„Plan A“: Ein Film über die Frage der Gerechtigkeit
- Jürgen Kiontke
Deutschland 1945: Zeichenkünstler Max hat zwar das Grauen der Konzentrationslager überlebt, aber seine Familie verloren. Schuldgefühle schütteln ihn: Als Kommandomitglied hat er die Juden auf den Bahnsteigen von Auschwitz ankommen sehen, sie in die Gaskammern geleitet und anschließend ihr Gepäck durchgewühlt. Hätte er es nicht gemacht, wäre er selbst getötet worden. Die Vergangenheit lässt ihm deshalb noch lange keine Ruhe, zumal er Frau und Kind verloren hat.
Auf der Suche nach seinem früheren Leben besucht er sein Elternhaus, aber dort wohnt nun eine andere Familie. Der Hausvater schlägt Max zusammen und brüllt: „Das ist jetzt mein Haus. Glaub ja nicht, dass wir keine Juden mehr töten könnten, bloß, weil der Krieg vorbei ist!“
Der ist für Max aber gar nicht vorbei. Er schließt sich der Jüdischen Brigade an – jüdische Soldaten unter britischem Kommando, die Kriegsverbrecher und wichtige Köpfe des Nazi-Regimes aufspüren und hinrichten.
Doch die Truppe wird abberufen, und so folgt Max einer Gruppe ehemaliger Partisanen nach Nürnberg. Sie sind sich einig: Die Täter können sie nicht alle kriegen. Die Nürnberger Prozesse? Nur ein paar einzelne Figuren stehen dort vor Gericht. Gerechtigkeit sieht anders aus.
Die Gruppe um Anführer Abba Kovner, mit der Max nun zu tun hat, plant daher einen großen Anschlag: Sie wollen Gift in die Trinkwasserversorgung einspeisen und so dafür sorgen, dass sechs Millionen Deutsche sterben - für die sechs Millionen jüdischen Opfer, die in den KZs umgekommen sind. Dafür schleusen sie sich in die Wasserwerke großer deutscher Städte ein.
Die historische „Nakam“ - hebräisch für Rache -, um die es im Film geht, war eine von ukrainischen Partisanen gegründete jüdische Organisation, die sich das Ziel gesetzt hatte, sich mit dem „Plan A“ genannten Vorhaben für den Holocaust zu rächen und der Welt zu zeigen, dass die Juden in der Lage sind, sich zu wehren.
Gekommen ist es dazu nicht – schon aufgrund logistischer Probleme. So verlor Kovner einen Großteil des Giftes bereits bei einer Schiffsreise. Im Film ist es aber auch die Jüdische Brigade, die das größte Interesse hat, die Gruppe zu stoppen: In Israel ist man der Ansicht, dass es nichts wird mit dem neuen Staatsgebiet, wenn es zu einem solchen Anschlag komme.
Zudem spielten, auch darauf geht der Film ein, noch andere Überlegungen eine Rolle: Die Alliierten standen in Deutschland, hatten die Wehrmacht besiegt. Auch sie wären von vergiftetem Trinkwasser betroffen. Sie von der Wasserversorgung abzukoppeln, wäre ein viel zu großer Aufwand.
Im Film sind auch die Gruppenmitglieder selbst – und nicht nur Max - nicht mehr von ihrem Plan überzeugt: Es seien schon genug Menschen gestorben, sie sehen ihre Aufgabe nicht mehr im Töten.
Die Mitglieder der Gruppe um Kovner haben bis vor wenigen Jahren nie detailliert über diese Zeit gesprochen. Durch die Arbeit der Gedenkstätte Yad Vashem konnten sie jedoch dazu bewegt werden, erstmals ihre Geschichte zu erzählen.
Unter der Regie der israelischen Filmemacher-Brüder Doron und Yoav Paz – selbst Nachfahren von Holocaust-Überlebenden– ist daraus ein engagierter, eindrücklicher Spielfilm geworden; mit einem August Diehl in der Hauptrolle, der sich zunehmend auf große historische Stoffe spezialisiert.
„Plan A“. Regie: Doron und Yoav Paz. D/ISR 2021. Mit August Diehl, Sylvia Hoeks u. a. Kinostart: 9. Dezember 2021