Rechte Reserve
Über die Reserve können waffenbegeisterte Neonazis an Waffen kommen, im Verein schießen üben und als Mitglieder auch eigene Gäste mit zu den Schießübungen mitbringen. So bietet der Staat unfreiwillig eine Übungsstruktur für Rechtsextreme, die an ihrer Waffentauglichkeit feilen wollen. Im März 2018 stellte Martina Renner im Bundestag die Kleine Anfrage „Extrem rechte Vorfälle und Verdachtsfälle im 'Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V.'“ (VdRBw). Darin fragte sie auch „Beabsichtigt die Bundesregierung, den Reservistenverband anzuweisen, in noch zu prüfenden Verdachtsfällen den Zugang zu Waffen zu verwehren, und wenn nein, warum nicht?“. Immerhin erhält der VdRBw einen jährlichen Zuschuss aus dem Bundeshaushalt. Im vergangenen Jahr waren das über 18 Millionen Euro. Auch Patrick Sensburg, CDU-Bundestagsabgeordneter und Präsident des VdRBw, wies erst kürzlich darauf hin, dass sich der Verband zum großen Teil aus Steuermitteln finanziert. Trotzdem beruft sich die Bundesregierung darauf, „gegenüber dem VdRBw e. V. kein Weisungsrecht“ zu haben. Die Ankündigung des Verbandspräsidenten, jetzt „alle knapp 115.000 Mitglieder noch einmal angucken [zu] müssen“, ist zu begrüßen – sie kommt nur wieder einmal viel zu spät und reagiert lediglich auf öffentlichen Druck, statt selbst aktiv zu werden. Sollte der Reservistenverband wirklich den „Dienst an dieser Demokratie“ als seine Aufgabe ernstnehmen, braucht es neben dem konsequenten Rauswurf entsprechender Mitglieder offenbar auch eine kontinuierliche Sensibilisierung der Verbandsstrukturen im Umgang mit rechts. Der dringende Handlungsbedarf besteht schon lange, wie die folgende unvollständige Auflistung von Fällen aus den letzten Jahren belegt:
Lange Liste mit rechten Vorfällen
Im Raum Leipzig fliegen 2011 NPD-Mitglieder auf, die den Reservistenverband nutzen, um Zugang zu Schusswaffen zu erhalten. Eine der damals beteiligten Personen gehörte in der Vergangenheit genau der Burschenschaft an, aus der heraus sich die braune Prepper-Gruppe rekrutiert haben soll, über die jüngst die „taz“ berichtete. 2011 handelte es sich um mehrere NPD-Politiker, die wiederholt an Waffenübungen des Reservistenverbandes teilgenommen hatten. In einer Mail hieß es, man habe „auch Waffenbesitzkarten und entsprechende Waffen (Pistolen und Gewehre) durch den Reservistenverband der Bundeswehr in Leipzig erhalten."
Die Mitgliedschaft im Reservistenverband bringt nicht nur die Möglichkeit mit sich, an Waffen zu üben, sondern war auch das Ziel der NPD-Strategie, Vereine und Verbände zu unterwandern und infiltrieren, wie ein weiterer Fall aus dem Jahr 2011 aus Nordhessen zeigt. Als die „Kurhessische Marschgruppe Hürtgenwald“ des Reservistenverbandes Aufgaben beim „Tag des offenen Denkmals“ bei Witzenhausen übernimmt, wirken dabei auch der ehemalige Vize-Vorsitzender der nordhessischen NPD und ein weiterer bekannter Neonazi mit, die auch als Teilnehmer von neonazistischen Aufmärschen aufgefallen waren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, beim Reservistenverband aber merkte niemand etwas.
Hitlerbilder und Hakenkreuze
2017 veröffentlichen drei Mitglieder des Reservistenverbandes aus Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen auf ihren Facebook-Seiten Hitler-Bilder, Hakenkreuze, antisemitische Parolen und volksverhetzende Aufrufe.
Auch der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, Stephan E., und sein Mitangeklagter Markus H. übten das Schießen mit Bundeswehrreservisten. Die beiden Neonazis waren im Sommer 2018 mindestens zwei Mal Gäste der Reservistenkameradschaft Germania, die einmal im Monat einen Großkaliberstand der Schützengesellschaft 1553 Grebenstein im Landkreis Kassel gemietet hatte.
2018 berichtet die taz über rechte Umtriebe beim Reservistenverband, dieses Mal in Mecklenburg-Vorpommern. Dort nahm 2011 ein neuer Mitarbeiter des Verbandes seine Arbeit auf, der zu diesem Zeitpunkt in der Gewalttäterdatei „Sport“ geführt wird. Bis 2014 hortete er auf seinem Rechner hunderte Dateien mit Rechtsrock. Weitere solcher Dateien finden sich auf seiner privaten Festplatte, auch eine Datei mit dem Buch „Mein Kampf“ befindet sich darauf. Vier Jahre später arbeitet er noch immer für den Reservistenverband, dort hatte niemand eine Strafanzeige gegen ihn gestellt.
Ein Professor auf Abwegen
Unter den Spendern für den Kopf der „Identitären Bewegung“ (IB) in Österreich, Martin Sellner, befindet sich im Frühjahr 2018 auch Prof. Markus K. von der TH Ulm. Als Mitglied der „Anti-Antifa-Gruppe Volkswille“ war er 1993 wegen eines Sprengstoffvergehens verurteilt worden. Er war Mitglied der Burschenschaft Libertas Brünn, der NPD Aachen und Funktionär der Reservistenkameradschaft Ulm.
Im Zuge der Veröffentlichungen zum „Nordkreuz“-Komplex stellt sich heraus, dass Mitglieder der „Nordkreuz“-Gruppierung dem „Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V.“ (Reservistenverband) angehört haben. Auch beim Verein „Uniter e.V.“, unter dessen Dach es eine kämpfende Einheit im Aufbau gegeben haben soll, wirkten Reservisten mit.
In einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Gießen stellt sich 2020 heraus, dass ein Mann, der 2016 für die NPD kandidiert hatte, dem Reservistenverband der Bundeswehr angehörte und dort regelmäßig an Schießübungen teilnahm.
Nach der Veröffentlichung der Recherche zu einer Chat-Gruppe extrem rechter Prepper mit dem Namen „Zuflucht Beuden“ wird deutlich, dass mehre Personen der entsprechenden Chat-Gruppe in einem Kreisverbindungskommando (KVK) der Reservisten eingesetzt sind, eine Person war langjähriger Funktionär im sächsischen Reservistenverband.
Martina Renner ist stellvertretende Parteivorsitzende und Mitglied des Bundestages, im Innenausschuss und stellvertretend im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz