Die 100 reichsten Deutschen (7)
Es geht um Nazis, Vertreibung, Krieg, Zwangsarbeit und Holocaust: Die Schaefflers
Der Milliardärs-Clan, den ich heute, im siebten Teil meiner deutschen Clan-Familien Serie vorstellen will, geriet erst im Jahr 2020 wieder in die Schlagzeilen, als ihr Familienbetrieb betriebsbedingte Massenentlassungen ankündigte.
Etwa 4.400 Stellen sollen bei der Schaeffler AG wegfallen, da der Autozulieferer aufgrund der Coronakrise in die roten Zahlen rutschte und 2020 einen Verlust von 186 Millionen Euro verzeichnete.
Zwar kehrte Schaeffler schon im ersten Quartal 2021 mit einem Überschuss von 235 Millionen Euro in die Gewinnzone zurück, bei den Stellenkürzungen soll es aber bleiben. Während tausende Beschäftigte nun um ihren Arbeitsplatz bangen, können die Manager der Schaeffler AG der Situation allerdings auch Positives abgewinnen:
»In der Krise ergeben sich jede Menge Chancen, auch für Übernahmen«, so der Vorstandsvorsitzende Klaus Rosenfeld, der trotz Stellenabbau weitere Zukäufe nicht ausschließt.
Die Schaeffler-Gruppe, zu der neben der gleichnamigen Aktiengesellschaft auch eine Mehrheitsbeteiligung an der Continental AG gehört, ist einer der weltweit größten Automobilzulieferer. Bei Schaeffler arbeiten heute über 80.000 Beschäftigte an rund 170 Standorten in über 50 Ländern, bei Continental sind es weltweit sogar über 230.000 Beschäftigte.
Das riesige Firmenimperium befindet sich in Familienbesitz.
Maria-Elisabeth Schaeffler hält 20 Prozent der stimmberechtigten Aktien der Schaeffler-Gruppe, ihr Sohn Georg Friedrich Wilhelm Schaeffler die restlichen 80 Prozent.
Doch beide sind nicht nur Konzerneigentümer:innen, sondern bringen sich aktiv in die Unternehmensgeschicke ein – der Sohn als Aufsichtsratsvorsitzender, die mittlerweile fast achtzigjährige Mutter als dessen Stellvertreterin.
Wahre Unternehmer:innen also, die sich mit Fleiß, Innovation und Geschäftssinn hochgearbeitet haben? Nicht ganz. Beide haben - wie fast alle deutschen Superreichen - ihren Reichtum geerbt. Doch anders als bei den Reimanns oder den Quandts muss man nicht Generationen zurückblicken, um dem Ursprung des Vermögens auf die Spur zu kommen: Es war der Vater bzw. Ehemann, Georg Schaeffler Senior, der den Weltkonzern gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm schuf. So heißt es auf der Webseite der Schaeffler Gruppe: »Die Brüder Schaeffler begannen 1946 mit Mut, Kreativität und Weitblick ihr unternehmerisches Engagement in Herzogenaurach. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern legten sie den Grundstein für die heutige Schaeffler Gruppe, eine der großen Erfolgsgeschichten der deutschen Industrie.«
Tatsächlich begann die »Erfolgsgeschichte« jedoch schon ein bisschen früher.
Spoiler: Es geht um Nazis, Vertreibung, Krieg, Zwangsarbeit und Holocaust – der fast schon übliche Werdegang deutscher Milliardäre also.
Auf der Konzern-Homepage klingt das dann so: »Die Vorgeschichte der Schaeffler Gruppe begann in Katscher in Oberschlesien. Dort übernahm [sic] Dr. Wilhelm Schaeffler ein Textilunternehmen, das später auch Metallprodukte [sic] fertigte.«
Tatsächlich war die »Übernahme« dem für die Schaeffler-Brüder glücklichen Umstand zu verdanken, dass der jüdische Inhaber des Textilunternehmens 1933 vor den Nazis fliehen musste. Sein Konzern, die Davistan AG, fiel an ein Bankenkonsortium. Die Dresdner Bank, bei der Wilhelm Schaeffler seit 1937 als Wirtschaftsprüfer tätig war, bot ihrem Angestellten die die Firma deutlich unter Wert an. Der Kauf erfolgte im Oktober 1940.
Kurz darauf trat Schaeffler der NSDAP bei, wie es sich für einen deutschen Industriellen gehört. 1942 beseitigte er den jüdisch klingenden Namen der Firma und sein Bruder Georg stieg mit ins Unternehmen ein, das fortan nicht nur Textilien, sondern auch Rüstungsgüter produzierte – Abwurfgeräte für die Luftwaffe, Brandbomben, Nadellager für Panzer, Wehrmachtswesten, Matratzen und Mäntel.
Das Unternehmen setzte dabei Zwangsarbeiter:innen aus Frankreich, der Sowjetunion und Polen ein. Letztere waren im Polenlager 92 in Katscher unter besonders schrecklichen Bedingungen interniert, da es sich vor allem um Menschen handelte, die durch aktiven oder passiven Widerstand gegen die Nazis aufgefallen waren.
Nach Kriegsende flohen die Schaefflers mitsamt hunderten Mitarbeiter:innen und zig Eisenbahnwaggons voll Maschinen und Rohmaterialien nach Bayern in die amerikanische Besatzungszone. Bei der Durchsuchung der verlassenen Fabriken in Katscher wurden tonnenweise Haarbündel gefunden, die sich als Menschenhaar entpuppten, in dem Spuren von Blausäure nachgewiesen werden konnten, dem Hauptbestandteil des Tötungsgases Zyklon B. Das Haar stammte offensichtlich aus dem Vernichtungslager Auschwitz.
Doch die Schaefflers hatten all das längst hinter sich gelassen und setzten ihre »Erfolgsgeschichte« im fränkischen Herzogenaurach fort. Von dort aus expandierten sie in alle Welt und scheffelten Milliarden – nicht zuletzt auf dem Rücken von Arbeiter:innen in Niedriglohnländern, für die der Konzern großzügigerweise die Mitgliedschaft in Scheingewerkschaften selbst abschließt.
Nach dem Tod der Brüder übernahmen ab 1996 Georg Schaefflers Witwe und ihr gemeinsamer Sohn die Geschäfte. Unter ihnen entwickelte sich der Industriekonzern immer mehr zu einem Investmentgeschäft, mit feindlichen Übernahmen zahlreicher Konkurrenten, die ihren Höhepunkt fanden, als das Familienunternehmen den weit größeren Börsenriesen Continental AG schluckte – ein Deal, bei dem sich die Schaefflers beinahe verschluckt hätten, als 2009 im Zuge der Finanzkrise die Aktienkurse ins Bodenlose fielen und zwischenzeitig Staatshilfen in Milliardenhöhe im Gespräch waren. Als ausgerechnet dann Fotos der Milliardärin im Pelzmantel mit Champagner in Kitzbühel an die Öffentlichkeit gelangten – ihrem Zweitwohnsitz, zu dem sie regelmäßig im Privatjet reist –, geriet die umtriebige Unternehmerin ins Sperrfeuer der Boulevardpresse: »Frau Milliardärin braucht Staatsknete«, so die unschöne Schlagzeile.
Verdammte Neidgesellschaft aber auch!