proletarischen und prekarisierten Bevölkerungsteile.1
Sollen die antifaschistischen Kräfte sich mit ihren üblichen Instrumenten wie Gegenkundgebungen und Blockadeversuchen an der rechten Mobilisierung abarbeiten? Schon bei den »Corona-Protesten« hat das vielfach schlecht funktioniert. Vielleicht konzentrieren wir uns besser darauf, die von Sozialverbänden, Gewerkschaften, (Links-)Parteien und außerparlamentarischen Linken initiierten Sozialproteste nach rechts abzugrenzen: »Die Tür nach rechts bleibt zu!« Entscheidend für diese Abgrenzung werden die Inhalte sein. Dazu folgende Thesen:
- Die Rechte reduziert die komplexe Krisenlage auf eine Frage nationaler Interessenpolitik (durch Parolen wie: »Weg mit den Sanktionen gegen Russland!«, »North Stream 2 ans Netz!«). Die progressiven Kräfte müssen dagegen die Frage der sozialen Umverteilung aufwerfen und vermittelbar machen (etwa durch Forderungen nach Übergewinnsteuer, Sozialtickets für ÖPNV und Fernverkehr sowie einen Gaspreisdeckel).
- Ein Großteil der extremen Rechten, so die AfD, ist zwar gegen Waffenlieferungen für die Ukraine, begrüßt aber den Aufrüstungs- und Militarisierungskurs. Schließlich wollen sie Deutschland wieder als militärische Großmacht sehen. Die demokratische Zivilgesellschaft hingegen muss die Verbindung zu Friedens- und Abrüstungspolitik herstellen: Kein Geld für Aufrüstung, stattdessen soziale Abfederung der Preisexplosion und Investition in lebenswichtige zivile Infrastruktur wie das Gesundheitssystem.
- Die politische Rechte nutzt die Energiekrise, um ihre aggressive Agitation gegen jeglichen ökologischen Umbau der Gesellschaft hochzufahren. Wir sollten ganz im Gegenteil fordern: »Klima- und Umweltrettung jetzt!« Wirksamer Klimaschutz bedeutet Schluss mit Aufrüstung und Krieg, erfordert massiven Ausbau der erneuerbaren Energien statt neuer Investitionen in fossile Energieträger (einschließlich der LNG-Terminals und des Frackings) sowie Atomkraft.
- Es ist klar: Die Frage »Wie soll mit Putins Russ-land umgegangen werden?« wird in den künftigen Sozialprotesten eine Rolle spielen. Je dominanter die Forderung nach einem einseitigen Entgegenkommen gegenüber Putins Russland wird, desto anfälliger werden die Proteste für Vereinnahmung von rechts sein. Und desto weniger anziehend werden sie gleichzeitig auf Millionen progressiver Menschen in Deutschland wirken, die die Politik Putins ablehnen. Je diffuser die politische Ausrichtung der Proteste sein wird, etwa mit allzu simplen Forderungen wie »Spritpreise runter!« desto mehr Anknüpfungspunkte bieten sich für die antiökologischen Positionen der Rechten. Gleichzeitig werden so Millionen junger und nicht mehr so junger Menschen abgeschreckt, für die die Umwelt- und Klimarettung eine existenzielle Zukunftsfrage darstellt.
Wir sollten uns eingestehen, dass die antifaschistischen Kräfte in diesem Lande, dass auch unsere VVN-BdA gespalten ist in der Bewertung der Sanktionen gegen Russland. Angesichts dessen sollten wir uns auf das Gemeinsame konzentrieren. Das können die Forderungen nach sozialer Umverteilung der Krisenlasten, nach Abrüstung, nach Umwelt- und Klimarettung sein. Auch die Forderung nach weiterhin großzügiger Aufnahme der ukrainischen und aller anderen Geflüchteten, nach dem Recht auf Asyl für alle Kriegsdienstverweigerer*innen sowie nach humanitärer Hilfe für die unter dem Krieg leidende Bevölkerung sollte konsensfähig sein.
Nur in einer sozialen Protestbewegung, die sich hinter progressiven und humanistischen Forderungen sammelt, haben wir Antifaschist*innen eine Chance, die Rechten herauszuhalten und herauszudrängen. Wenn Proteste in ihren Forderungen von der rechten Mobilisierung gar nicht mehr unterscheidbar sind, wenn sozial-, friedens- und umweltpolitische Verknüpfungen gar nicht mehr angestrebt und ausgedrückt werden, dann sind Querfront und rechte Übernahme nicht zu verhindern. Der Traum der Elsässers, Kubitscheks und Höckes von der nationalistischen Massenbewegung würde wahr.
1 Einen guten Überblick zur Strategiebildung der extremen Rechten bietet der zweiteilige Artikel »Wutwinter« von Jan Riebe auf Belltower News (belltower.news/wutwinter-teil-1-die-neue-rechte-will-dass-deutschland-leidet-136873)
Der Artikel erschien zunächst am 4. September im Magazin der antifa der VVN-BdA.