Das Entlastungspäckchen ignoriert das Überleben
Das Leben ist täglich, nicht einmalig
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hat errechnet, dass Alleinlebende mit einem Nettoeinkommen unter 900 Euro mit 76 Prozent besonders stark vom Entlastungspaket der Bundesregierung profitieren. An erster Stelle - mit 90 Prozent - stehen allerdings Paare mit zwei Kindern und einem Nettoeinkommen von 2.000 Euro bis 2.600 Euro. Mit immerhin noch 77 Prozent folgen Paare mit zwei Kindern und einem Nettogehalt von 3.600 Euro bis 5.000 Euro. Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem Einkommen von 2.000 bis 2.600 Einkommen haben eine 70-prozentige Entlastung. Also, alles prima. Eigentlich. Sozialleistungsberechtigte, sei es mit Hartz IV, aufstockender Grundsicherung im Rentenalter oder aufgrund einer zu niedrigen Erwerbsminderungsrente, die ja durchschnittlich 900 Euro (inkl. Miete) beträgt, profitieren zu 76 Prozent vom Entlastungspaket. Was gibt es da zu jammern? Schaue ich es mir doch mal genauer an. Das Entlastungspaket ist wieder einmal nur eine einmalige Hilfe. So gibt es 200 Euro für Sozialleistungsberechtigte aller Arten, einen einmaligen Familienzuschuss von 100 Euro pro Kind über die Kindergeldstelle, Absenkung der Energiesteuer auf Sprit für drei Monate für alle Autofahrer:innen (voraussichtlich ab Juni), verbilligte ÖPNV Tickets für drei Monate à 9 Euro (voraussichtlich ab Juni), einen einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 230 Euro für BAföG Studierende und Auszubildende mit Ausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld sowie 270 Euro für Wohngeld-Empfänger:innen, bzw. 350 Euro für zwei wohngeldberechtigte Personen und 70 Euro für jede weitere Person im Haushalt.
Essen, Trinken ist nicht einmalig
Das Konto füllt sich somit im Sommer ein wenig. Aber nur einmalig. Essen, Trinken, das Leben allgemein, ist mehr als einmalig. Es ist täglich. Wir haben mit rund sieben Prozent derzeit die höchste Inflation seit über vierzig Jahren. Die Grundsicherungen haben sich in diesem Jahr um drei Euro bei den über 18-jährigen erhöht. Bei den Kindern und Jugendlichen um zwei Euro. Natürlich ignoriere ich nicht den monatlichen 20-Euro-Sofortzuschlag für Kinder und Jugendliche ab Juli, die von Armut betroffen sind. Aber ehrlich! Wird damit die vorherrschende Kinderarmut spürbar verringert? Und wenn jedes fünfte Kind von Armut betroffen ist, dann ist sie vorherrschend. Und die selbige Frage stelle ich mir beim Entlastungspaket. Die bisherigen zu niedrig gewollten berechneten Regelsätzen bei den Grundsicherungen und dem Asylbewerberleistungsgesetz haben weder den „normalen“ Alltag ohne Inflation ausgeglichen, noch weniger gleichen sie den heutigen Alltag zum Überleben aus. Die Einmalzahlungen fließen hier vermutlich direkt in die Nachzahlungen der Stromkosten, die ja bekanntlich in viel zu geringem Maße von den Jobcentern oder den Grundsicherungsämtern übernommen werden. Die Lobeshymnen der Ampel-Koalition auf das Entlastungspäckchen stinken zum Himmel, wenn ich an die in Armut lebenden Menschen denke. Allerdings verwundert es mich nun auch nicht allzu sehr. Ist es doch die Fortsetzung der letzten 15 Jahren Agenda 2010 Politik: Geiz-ist-geil-Mentalität gegenüber den Menschen, die nicht abhängig erwerbstätig sind. Die nicht mehr unserer Leistungsgesellschaft entsprechen. Die Gründe dafür sind irrelevant. Raus aus dem Erwerbsleben – raus aus den politischen Entscheidungen. Hingeworfen wird ein Brotkrümelchen, wofür sich dann zu bedanken ist. Schließlich hat „man“ ja politisch alles Mögliche getan. Mehr war nicht drin und Geld gibt es ja angeblich nicht. Zumindest nicht für diese Gruppen.
Regelsätze benötigen einen neuen Rechen-Mechanismus
Es stellt sich noch immer für mich die Frage, warum ein Bundesarbeitsministerium, das Soziale traue ich mich schon gar nicht mehr zu schreiben, seit Jahren nicht in der Lage ist, den Mechanismus zur Berechnung der Regelsätze bei den Sozialleistungen kurzfristig so zu verändern, dass er sich an die aktuellen Preissteigerungen anpasst. So könnten die immensen Stromverteuerungen und die steigenden Lebensmittelpreise zumindest stückweise aufgefangen werden. Stattdessen wird dabei zugesehen, wie Tafeln überrannt werden, wie Menschen sich nichts mehr leisten können – und hier geht es um die Frage: Strom oder Essen – oder wie Menschen einfach an etwas anderem sparen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können. Der Zynismus wird dann noch überboten, wenn die Tafeln dafür herhalten müssen, wenn Ämter Sozialleistungsberechtigte zu den Tafeln verweisen. Das Ehrenamt wird so missbraucht, wenn unsere Regierung in der Armutsbekämpfung versagt. Wer nun meint, von Armut Betroffene müssten lauter werden, sei gesagt: Armut ist zumeist leise. Wer mit oder knapp über der Armut lebt, geht damit nicht hausieren. Dass die Rentner:innen im Entlastungspaket nicht wirklich berücksichtigt wurden ist mir bewusst, und wäre eine eigene Kolumne wert.