Die Linke muss sich erneuern
Gastkommentar von Melanie Wery-Sims im Volksverpetzer
Eins will ich direkt vorweg als Mitglied des Bundesvorstandes klarstellen: Ich möchte weder die eine oder andere Strömung verteidigen oder irgendein „Lager“ angreifen, auch möchte ich die Partei nicht zerpflücken. Ganz im Gegenteil, die Zukunft der Partei liegt mir am Herzen! Ich schreibe diese Worte, da mir DIE LINKE wichtig ist, da ich Angst habe, dass wir gesellschaftlich immer weiter nach rechts, in die Bedeutungslosigkeit kippen und ganz besonders da ich weiß, dass sie gebraucht wird. Mir geht es um die Menschen, die nur durch linke Politik gesehen und beachtet werden – aber aus diesem Grund muss sich unsere Partei erneuern.
Die Linke muss sich erneuern
Diese Erneuerung, ich würde es sogar Neustart nennen, muss meines Erachtens auf drei Säulen stehen:
- Die ehrliche und konsequente Aufarbeitung und künftige Prävention von Sexismus, Diskriminierung, Mobbing, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt innerhalb unserer Partei.
- Eine komplette Umstrukturierung, u.a. zur Durchbrechung von Machtbündnissen und für den Aufbau von modernen, familienfreundlichen Strukturen.
- Einer programmatischen Neuaufstellung, um künftig Leerstellen und schwindende Deutungshoheit zu vermeiden.
Lasst mich kurz auf den größten Dissens in unserer Partei eingehen, denn eines unserer Kernthemen scheint zugleich auch unser Damoklesschwert zu sein. Was stellen wir uns unter einer linken Außenpolitik vor? Mir ist vollkommen bewusst, woher unsere Partei kommt und welche Verantwortung wir tragen. Auch möchte ich nicht kleinreden, wie groß der Schock war, der am 24. Februar durch unsere Partei ging.
Das Russland-Problem bei der Linke
Natürlich aufgrund der Geschehnisse an sich, aber auch, da für viele in der Partei die Bindung zu Russland wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Einige Genoss*innen gingen dadurch erst einmal in eine Art Kokon, um die eigenen Grundpfeiler wieder aufzubauen und vielleicht umzustellen. Dies verdient meiner Meinung nach großen Respekt. Es gab aber auch die zweite Seite der Medaille: denn andere fühlten sich in ihrer Sicht bestätigt.
In ihrer Sicht auf die USA, auf Deutschland, auf die Medien und auf andere Genoss*innen, die nun ganz klar Position ergriffen (oder dies schon vorher getan hatten), indem sie Putin öffentlich verurteilen und den Angriffskrieg als solchen bezeichnen – und dies ohne jeglichen Whataboutism. Versteht mich nicht falsch, natürlich ist dieser Krieg weitaus komplexer und besteht nicht nur aus Schwarz und Weiß. Problematisch wird es aber, wenn Putins Vorgehen gerechtfertigt und dadurch legitimiert wird. Ihr wisst, von welchen Personen ich spreche, ohne deren Namen nennen zu müssen.
Verhärtete Fronten
Anstatt sich dem Dissens zu stellen und eine ehrliche Debatte zu führen, geht man ihr aus dem Weg, und zwar seit etlichen Jahren – mittlerweile hat sich der Frust auf allen Seiten jedoch so sehr aufgestaut, dass die „Fronten“ verhärtet sind und immer weiter provoziert und polarisiert wird. Der Fokus liegt scheinbar nicht mehr auf wirklicher Friedenspolitik, sondern auf dem innerparteilichen Sieg des eigenen Lagers.
Stellt man Positionen in Frage, da sich diese durch viele Aspekte im Laufe der Jahre verändert haben, wird man als Kriegstreiber*in bezeichnet oder bekommt das Erfurter Programm verbal um die Ohren geschlagen. Das Programm wurde vor 10 Jahren beschlossen und war bereits damals eine Kompromisslösung, mit der eigentlich niemand so wirklich zufrieden war. Hier müssen wir einen ehrlichen Findungsprozess herbeiführen, natürlich ohne unsere friedenspolitischen Grundsätze zu verraten, aber progressiv und an die Realitäten angepasst.
Machtmissbrauch bei den Linken
Doch nun komme ich zu dem Thema, das mir gerade akut auf dem Herzen liegt. Denn viele verschiedene Artikel in der Presse legten die Karten auf den Tisch, die schon lange hätten gezeigt werden müssen. Karten, die mir persönlich auch bereits vor einigen Jahren gezeigt wurden: Sexismus, sexualisierte Gewalt, Machtmissbrauch, Täterschutz.
Als ich vor ca. 6 Jahren Mitglied der Partei DIE LINKE. wurde, tat ich dies als Mama von 4 Kindern, als gelernte Fremdsprachenassistentin, als Veganerin, als Arbeiter*innenkind … Aber auch als Überlebende von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe.
Ich trat in die Partei ein, um nun selbst die Dinge zu verändern, die mich in der Vergangenheit zur Weißglut brachten: beispielsweise die scheinbar grenzenlose Respektlosigkeit gegenüber der Natur und den Tieren, die darin leben oder das unfaire Bildungssystem, das viele Kinder auf der Strecke lässt oder auch die fehlende, präventive Arbeit gegen Diskriminierung aller Art. Aber natürlich auch der Kampf gegen jedweden frauenfeindlichen Aspekt innerhalb unserer Gesellschaft.
Übertriebener interner Streit
Schnell lernte ich, dass viele innerhalb der Linken genau meine „Herzensthemen“ als sogenannte Orchideenthemen bezeichnen. Egal, dachte ich mir, Orchideen sind meine Lieblingsblumen und so fühlte es sich nie wie etwas Negatives an, auch wenn ich weiß, dass es so gemeint war. Denn so versuchen einige „Genossen“, die sogenannten soften Themen und damit auch diejenigen, die sich damit beschäftigen, lächerlich zu machen und zu degradieren. Dabei sind Diskriminierung bzw. generell alle Arten von Ungerechtigkeiten Querschnittsthemen, die einfach alle Bereiche betreffen. Wenn wir über Löhne sprechen, müssen wir über den Gender-Pay-Gap reden. Wenn wir über Altersarmut sprechen, müssen wir über Care-Arbeit reden. Und wenn wir über Klimaschutz sprechen, müssen wir auch über Massentierhaltung reden.
Doch das scheinen einige nicht verstehen zu können oder wollen und eröffneten einen internen Streit, den außerhalb niemand und innerhalb der Partei auch nur wenige verstehen. Doch der Streit wird leidenschaftlich geführt und von prominenten Gesichtern immer wieder erneut angefeuert, wenn die Glut zu erkalten scheint.
Das Kernproblem liegt aber noch viel, viel tiefer.
Als ich in die Partei kam, dachte ich, DIE LINKE sei ein Safe Space. Schließlich schreiben wir uns Feminismus und Emanzipation auf die Fahne. Für mich war eigentlich klar, dass eine Partei, die eine offene Gesellschaft fordert, auch selbst ein Spiegel dessen sein sollte. Doch bereits nach kurzer Zeit zerplatzte diese Erwartung wie eine Seifenblase. Ich bin fleißig, lerne schnell und bringe mich gerne ein – diese Eigenschaften kamen gut an. Als ich dann aber irgendwann laut über meine Schwerpunkte nachdachte, kamen die ersten Barrieren. Da ich selbst pansexuell bin und damit bewusst offen umgehe, war es für mich von Anfang an klar, dass einer meiner Schwerpunkte queere Politik sein muss.
Ein damaliger, älterer Genosse, der im Prinzip mein erster wirklicher Ansprechpartner innerhalb der Partei war und mich „unter seine Fittiche“ nahm (in Wahrheit war der Gedanke ein anderer, aber dazu komme ich später), riet mir sofort davon ab. Dies würde nicht zu meinem Profil passen und es wäre unglaubwürdig. Heutzutage wäre ich wütend über diese Aussage, damals war ich irritiert und verunsichert – meine Reaktion war aber die Gleiche, denn ich machte es einfach trotzdem. Manchmal ist es eben doch gut, ein Sturkopf zu sein. Aber die Problematik wurde mir später bewusst: viele Männer in der Linken nutzen Frauen strukturell aus, um sich selbst zu profilieren. Diejenigen, die sich kein eigenes Machtbündnis, z.B. durch ein Abgeordnetenmandat und die vielen damit verbundenen Stellen, aufbauen können, schaffen andere Abhängigkeiten und Drucksituationen. Nicht alle tun dies, aber viel zu viele.
Von meinen eigenen Erfahrungen
Der Mann, von dem ich eben sprach, unterstützte mich, bis ich ihm zu „aufmüpfig“ wurde. Als ich mich über ihn beschwerte, unter anderem aufgrund von übergriffigem Verhalten, das noch zu vielen anderen Powerplays hinzukam, passierte etwas ganz Eigenartiges: Ich geriet in einen Lagerkampf, den ich damals überhaupt nicht verstand. Ich war zu der Zeit selbst Mitarbeiterin des Rheinland-Pfälzischen Landesverbandes. Ich möchte gar nicht zu sehr ins Detail gehen, aber damit sagen, dass die Probleme, die in der Presse dargestellt wurden, sich nicht auf zwei Landesverbände beschränken lassen. Es ist ein tiefliegendes, strukturelles Problem, das man auch nicht durch ein „es ist ein gesellschaftliches Problem, also passiert dies natürlich auch bei uns“ entschuldigen oder irgendwie schönreden kann.
Mir wurde gesagt, dass mein Hang zu hohen Stiefeln, unprofessionell wirke und ich mich doch eher so wie Sahra Wagenknecht anziehen soll. Mir wurde gesagt, meine Bilder auf Social Media würden zu viel Haut zeigen, was der Partei unwürdig sei – ich solle sie löschen. Und mir wurde gesagt, ich sei ein unpolitischer Mensch, da ich andere Wege gehe als klassische Politiker. Und ich wurde von einem Abgeordneten angeschrien, als ich nicht mit ihm ins Hotel gehen wollte… Auch hier möchte ich nicht ins Detail gehen, aber mich dafür entschuldigen, dass ich nicht früher laut war. Ich hatte versucht, es mit mir selbst auszumachen, auch und gerade nachdem meine erste Beschwerde so extrem nach hinten losgegangen war.
Neustart für die Linke war immer mein Anliegen
Meine Kandidatur für den Landesvorsitz stand für mich jedoch auch deshalb unter dem Zeichen des Neustarts und ich danke den Genoss*innen, die diesen beschwerlichen Weg mit mir gegangen sind und immer noch gehen, aus tiefstem Herzen. Vieles, das ich hier aufgeschrieben habe, war ihnen nicht bekannt und dennoch war besonders das Empowerment der Genossinnen überwältigend. Es ist mir wichtig, dies zu erwähnen, da eben nicht alle Linke frauenfeindlich und unsolidarisch sind. Ganz im Gegenteil. Die meisten von uns kamen durch ein großes Gefühl der Empathie mit anderen zur Partei; da wir denjenigen eine Stimme geben wollen, die selten bis gar nicht gehört werden.
Weil wir an ein gerechtes Leben und ein faires Miteinander glauben. Aber wir sterben innerlich, wenn wir merken, dass dies vielleicht unerreichbar ist, da es Kräfte innerhalb der Partei gibt, die unsere Forderungen und Prinzipien vielleicht nach außen hin vertreten, aber in Wahrheit genau für das Gegenteil stehen. Ich stand in den letzten Wochen mehr als einmal vor der Entscheidung, weiterzukämpfen oder der Linken den Rücken zu kehren und habe mich immer wieder für das Kämpfen entschieden, eben weil es so viele wunderbare Genoss*innen bei uns gibt. Zudem sehe ich es nicht ein, denjenigen die Partei zu überlassen, denen ihre eigene Karriere wichtiger ist als unsere Aufgabe, Lobby für diejenigen zu sein, die sonst keine haben.
Wir müssen gemeinsam die Partei erneuern
Und erst recht werde ich es nicht zulassen, dass weiterhin Personen Teil unserer Partei sind, die anderen Menschen seelische, körperliche und/oder sexualisierte Gewalt antun, dabei wegschauen, das Handeln dazu begünstigen oder es sogar honorieren.
Deshalb rufe ich alle Genoss*innen, die auch weiterhin an das große Ganze glauben, dazu auf, sich mir anzuschließen und für einen Neustart der Linken zu kämpfen. Deutschland braucht eine starke, linke, feministische und emanzipatorische Kraft und DIE LINKE braucht Euch.
Lasst uns gnadenlos ehrlich zueinander sein, Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung. Lasst uns Hierarchien abbauen und Machtbündnisse durchbrechen.
And last but definitely not least: Lasst uns endlich die Partei sein, die unserem Namen gerecht wird.
Der Gastkommentar von Melanie Wery-Sims erschien im Webmagazin Volksverpetzer, den wir mit Zustimmung der Autorin und des Magazins dokumentieren.