Koloniale Kontinuitäten
Soldaten aus Mali abziehen, ohne Afghanistan-Katastrophe zu wiederholen
Letzten Sommer zog die Bundeswehr nach 20 Jahren Desaster völlig verkorkst aus Afghanistan ab. Schnell musste nochmal ein neues Mandat durch den Bundestag gepeitscht werden, bei dem der Personenkreis, der evakuiert werden konnte, verkleinert wurde. Ortskräfte wurden zurückgelassen, mit fadenscheinigen Tricks bei Subunternehmen angestellt, damit man die ja nicht mitnehmen muss. Viele sind immer noch in Afghanistan und bangen dort um ihr Leben.
Nun die Schlagzeile, dass die Bundeswehr ihren Einsatz in Mali vorübergehend aussetzt. Man kann nur hoffen, dass sich dieser beispiellose Skandal wie letzten Sommer perspektivisch in Mali nicht wiederholt.
Militärischen Interventionismus aufarbeiten
So wie es jetzt einen Afghanistan-Untersuchungsausschuss gibt, muss insgesamt der militärische Interventionismus aufgearbeitet werden. Er ist gescheitert. Militärinterventionen haben nichts bewirkt an nachhaltiger Stabilisierung oder ähnlichem, siehe Afghanistan. Stattdessen haben fast 200.000 Zivilist*innen und zehntausende Soldat*innen ihr Leben gelassen. Auslandseinsätze des Militärs werden unter fadenscheinigen Begründungen wie „Demokratie und Menschenrechte“ geführt, um die Zustimmung der hiesigen Bevölkerung zu bekommen, doch es geht meist nur um Einflusssphären, Absatzmärkte oder Ressourcen. Mali beispielsweise hat reiche Bodenschätze, wie Uran, Gold, Erdgas und Erdöl. Die Militärregierung derzeit sucht jetzt die engere Kooperation mit Russland, mutmaßlich der Wagner-Gruppe, was die westlichen Partner natürlich nicht gut finden, erst recht nicht seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Natürlich ist es genauso abzulehnen, wenn Russlands versucht, in Mali Einfluss zu nehmen, wie wenn der Westen es tut. Wenn manche Kommentatoren nun aber von einer „geopolitischen Niederlage“ oder Ähnlichem sprechen, zeigt das allerdings lediglich, dass es um geopolitische Macht und Zugang zu den Mächtigen in Mali, ergo Rohstoffen, geht, was auf dem Rücken der malischen Bevölkerung erkämpft wird. Ein Stellvertreterkrieg zwischen der EU und Russland oder russischen Milizen in Mali würde für die malische Bevölkerung eine Katastrophe bedeuten.
Worum geht es?
In Mali stützten die Missionen Minusma (UN, begonnen 2013) und EUTM (EU, begonnen 2013) die alten Eliten. Der Schwerpunkt der Ausbildungsmission EUTM wurde dieses Jahr auf den Niger verlegt. Der Konflikt in Mali kam mit der Unabhängigkeitsbestrebung des marginalisierten Berbervolks der Tuareg zustande, die im wüstengeprägten Norden Malis einen eigenen Staat wollen. Diese Entwicklung wurde verschärft als Libyen destabilisiert wurde und viele Tuareg oder Gaddafi-Anhänger auf Mali auswichen. Der Norden Malis ist auch der Ort, an dem die oben genannten Bodenschätze vorkommen. In die Konfliktlage treten islamistische Gruppen hinzu, wie etwa ein Ableger des IS, die um Einfluss kämpfen, und auch mit den Tuareg aneinander geraten. Es ist eine unübersichtliche Gemengelage. 2012 wurde der damalige Präsident vom malischen Militär weggeputscht, weil er diese Aufstände im Norden nicht wirkungsvoll bekämpfte. Die französische Armee –also die ehemalige Kolonialmacht – intervenierte auf Wunsch des Übergangspräsidenten. 2013 wurde Ibrahim Boubacar Keita zum Präsidenten gewählt, der für die Oligarchie steht, einer der reichsten Männer des Landes ist und der von Frankreich goutiert, wurde. Warum hat Frankreich ein solches Interesse an der Region? Frankreich importiert Uran aus dem benachbarten Niger und will sicherstellen, dass seine Kapitalinteressen in der Region nicht durch Unruhen oder Aufstände gestört werden. Mit Ausbau des Einflusses in Mali würden sich außerdem weitere Uranquellen direkt in Mali auftun, was für Frankreich als Atommacht natürlich von Bedeutung ist. Man kann hier also von (neo-)kolonialen Kontinuitäten sprechen.
Fossiler Kapitalismus ist auf billige Rohstoffe angewiesen. Solange diese Rohstoffe fließen, ist dann auch die Situation der Menschenrechte oder die Korruption egal. Im Rahmen einer quasi-kolonialen Landnahme muss die Extraktion der Rohstoffe durch westliche Konzerne privatisiert werden, im Zweifel wird der Zugang zu diesen Rohstoffen militärisch abgesichert. Die Menschen gehen leer aus und dienen als auszubeutende Arbeitskraft. Meist genügt es, Einfluss auf die Obrigkeiten vor Ort zu haben – den die westlichen Partner bei der jetzigen Militärjunta offenbar langsam verlieren. Weder was die kapitalistisch getrieben Einflussnahme, noch was die Verbesserung der Situation vor Ort für die Menschen anbelangt, war der Einsatz offenbar erfolgreich oder gar nachhaltig.
Wie kam die jetzt regierende Militärjunta an die Macht, die sich nun eher Russland zuwendet? Armut und Korruption befeuerten 2020 eine Massenbewegung, die Keita wieder stürzte, der nicht sonderlich viel dagegen unternommen hatte. Die ausländischen Truppen waren natürlich nicht auf Seiten der Aufständischen, sondern auf der Keitas. Der Aufstand wurde mit Repressionen beantwortet, linke Aktivisten verhaftet. Leider kamen statt Vertreter*innen der Bevölkerung wieder die Militärs an die Macht. Inzwischen haben die westlichen Staaten wieder eine Legitimationsgrundlage, den Staat (in ihrem Sinne) ‚stabilisieren zu wollen‘ – was, wenn ein Militäreinsatz aber nicht stabilisiert?
Von einem Rückgang des islamistischen Terrorismus, dessen Bekämpfung im Gesamtkontext immer wieder angeführt wird (z. B. Franz. Operation Barkhane, eine zusätzliche Militäroperation, begonnen 2014), kann keine Rede sein. Die Bevölkerung ist gebeutelt, es werden immer wieder Gräueltaten durch das malische Militär an Zivilist*innen bekannt, die von den ausländischen Kräften als Kollateralschaden hingenommen wurden und werden, noch bevor Russland seinen Einfluss ausweitete. Erst dann gab es durch die Politik Verurteilungen, davor schien es nicht von Bedeutung für die westlichen Staaten. Wie beim Krieg in der Ukraine braucht es wohl für westliche Politiker Verbrechen und verwerfliche Handlungen von anderen Akteuren, um sie zu verurteilen, bei einem selbst wird es nicht als moralisches Problem erkannt.
Auch wenn sich die Bundeswehr nicht direkt an den französischen Kampfeinsätzen beteiligt hat, so hat sie doch logistisch als europäischer Partner unterstützt. Massiv ausgeweitet wurde die deutsche Beteiligung an Minusma übrigens unter der vormaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, jetzt EU-Kommissionspräsidentin. Es geht um ein „Übungsfeld“ im Rahmen der sogenannten „Ertüchtigungsinitiative“ der Bundeswehr für die Soldaten auf dem Weg zu mehr deutscher Verantwortungsübernahme in der Welt – und natürlich um Flüchtlingsabwehr und Abschottung. Geflüchtete aus der Sahelzone und Zentralafrika will man in Europa nicht haben. Bevor die Geflohenen das Mittelmeer und die von Rassismus zusammengehaltene Festung Europa erreichen, an deren Grenzen sie ein menschenunwürdiges Dasein fristen, hält man sie besser schon vorher auf, in Libyen in Kooperation mit Folterknechten und der „libyschen Küstenwache“ oder eben noch südlicher in Mali.
Was sagen wir als LINKE?
Als LINKE befürworten wir demokratische, linke Opposition und solche Organisationen der Zivilgesellschaft in Mali. Militärinterventionen können anderen Ländern und Gesellschaften keine Demokratie, Wohlstand und Frieden bringen, sie unterstehen vielmehr kolonialen Kontinuitäten und kapitalistischen Interessen. Deshalb müssen die ausländischen Truppen abgezogen werden (ohne so eine Katastrophe wie bei Afghanistan zu veranstalten). Um das Joch der Bevölkerung zu erleichtern, müssen die westlichen Sanktionen aufgehoben werden, denn sie lassen die Menschen verarmen und bewirken, dass sie sich mit der Militärjunta an der Macht gegen die westlichen Staaten solidarisieren. Armut, Korruption und Perspektivlosigkeit befeuern den Weg junger Menschen in den religiösen Fanatismus und sind ein Nährboden für Terrorismus. Am besten wird dieser nicht durch ausländische Militärs bekämpft, sondern indem man ihm den Nährboden entzieht, heißt Armut, Korruption und Rechtlosigkeit angeht. Das muss innenpolitisch in Mali geschehen durch die dortige Bevölkerung, und außenpolitisch durch einen fairen Handel und Partnerschaft auf Augenhöhe statt Schielen auf Malis Rohstoffe und geopolitische Machtabsicherung durch Militäreinsätze.
Imperialismus wird durch Abschottung komplett. Fluchtursachen wie Armut und Perspektivlosigkeit zu bekämpfen ist das eine, denn niemand flieht freiwillig. Für ein offenes Europa zu kämpfen, das andere. Wie den Ukrainer*innen geholfen wurde, haben auch die schwarzen, muslimischen, arabischen Geflüchteten an den EU-Außengrenzen, in den libyschen Folterlagern, in Gummibooten im Mittelmeer ein Recht auf ein Leben in Würde und Sicherheit.