FAQ zur Energiekrise

Fünf Fragen, fünf Antworten in stürmischen Zeiten

Energiewende, Gasnotstand, Atomkraft, Sanktionen und DIE LINKE

Das Wort „Gasnotstand“ war häufig zu hören in den letzten Wochen. Im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steht Energiepolitik ganz oben auf der politischen Agenda, eng verknüpft mit Klima-, Außen- und Sozialpolitik. Auch wenn es nicht stimmt, dass nichts mehr sei, wie zuvor – denn alles hat eine Vorgeschichte – so hat der Krieg nicht nur für uns als LINKE einiges durcheinandergewirbelt. Dass es angesichts der Preisexplosionen einen „heißen Herbst“ gibt, ist wahrscheinlich, weil die Ampel im Dienste der „Schuldenbremse“ soziale Entlastungen auslaufen lässt und auf Umverteilungsmaßnahmen verzichten will. Gerade wir als LINKE stehen deshalb jetzt in der Verantwortung, Antworten zu geben, die verständlich und glaubwürdig sind, die Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gerade in diesen stürmischen Zeiten in Einklang bringen. Dafür müssen wir einige Dinge klar bekommen.

Wir versuchen im Folgenden Antworten auf Fragen zu geben, die immer wieder bei uns in der Partei gestellt werden. Den Hauptteil bildet immer eine ausführliche Antwort auf die Frage, anschließend ein knappes Fazit mit den Hauptpunkten. Wenn Ihr weitere Fragen habt, schreibt uns gerne. Wir werden nach den Sommerferien auch per Zoom eine Fragestunde anbieten.

I. Ist die Energiewende schuld an steigenden Preisen?

Von Beginn an hetzt die AfD im Bundestag gegen die Energiewende und macht sie verantwortlich für steigende Preise. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie dies gen Herbst noch mal verstärkt in ihre Rhetorik einbaut. Jedoch ist das Gegenteil richtig: Im ersten Quartal 2022 kamen 47,1 Prozent des Strommixes in Deutschland aus Erneuerbaren Energien. Den größten Anteil machte daran Windkraft mit 30,1 Prozent aus, gefolgt von Photovoltaik mit 6,3 Prozent. Bei den fossilen Energien lag die Kohle mit 31,5 Prozent vorn, an zweiter Stelle lag Erdgas mit 13 Prozent, Atomkraft kommt noch auf einen geringen Anteil von 6 Prozent.[1]

Wesentlich niedriger liegen die Anteile Erneuerbarer noch in den Bereichen Wärme, Industrie und Verkehr. Hier schlummern große Einsparpotenziale. Gleichzeitig bedeutet etwa Dekarbonisierung der Industrie etwa, dass fossile Ressourcen ersetzt werden müssen, bspw. durch Strom oder Wasserstoff. Im Verkehrsbereich ist es ähnlich. Würden alle PKWs auf Elektroantrieb nur umgestellt, würde der gesamte Strombedarf steigen. Deshalb fordern wir als LINKE nicht nur eine Antriebs-, sondern eine grundlegende Verkehrswende mit weniger Autos und LKWs, dafür mit mehr Bus und Bahn.

Real produziert Deutschland aktuell mehr Strom, als verbraucht wird: Deutschland exportiert etwa doppelt so viel Strom in andere Länder, wie es importiert. Dabei wirken die Erneuerbaren Energien dämpfend auf den Strompreis: Strom aus neuen Windkraft an Land kostet etwa sechs Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Strom, der mithilfe von Erdgas produziert wird, kostet etwa 38 Cent. Allerdings orientiert sich der Strompreis immer an der teuersten Erzeugungsform. Da etwa in Frankreich die Hälfte aller Atomkraftwerke stillstehen, exportiert Deutschland Strom nach Frankreich, in immer mehr Stunden müssen deshalb Gaskraftwerke zur Stromerzeugung einspringen.

Als Fazit kann festgehalten werden: Hätten wir aktuell einen größeren Anteil Erneuerbarer im Strommix, wären die Preise günstiger, ganz abgesehen davon, dass uns das unabhängiger machen würde von fossilen Ressourcen und wir in der Bekämpfung des Klimawandels ein Stück weiter wären. Das Ausbremsen der Energiewende, der zögerliche Ausbau von Windkraft und Photovoltaik rächt sich jetzt.

Deshalb:

  1. Energiewende massiv beschleunigen.
  2. Energie einsparen, besonders in Industrie, Verkehr, Wärmebereich.
  3. Erneuerbare Energien nicht verschwenden, sie sind eine begrenzte Ressource, sondern effizient einsetzen.

 

II. Warum ist die Laufzeitverlängerung bzw. die Wiederinbetriebnahme von AKWs keine sinnvolle Option?

Mit dem Ukraine-Krieg werden nicht nur deutlich mehr LNG-Flüssiggas-Terminals geplant, als in dieser Krise zeitweilig gebraucht werden, auch Laufzeitverlängerungen bestehender und selbst Reaktivierung bereits stillgelegter AKWs werden gefordert. Hier geht es nicht nur um nachvollziehbare Sorgen, wie die Bundesrepublik über die nächsten Winter kommt. Hier wittern manche auch die Chance zu einem Rollback in überkommene Zeiten.

Doch eine Verlängerung der Laufzeiten der drei letzten Atomkraftwerke würde kaum etwas zur Entspannung beitragen. Atomkraft deckt in Deutschland im Moment nur zwischen fünf und acht Prozent der Stromerzeugung. Die Meiler koppeln keinerlei Wärme aus, der Gasersatz im Wärmebereich ist aber die eigentliche Herausforderung.

Auch hätten die auf den Ausstieg Ende 2022 eingestellten Betreiber Probleme, die für jedes Kraftwerk maßgefertigten Brennstäbe zu organisieren, weil dies rund 18 Monate  dauern würde. Gegebenenfalls könnte allein Isar 2 mit den alten Brennstäben noch einige Wochen länger als bis Jahresende laufen, und noch etwas länger, wenn die Stromproduktion jetzt im Sommer gedrosselt würde. Doch dafür einen gerade befriedeten jahrzehntelangen Großkonflikt wiederbeleben? Ohnehin sind die AKW-Betreiber kaum an einem Weiterbetrieb interessiert. Würde sie die Bundesregierung dazu drängen, würden sie sich das teuer bezahlen lassen. Mit hohen Kompensationszahlungen, Mindestlaufzeiten und dergleichen mehr. Zudem wäre die Gaseinsparung minimal, weil die Reaktoren vor allem die Stromerzeugung aus Braun- und Steinkohle verdrängen würden. Zudem würden die bereits hohen Stromexporte weiter erhöht.

Unter den Tisch bei der Geisterdebatte fällt auch, dass Deutschland und Europa auch im Bereich der atomaren Brennstoffversorgung von Russland abhängig sind: Nach Angaben von EURATOM bezog die EU im Jahr 2020 20,2 Prozent des Urans aus Russland. Weitere 19,1 Prozent kamen von Russlands Verbündetem Kasachstan. Die drei noch laufenden deutschen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 werden nach Aussagen von PreussenElektra hauptsächlich mit Uran aus Russland und Kasachstan sowie in geringen Mengen aus Kanada betrieben. Das ist im aktuellen Uran-Atlas zu finden, bei dem die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitherausgeberin ist.[2] Wenn Europa die Abhängigkeit von Russland im Energiebereich wirklich beenden will, muss es auch im Atombereich seine Zusammenarbeit mit Russland einstellen.

Fazit:

  1. Die aktuelle Debatten zur Atomkraft und die überbordenden Pläne für Flüssiggasterminals tragen in sich die Gefahr eines energiepolitischen Rollbacks im Zuge des Ukraine-Kriegs.
  2. Laufzeitverlängerungen hätten einen geringen Effekt auf die Energiesicherheit, würden aber neue Konflikte mit sich bringen. Unsere grundsätzliche Kritik (strahlendes Erbe, nicht versicherbar, risikoreich, nicht zuverlässig, siehe Frankreich) bleibt bestehen. Wir verteidigen den Erfolg der Anti-AKW-Bewegung.
  3. Stattdessen müssten sämtliche Einspar- und Effizienzmaßnahmen (siehe letzter Punkt) ergriffen, die Bremsen bei der Energiewende gelockert werden.

 

III. Sind die Gaslieferungen ausreichend für Industrie und private Haushalte, wenn Nord Stream 1 wieder an Netz geht?

Es kommt auf die Höhe der Lieferungen an. Werden lediglich erneut nur 40 Prozent der ursprünglichen Menge geliefert, oder gar dauerhaft nur jene 20 Prozent, wie seit dem 27. Juni, so hätte die Bundesrepublik bei einem kalten Winter trotz der inzwischen erhöhten Bezüge aus anderen Gas-Importquellen (zusätzliches Pipelinegas aus Norwegen und Niederlande, zusätzliche LNG-Lieferungen) und Einsparbemühungen in Deutschland Mühe, bis zum Winter die Gasspeicher ausreichend zu füllen. Erste Abschaltungen in der Industrie wären wohl die Folge.

Blieben die Lieferungen dauerhaft so niedrig, wie momentan, so wäre der Winter 2023/2024 eine noch größere Herausforderung als der kommende. Schließlich käme man mit leeren Speichern und schon von Beginn an reduzierten Gaslieferungen aus der vorangegangenen Heizperiode. Bis dahin lassen sich nach aktuellem Stand auch nicht die LNG-Lieferungen deutlich über das jetzige Maß erhöhen. Dazu müssten erst neue Felder und Bohrungen in den Lieferstaaten ausgebracht werden. Sie würden erst ab 2023/2024 relevante zusätzliche Exporte ermöglichen. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss entschlossen vorangetrieben werden, zum Gasersatz werden Windkraft und Wärmepumpen jedoch erst in vier oder fünf Jahren spürbar beitragen können.

Übrigens schiebt Russland technische Probleme bei Nord Stream 1 nur vor, um politischen und ökonomischen Druck auf den Westen auszuüben. So führt die Fokussierung auf Nord Stream 1 dann auch zu Fehlschlüssen, denn es gibt neben der von Polen gesperrten Jamal-Pipeline eine zweite leistungsfähige landestützte Pipeline aus Russland nach Deutschland, „Ukraine-Transit“ oder „Transgas“ genannt. Die dort vorhandenen offenen Transportkapazitäten werden aber offensichtlich nicht von Russland dazu genutzt, die angeblich aus technischen Gründen ausfallenden Mengen von Nord Stream 1 wenigstens teilzukompensieren (80 Prozent Fehlmenge zur Vollauslastung wären rund 960 Mio. Kubikmeter pro Woche). Denn momentan fließen über Ukraine-Transit wöchentlich nur 275 Mio. Kubikmeter. Es könnte nach Ansicht von Fachleuten mindestens zwei bis drei Mal so viel sein. Insofern ist auch der Ruf einiger auch aus der LINKEN nach Öffnung von Nord Stream 2 als Problemlösung absurd und schadet einer glaubwürdigen linken Position (ganz abgesehen davon hat auch der letzte Bundesparteitag dazu einen klaren Beschluss gefasst!).

 

Fazit:

Die vorhandene Gasinfrastruktur ist mehr als ausreichend, um den europäischen Gasbedarf zu decken. Diskussionen über Nord Stream 2 sind absurd und kontraproduktiv, genauso wie der Bau von festen Terminals für LNG-Flüssiggas.

 

IV. Wie steht DIE LINKE zu Sanktionen?

Die bislang sechs Sanktionspakete der EU umfassen u.a. Sanktionen auf dem Finanz- und Kapitalmarkt, das Einfrieren von Vermögenswerte von russischen Führungskräften und Abgeordneten, die Beschränkung des Handels mit Eisen, Stahl und Luxusgütern, Ausfuhrbeschränkungen für Güter an die russische Waffen-, Rüstungs- und Verteidigungsindustrie, Importverbote für Güter wie Holz, Zement, Meeresfrüchte und Alkohol, Verbote für russische Transportunternehmen und Schiffe, in die EU einzufahren sowie Exportverbote nach Russland für bestimmte Hochtechnologie-Güter.

Dazu kommen die bekannten Sanktionen im Energiesektor: Die EU-Länder dürfen bis August keine Kohle aus Russland mehr importieren. 75 bis 90 Prozent aller Importe von russischem Erdöl in die EU werden bis Jahresende gekappt, darunter alle Importe über Öltanker. Die Drushba-Pipeline wurde auf Druck Ungarn und Slowakei davon ausgenommen, wobei Polen und Deutschland von dieser Ausnahme keinen Gebrauch machen wollen.

Ein Erdgasembargo besteht seitens der EU gegenwärtig nicht. Gleichwohl ist das Ziel der europäischen Staaten, die Erdgas-Lieferungen soweit wie möglich zu reduzieren, um auch hier Abhängigkeiten zu reduzieren. Gleichzeitig reduziert Russland die Lieferungen in die EU schneller als die EU ihre Bezüge verringern wollte. (Siehe III.). Im Ergebnis konnte die EU ihren Bezug von fossilen Rohstoffen bereits deutlich reduzieren.

DIE LINKE unterstützt im Grundsatz Sanktionen als (für sich) nicht-militärische Antwort auf die Aggression Russlands gegen die Ukraine. Natürlich werden die Sanktionen allein Putin nicht in die Knie zwingen. Sie können aber einen Beitrag dazu leisten, die ökonomischen und politischen Kosten des Feldzuges in die Höhe zu treiben. Es stimmt zwar, dass Russlands Rüstungsindustrie großenteils nicht auf Deviseneinnahmen angewiesen ist. Die Ressourcen für den Krieg kann Putin aus der eigenen Industrie und Landwirtschaft mobilisieren. Dennoch finanzieren die Einnahmen aus Energierohstoffexporten 35 Prozent des russischen Staatshaushalts. Sie refinanzieren insbesondere auch die teure Erschließung der nördlichen Gasfelder, die Russland in den vergangenen Jahren in Richtung der Jamal-Halbinsel und des arktischen Meeres vorangetrieben hat.

Besonders wirksam scheinen zudem die Hochtechnologie-Boykotts. Ein Großteil der russischen Automobilproduktion wurde so bereits lahmgelegt, auch Technik für die Erdöl- und Erdgasgewinnung (etwa für komplizierte Horizontalbohrungen) steht auf der Liste. Ferner wird der Aufbau von zusätzlichen LNG-Vergasungs-Terminals in Russlands Norden ohne westliche Technik deutlich erschwert, was einen alternativen Absatz von Erdgas nach Asien verhindert. Die russische Wirtschaft insgesamt wird 2022 wohl um acht Prozent schrumpfen.

Bislang konnte Russland per Saldo Einnahmeverluste aus dem Öl- und Gasgeschäft vermeiden, da die Preisexplosion den Mengeneffekt aus den rückläufigen Lieferungen überkompensierte. Insbesondere bei Gas dreht sich nun aber langsam das Blatt. Russlands Erlöse aus dem Gasgeschäft mit der EU sanken im Juni trotz hoher Preise gegenüber den Wochen vor dem Kriegsbeginn im Februar um 36 Prozent, da die Liefermengen in die EU um 59 Prozent sanken.

Russland hat bei Gas auch nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, seine Fördermengen nach Asien umzuleiten, da nur eine Pipeline nach China existiert und auch der Weg über die Gasverflüssigung und den Schiffstransport (LNG) mangels Infrastruktur kaum gangbar ist. Ältere Gasfelder lassen sich zudem aufgrund des geringeren natürlichen Gasdrucks nicht einfach zu und später wieder aufdrehen. Ein Gasfeld könnte ohne kontinuierliche Förderung „zerstört“ werden. Das gilt zwar auch für Erdölfelder, hier kann Russland aber zumindest den Seeweg nach Asien statt Europa nutzen, sofern keine Sekundärsanktionen gegen solche Transporte oder entsprechende Schiffsversicherungen greifen.

Gleichwohl also gezielte Sanktionen Sinn ergeben, auch um hier die einseitige Abhängigkeit deutlich zu reduzieren, ist der vollkommene Verzicht von Energielieferungen aus Russland kurzfristig schwer. Und zwar (neben den Versorgungssicherheitsproblemen hierzulande) aus zwei Gründen:

Erstens hat eine solche Strategie Auswirkungen auf die Länder des Globalen Südens, insbesondere im Gasbereich. Tanker mit russischem Öl (die vor dem Krieg für 70 Prozent der Gaslieferungen nach Europa standen, der Rest kam per Pipeline) können von Russland leicht nach Asien und andere Regionen umgeleitet werden. Die asiatischen Märkte sind momentan zwar nur begrenzt aufnahmefähig, aber physisch tauchen die Ölmengen am Weltmarkt zu einem hohen Anteil irgendwo wieder auf (teils auch neu verpackt in Europa). Beim Erdgas ist dies anders, da in Russland noch auf absehbare Zeit kaum Transportinfrastruktur für ausgeweitete Exporte nach Asien zur Verfügung stehen werden. Ein erheblicher Teil der russischen Gasfelder muss die Förderung also drosseln oder einstellen. Diese verminderte Fördermenge hat auf dem Weltmarkt ein Preisschild. Nicht nur für Europa, was sich nun teuer mit zusätzlichem Flüssiggas aus anderen Weltregionen versorgen und auf einen heißen Herbst (Haushaltspreise) bzw. kalten Winter (Heizung) vorbereiten muss. Drastisch verteuern sich auch die Gasimporte für ärmere Länder - mit sozialen Konsequenzen, die die in Europa eintretenden übertreffen dürften.

Zweitens war es seit dem LNG-Fracking-Boom in den USA strategisches Ziel Washingtons, Russland in Europa Anteile am Gasabsatz abzujagen. Dass dieses nicht nur teurer, sondern auch deutlich dreckiger (Klimabilanz, Schadstoffe) ist als Pipeline-Gas aus Europa, ist bekannt. Gegen LNG-Exporte aus Kanada nach Europa protestieren indigene Gruppen und Menschenrechtsaktivisten[3]. Die geplanten LNG-Importe aus Katar ordern ebenfalls bei einem autokratischen Regime, die aus Senegal verhindern den Umbau der dortigen Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien. Alle zerstören jenseits des Treibhausgasausstoßes die natürliche Umwelt um die neu zu erschließenden Lagerstätten zusätzlich.

Was hingegen fehlt, sind gezielte und wirksame Sanktionen gegen Russlands Oligarchen. Das liegt zum Teil an fehlenden rechtssicher verwendbaren Erkenntnissen über die Finanz- und Immobilien-Vermögen dieser Kaste in der EU. Die Superreichen in der EU haben mit dafür gesorgt, indem sie die Rechtssetzung so beeinflussten, dass sie seit je her einen Teil ihre eigenen Reichtümer im Dunkeln halten können. Zudem dürften Teile der europäischen Elite in Teilen mit der russischen Oligarchie verbandelt sein. So stehen gerade Größen der russischen Rüstungsindustrie auf keiner Sanktionsliste. Das ist absurd, geht es doch hier um einen Angriffskrieg, der zur Voraussetzung den Nachschub an Waffen hat.[4]

Die Wirkung (und Rückwirkungen) von Boykottmaßnahmen sind unter dem Strich kompliziert, in einem hohen Maße auch abhängig von der Konsequenz und dem Tempo der Sanktionen bzw. von Ausweich- und Anpassungs-Spielräumen des Boykottierten. Das gelegentlich gezeichnete Bild von Russland als dem lachenden, gar profitierenden Beobachter des Boykotts, dürfte aber ein Zerrbild sein.

Unbedingt zu verhindern ist der Bau von festen LNG-Terminals (im Gegensatz zu vorübergehenden, schwimmenden, die möglicherweise notwendig werden für eine kurze Zeit). Sie würden erst in ein paar Jahren einsatzbereit sein und sich wirtschaftlich erst über 30 Jahre abschreiben. Nach den Klimaschutzvorgaben muss sich der deutsche Gasverbrauch in den nächsten Jahren deutlich verringern. Feste LNG-Terminals wären damit theoretisch „stranded investments“, also Investitionen, die sich nicht lohnen, weil sie früher gesetzlich stillgelegt werden. Im schlechtesten, aber realistischen Fall sogar ein Weg, besser eine Sackgasse hin zur verstärkten Nutzung fossiler Energien. Experten weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich LNG-Terminals nicht einfach mal für die Anlandung von Wasserstoff umstellen lassen, wie es häufig behauptet wird. Im Übrigen gilt weiterhin: Ob sich für die kommenden zwei Winter ausreichend LNG-Gas am Weltmarkt auftreiben lässt, ist bislang genauso unsicher, wie die Mengen von Wasserstoffimporten, von denen manche Politiker und Wirtschaftskapitäne träumen. Die aktuellen Beschlüsse der Bundesregierung lassen eine Betriebserlaubnis bis 2043 zu, nach den Plänen der Bundesregierung soll Deutschland aber 2045 klimaneutral sein. Das ist mit dem gegenwärtigen fossilen Rollback ausgeschlossen!

Fazit:

  1. Wie auf dem Bundesparteitag beschlossen unterstützt DIE LINKE gezielte Sanktionen gegen die Kriegsführungsfähigkeit Russlands. Hier ist insbesondere bezüglich der Sanktionierung von Oligarchen und Rüstungsindustrie noch Nachholbedarf.
  2. Es wird zum Problem, wenn Sanktionen dazu führen, dass der Globale Süden dafür einen hohen sozialen Preis bezahlen muss, Menschenrechte auf der Strecke bleiben oder die Klimazerstörung weiter angeheizt wird. Die Alternative dazu liegt klar auf der Hand, siehe nächster Abschnitt.

 

V. Was kann schnell an sinnvollen Maßnahmen umgesetzt werden? Was fordern wir als LINKE?

Laut einer aktuellen Stellungnahme des „Ökoinstituts“ könnten mindestens 10 Terawattstunden Strom in der Industrie im Bereich der Motoren, Beleuchtung und Prozesskälte relativ kurzfristig eingespart werden und sich sogar wirtschaftlich rechnen. Das entspräche der Strommenge, die die Braunkohlekraftwerke der bisherigen Sicherheitsbereitschaft bei 5.500 Volllaststunden produzieren würden. Das müsste vor allem durch Ordnungsrecht umgesetzt werden.[5] Die bisherigen Entwürfe der Bundesregierung adressieren diese Potenziale jedoch nur unzureichend. Mit dem Energiesicherungspaket von Juli 2022 wurden jetzt zumindest einige Maßnahmen konkreter benannt (obligatorische Heizungschecks, Austauschpflicht für ineffiziente Heizungspumpen, Heizverbot für mit Gas beheizte Swimming Pools, Unternehmen mit Energie- und Umweltmanagementsystem sollen zu rentablen Einsparmaßnahmen verpflichtet werden), wenngleich die entsprechenden Verordnungen noch auf sich warten lassen. Doch immer noch klaffen noch große Lücken in Hinsicht auf Energieeinsparung und Wärmewende.

Ein Hebel ist die Verringerung der Raumtemperatur. Ein Grad weniger bedeuten immerhin sechs Prozent Gaseinsparung bei der Raumwärme. Allerdings brauchen alte Menschen und viele Kranke deutlich höhere Temperaturen als Jüngere und Gesunde. Die Frage ist also, wie so etwas sinnvoll und sozial umgesetzt werden kann und vor allem, wie es gewährleistet werden soll, dass es nicht zulasten von Menschen mit wenig Geld geht, während Besitzer*innen von Eigenheimen oder gar Reiche mit beheizten Wintergärten außen vor bleiben. Die bisherige Politik der Bundesregierung stimmt da wenig optimistisch. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass Konzerne entlastet oder gerettet werden (zuletzt etwa der fossile Riese Uniper), die Profiteure der Corona-Krise und des Krieges also verschont bleiben, während die große Mehrheit der Bevölkerung zum Sparen aufgefordert wird und breite Entlastungen mit dem Verweis auf die Schuldenbremse ausbleiben.

Konkret hat Bundesregierung mit den ersten beiden Entlastungspaketen vor allem auf die Effekte der CO₂-Bepreisung im Bereich Wärme und Verkehr reagiert sowie (teilweise) auf die Wirkung der externen Verteuerung der Energieimporte, wie sie seit Herbst 2021 zu beobachten ist. Ein Großteil der Maßnahmen war mit Blick auf einen kurzfristigen Horizont unterstützenswert. Allerdings sind die Energiepreise in Folge des Ukraine-Krieges weiter gestiegen, gingen Renter*innen, Student*innen und andere Gruppen weitgehend leer aus.

Aktuell soll die Rettung des deutschen Gas-Großimporteurs Uniper (und wohl auch von weiteren Importeuren) von den Verbraucher*innen mit einer Umlage von rund zwei Cent auf den ohnehin explodierenden Gaspreis bezahlt werden. Das Unternehmen, welches übrigens den Bau von Nord Stream 2 mitfinanzierte, steht vor dem Dilemma, dass mit Gazprom vertraglich zugesicherte Gaslieferungen ausfallen. Die Fehlmengen muss Uniper als Vorlieferant für Stadtwerke, Regionalversorger und Industrieunternehmen nun anderswo am Weltmarkt einkaufen - zu enormen Mehrkosten. Der geplante Einstieg des Staates bei Uniper und das bis zu 6 Mrd. Euro schwere Rettungspaket für die Importeure setzt zwar am Anfang der Lieferkette an und nimmt damit einen Teil des finanziellen Drucks auf die Kunden der Importeure (Stadtwerke etc.), bezahlen sollen das aber einmal mehr die privaten Haushalte. Das ist unhaltbar. Hier muss die Bundesregierung das Groß finanzieren und sich die Mittel unter anderem von den Krisengewinnlern (Stichwort Übergewinnsteuer, insbesondere Profite im Bereich Strom- und Mineralölwirtschaft) zurückholen.

Übrigens hat sich die energieintensive Wirtschaft schon früh aus dem Bundeshaushalt eine 5 bis 6 Milliarden schwere Entlastung von den steigenden Energiepreisen gesichert[6]. Diese wird wahrscheinlich Effizienzbemühungen in den Unternehmen abbremsen, und damit tendenziell die Nachfrage nach Gas und Öl genauso treiben wie die Brennstoffpreise. Indirekt füllt das Putins Kriegskasse. Hier sollte nur den Unternehmen geholfen werden, die es tatsächlich zum Überleben brauchen.

DIE LINKE steht vor einer dreifachen Herausforderung: Wir müssen glaubwürdig auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine reagieren, ohne einer Militarisierung und einer Absage an Friedenspolitik und Diplomatie das Wort zu reden. Gleichzeitig müssen wir das mit einer linken Energie- und Klimapolitik verbinden, die die Versäumnisse der Vergangenheit und das aktuelle fossile Rollback kritisiert und Alternativen für eine Politik der Klimagerechtigkeit aufzeigt. Und schließlich brauchen wir als Partei sozialer Gerechtigkeit Antworten auf die Preisexplosion bei Energie, Nahrung und letztlich auch Mieten. Alle drei Punkten sind gegenwärtig untrennbar miteinander verknüpft. Wie das nach vorne aufzulösen ist, haben unlängst angesichts des 100-Milliarden-Aufrüstungspakets unsere vier Regierungs-LINKEN mit ihrer Initiative „Energiewende für alle“, für ein „Sondervermögen für Energiesicherheit, Energiesouveränität und ökologische Transformation“ demonstriert.[7]

Im Herbst und Winter wird es mit großer Wahrscheinlichkeit Proteste gegen steigende Energie- und Nahrungsmittelpreise geben.[8] Die Rechtsradikalen stehen bereits in den Startlöchern, um die Lücke, die die Ampel-Regierung im sozialen Bereich lässt, mit ihren rassistischen, menschenverachtenden Slogans zu füllen und zu einer rechten „Mobilmachung“  zu vereinen, die letztlich an den Grundfesten unserer Demokratie rüttelt.[9] FDP, SPD, Grüne sind nicht willens und in der Lage, angemessen darauf zu reagieren und die notwendigen sozial- und klimapolitischen Maßnahmen zu ergreifen. Die Unionsparteien, darauf deuten aktuelle Äußerungen von Friedrich Merz zu „Cancel Culture“ und „Öko-Lobby“ hin, drohen in einen Populismus zu verfallen, der reaktionäre Ressentiments stärkt und den Rechtsradikalen den roten Teppich ausrollt. Die Frage ist: Ist DIE LINKE als Partei und die gesellschaftliche Linke insgesamt in der Lage, einzugreifen und populäre Antworten zu geben, die nicht Fake News bedienen, sondern reale Veränderungen in den Mittelpunkt stellen? Und zwar mit dem Ziel, unsere Gesellschaft gerechter und solidarischer zu machen? Das würde auch die Bereitschaft bedeuten, überall, wo sie entstehen, Proteste zu fördern, zu begleiten und eigene Positionen einzubringen.

Als Fazit bedeutet das bezogen auf den Zusammenhang von Energie-, Klima- und Sozialpolitik:

  1. Schnell umzusetzende Maßnahmen vorschlagen und stark machen, wie verpflichtenden Effizienzvorgaben für Gebäude und Industrie, ein sofortiges Einbauverbot für Öl- und Gasheizungen in Neubauten, den schrittweise Abbau fossiler Subventionen, wie etwa das Dienstwagenprivileg (ca. 65 Milliarden jährlich), sowie ein Tempolimit 30/80/120 (gut für Umwelt und Klima, spart nicht nur Erdöl, sondern auch Erdgas, das zur Herstellung von Benzin, Diesel und AdBlue benötigt wird).
  2. Energie-, Verkehrs- und Wärmewende auch mit längerem Horizont vorantreiben ist die zentrale Antwort auf Energiekrisen und explodierende Preise. Dazu haben wir sowohl in unserem Programm zur Bundestagswahl als auch in unserem sozial-ökologischen Leitantrag zum Bundesparteitag weitreichende Vorschläge gemacht.[10] Auch der Aktionsplan Klimagerechtigkeit der Linksfraktion aus der letzten Legislaturperiode – auch wenn er an einigen Stellen an die aktuelle Lage angepasst werden müsste – bietet ein umfassendes Programm, wie Klimaschutz mit links zu machen ist.[11] Nicht zuletzt bietet die Rosa-Luxemburg-Stiftung einen umfangreichen Fundus an Studien, Grundsatzpapieren, Artikeln zum sozial-ökologischen Umbau unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft an, dessen wir uns als LINKE häufiger bedienen sollten.[12]
  3. Gezielte Entlastungen für die übergroße Mehrheit bei Energiepreisen, Nahrung und Mieten, während die Kriegs- und Krisenprofiteure zur Kasse gebeten werden durch Übergewinn- und Vermögenssteuer. So haben wir etwa ein Entlastungspaket vorgeschlagen, mit Gaspreisdeckel, Grundkontingenten und weiteren Entlastungen, das kurzfristig vor allem einkommensschwachen Haushalten hilft, mittelfristig Klimaschutz gerechter macht.[13] Unsere Vorsitzende Janine Wissler hat linke Maßnahmen angesichts der Energiekrise aufgezeigt.[14] Und gemeinsam haben die Vorsitzenden von Partei und Fraktion fünf Punkte fünf Punkte gegen Gaskrise und steigende Preise vorgestellt.[15]

Wir sind überzeugt: DIE LINKE ist gut aufgestellt für die Auseinandersetzungen in Herbst und Winter, wenn es uns gelingt, unsere Vorschläge gemeinsam in die Öffentlichkeit zu tragen. Dann werden wir auch unser Profil schärfen können als Partei für Frieden, soziale und Klimagerechtigkeit und dazu beitragen, dass diese Gesellschaft nicht gespaltener, sondern solidarischer und gerechter aus den gegenwärtigen Krisen hervorgeht.

Quellen:

[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/06/PD22_233_43312.html

[2] https://www.rosalux.de/publikation/id/40912

[3] https://taz.de/Indigene-und-Fluessiggas/!5867062/

[4] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Moskaus-Waffen-Magnaten-entgehen-Sanktionen-article23437087.html

[5] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw25-pa-klimaschutz-energie-gasverbrauch-899626

[6] https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2022/07/2022-07-14-hilfsprogramm-energieintensive-industrie-startet.html

[7] https://www.links-bewegt.de/de/article/529.energiewende-für-alle-sondervermögen-für-energiesicherheit-energiesouveränität-und.html

[8] https://www.berliner-zeitung.de/news/energie-proteste-fast-jeder-zweite-deutsche-will-auf-die-strasse-demonstration-nancy-faeser-bauern-li.248473

[9] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/energiekrise-und-inflation-wie-rechtsextremisten-ihre-anhaenger-fuer-einen-wutwinter-mobilisieren-a-d61b5838-a020-4bff-8af5-438754c72afb?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

[10] https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteitag/erfurter-parteitag-2022/live/detail/leitantrag-l01-gemeinwohl-statt-profit-klimagerechtigkeit-statt-aufruestung/

[11] https://www.linksfraktion.de/themen/dossiers/klimagerechtigkeit/

[12] https://www.rosalux.de/themen/gesellschaftliche-alternativen/sozialoekologischer-umbau

[13] https://www.die-linke.de/start/linke-entlastungspaket/

[14] https://www.die-linke.de/start/presse/detail/linke-massnahmen-fuer-versorgung-in-moeglicher-energiekrise/

[15] https://www.die-linke.de/start/nachrichten/detail/fuenf-punkte-gegen-die-drohende-gaskrise-und-drastisch-steigende-preise/