Ein Krieg ist vermeidbar
Der Ausweg aus dem Russland/Ukraine-Konflikt
Egal, welche Zeitung man aufschlägt, welche Nachrichten- oder Analysesendung man sich ansieht, bei jedem Blick in die sozialen Medien wird man überschüttet mit Informationen, Halbwahrheiten und Fakenews zur bedrohlichen Situation an der Grenze von Russland zur Ukraine. Eine direkte militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO scheint möglich zu sein. Diese Vorstellung ist erschreckend, aber die öffentliche Debatte suggeriert in Deutschland als auch in Russland, dass ein solches Szenario fast unvermeidlich ist.
Der Konflikt setzt eine lange Kette von Bedrohungsszenarien fort
Wir fragen uns, wie konnte eine solche Situation nach den schrecklichen Erfahrungen des letzten Jahrhunderts, der zivilisatorischen Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und dem Ende des Kalten Krieges 1989 entstehen. Allerdings ist die jetzige Zuspitzung nicht vom Himmel gefallen. Sie setzt eine lange Kette von militärischen Bedrohungsszenarien fort, die zumindest in Europa den Kalten Krieg nach 1989 fortgeführt hat. Dazu zählt die weitere Existenz der NATO sowie ihrer Osterweiterung, der völkerrechtswidrige Krieg der NATO gegen Jugoslawien 1999, die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim 2014 und das Denken in geopolitischen Einflusssphären in Washington, Brüssel und Moskau.
Wie aber soll sich eine LINKE in einer Situation verhalten, die durch die Konfrontation imperialer Mächte (Christine Buchholz) gekennzeichnet ist? Der Westen nimmt für sich in Anspruch, in dieser Konfrontation Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, die ihn aber nur interessieren, wenn er sie für seine Konfrontationsstrategie nutzen kann. Weder interessiert ihn die militärische Aggression des NATO-Partners Türkei in Nordsyrien noch die Verzweiflung der Geflüchteten an der polnischen EU-Außengrenze zu Belarus oder im Mittelmeer.
Auf der anderen Seite ist es für uns nachvollziehbar, dass Russland vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen des 20. Jahrhunderts Sicherheitsgarantien vom Westen einfordert. Das trifft allerdings genauso auf die Ukraine zu und auf andere osteuropäische Staaten. Dort fühlt sich ein großer Teil der Bevölkerung sehr wohl von Russland bedroht, spätestens seit der Krim-Besetzung 2014. Vor der aktuellen Drohkulisse an der ukrainischen Grenze gab es in der Bevölkerung der Ukraine keine mehrheitliche Zustimmung für einen NATO-Beitritt. Inzwischen ergeben Umfragen dort eine solche Mehrheit. In der polnischen Linken gibt es den Wunsch nach einer EU-Armee, der mit der Möglichkeit einer russischen Invasion begründet wird.
Was DIE LINKE fordern muss
Trotz der komplizierten Situation ist es möglich, politische Forderungen seitens der LINKEN abzuleiten:
- Jede Erhöhung einer militärischen Präsenz in Osteuropa insgesamt und ganz speziell in der Ukraine erhöht die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung. Deswegen wendet sich die LINKE gegen jedwede Lieferung von militärischer Ausrüstung in die Ukraine, genauso wie gegen eine Verstärkung der Präsenz der NATO in Osteuropa. Darüber hinaus lehnen wir jede Osterweiterung der NATO ab, insbesondere eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine.
- Auf der anderen Seite unterstützt die Linke die Forderung an Russland, den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze zu beenden und auf das gemeinsame Manöver mit Belarus in der Nähe der ukrainischen Grenze zu verzichten.
- Vor dem Hintergrund, dass die NATO schon aufgrund ihrer historischen Entstehung eine Institution der Blockkonfrontation ist, ist sie trotz der 1997 unterzeichneten NATO-Russland-Akte ganz maßgeblich für die Zuspitzung der jetzigen Situation verantwortlich. Sie dient auf Seiten der Putin-Administration zur Legitimation von russischen Ansprüchen gegen seine europäischen Nachbarn. Die Handlungsebene für die Herstellung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa muss deshalb die Wiederbelebung der OSZE und die Reaktivierung der UN in solchen Fragen sein.
- Eine europäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluss von Russland verlangt nach einer europäischen Struktur jenseits der geopolitischen Interessenlage der USA. Da die EU sich aber bisher nicht als eine handlungsfähige Struktur in Europa erwiesen hat, verhandeln die USA und Russland, was bisher nicht zu einer Befriedung der Konflikte in Osteuropa führt, sondern zu deren Zuspitzung. Die EU aber hat objektiv eine andere Interessenlage als die USA. Das trifft in besonderem Maße noch einmal auf die Bundesrepublik Deutschland zu, wie an der Debatte zu Nord Stream 2 deutlich zu erkennen ist. Deshalb stellt sich die Frage, ob die EU als nichtmilitärische Struktur eine aktivere Rolle bei der Aushandlung einer inklusiven europäischen Sicherheitsarchitektur einnehmen muss, um den Einfluss von USA und NATO zurückzudrängen.
- Trotz des medialen Dauerfeuers, das in Wortwahl und Ausrichtung stark an den Kalten Krieg der 60er-Jahre erinnert und in bezeichnender Weise nicht nur die Ampelregierung, sondern sogar den ukrainischen Präsidenten als naive Pazifisten darstellt, verlangt noch immer eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland eine friedliche Verständigung mit Russland, lehnt Waffenlieferungen in die Ukraine ab und hat kein Verständnis dafür, dass Nord Stream 2 aus politischen Gründen nicht in Betrieb genommen wird. Offenbar ist die Mehrheit der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland klüger und weitsichtiger als es in der politischen Debatte den Anschein hat. Daran kann die LINKE anknüpfen. Sich gegen die Konfrontationsspirale im Russland/Ukraine-Konflikt zu wenden, hat nichts mit Blauäugigkeit gegenüber der Putin-Administration zu tun, sondern folgt den Grundsätzen linker Außenpolitik, deren erstes Ziel ist, Kriege zu verhindern.