Bundestagswahlergebnis der LINKEN

Bundestags-Wahlergebnis ist historische Zäsur – jetzt umsteuern!

Stellungnahme der Sozialistischen Linken zum Ausgang der Bundestagswahlen 2021

Demonstration zum Start der Mietenkampagne der LINKEN.

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2021 ist für die Partei DIE LINKE katastrophal. Wir haben absolut rund 2 Millionen Wählerstimmen verloren und nur durch drei knapp errungene Direktmandate konnte ein Einzug in den Bundestag mit einer Fraktion erneut erreicht werden. DIE LINKE hat sich gegenüber 2017 flächendeckend in Ost wie West nahezu halbiert, gegenüber 2009 ist sie auf unter 40 Prozent ihrer damaligen Stimmen zurückgefallen. Dagegen konnte die SPD, die noch vor wenigen Monaten in Umfragen bei 15 bis 16 Prozent vor sich hindümpelte, sowohl die GRÜNEN als auch die Laschet-Union auf den letzten Metern abhängen und uns dabei noch über 600.000 Stimmen abnehmen

Sicher gab es eine Reihe von externen Faktoren und Konstellationen, die für DIE LINKE nicht günstig waren: Von der Fokussierung auf die Kanzlernachfolge und dem Kopf-an Kopf-Rennen zwischen Laschet und Scholz, bis hin zur Coronakrise, bei der wir als Opposition wenig wahrnehmbar waren, weil der Umgang damit unsere Partei und Wählerschaft gespalten hat. Trotzdem sind wir weit unter unseren Möglichkeiten geblieben und müssen die Hauptgründe bei uns selbst und nicht in den Umständen suchen. Ein Weiter-So darf es organisatorisch, strukturell und strategisch nicht geben! Eines ist sicher: Als Reaktion auf den Wahlausgang brauchen wir gewiss kein neues Parteiprogramm.

Regieren von Links geht nur, wenn die Verhältnisse dafür sprechen

Der Wahlkampf der LINKEN war über Monate durch die Aussage „CDU raus aus der Regierung“ (später dann „LINKE statt Lindner“) geprägt. Dies war einerseits richtig, denn nach 16 Jahren Stillstand unter Merkel war der Wunsch nach einem Regierungs- und Politikwechsel übermächtig. Gleichzeitig haben wir mit der Orientierung auf einen „Lagerwahlkampf“ die Illusion geschürt, dass „JETZT“ ein Politikwechsel mit SPD und GRÜNEN möglich sei. Dies trug dazu bei, dass viele, die uns nahestehen, am Ende aus taktischen Gründen SPD oder GRÜNE (oder aus Enttäuschung, dass wir uns diesen Parteien derart angedient haben gar nicht mehr oder sonstige Parteien) gewählt haben. Die Wahrheit ist: Weder SPD noch GRÜNE waren zu einer Koalition mit der LINKEN bereit, denn sie wollen Konflikte mit dem Kapital und anderen mächtigen Interessengruppen möglichst vermeiden.

In einer Koalition mit der LINKEN hätten sie keine billige Ausrede mehr, weshalb sie die relativ progressiven Forderungen ihrer Wahlprogramme – Vermögensteuer und höherer Spitzensteuersatz, Bürgerversicherung, bessere soziale Regulierung der Arbeitsverhältnisse – „leider“ doch nicht umsetzen. Auch an der Politik der Konfrontation und Aufrüstung gegenüber Russland und China halten sie fest und wollen sogar weiterhin bei US-geführten Kriegen mitschießen können. Aus beiden Gründen haben sie die lächerliche Forderung an DIE LINKE nach einem „Bekenntnis zur NATO“ zur Koalitionsfrage hochstilisiert. Vor diesem Hintergrund wäre eine offensivere Auseinandersetzung und Kritik mit SPD und GRÜNEN im Wahlkampf nötig gewesen. Auch wer RGR will muss Gründe aufzeigen, warum DIE LINKE und eben nicht die anderen Parteien gewählt werden müssen.

„Rebellisches Regieren“ funktioniert nur, wenn es mehr Dynamik hierfür in der Gesellschaft gibt und wir offensiv öffentliche Unterstützung für unsere Positionen mobilisieren – auch in Abgrenzung von potenziellen Koalitionspartnern. Das fängt im Wahlkampf an, der eher handzahm geführt wurde und bei dem wir die Schnittmengen zwischen uns und SPD und GRÜNEN in den Vordergrund gestellt haben. Selbst da, wo es relativ leicht gewesen wäre zu punkten, hat DIE LINKE sich entweder nicht getraut oder keine guten Strategien angewandt: So hatte Olaf Scholz bereits im Wahlkampf durchsickern lassen, dass er zügig zur Schuldenbremse zurückkehren und zudem gar keine Vermögenssteuer wolle – warum haben wir das nicht stärker skandalisiert? Auch die Verwicklung von Olaf Scholz in verschiedene Finanzskandale (Cum Ex in Hamburg, Geldwäsche) hätten wir stärker zum Thema machen und mit unserer Aufklärungsarbeit in Sachen Lobbyismus und Korruption bei breiten Schichten der Bevölkerung punkten können. DIE LINKE hat auch zu wenig darum gekämpft, Gewerkschafter und Beschäftigte für sich zu gewinnen. Und statt ausgerechnet in der Friedenspolitik – einem Alleinstellungsmerkmal der LINKEN – weitreichende Kompromisse anzudeuten hätten wir von SPD und GRÜNE als Parteien, die den desaströsen Einsatz in Afghanistan begonnen und mitgetragen haben, offensiver einen Kurswechsel einfordern können und müssen. Von den auf https://nie-wieder-krieg.org/ formulierten Positionen und Argumenten war im Wahlkampf entgegen eines ausdrücklichen mit breiter Mehrheit beschlossenen Parteitagsauftrags wenig zu bemerken.

Eine Partei (nur noch) für Akademiker:innen?

Einige Genoss:innen äußerten in den letzten Tagen verwundert, dass wir wohl doch nicht so viele Stammwähler:innen hätten wie angenommen. Wir sagen: wir hatten mal mehr Stammwähler:innen, haben diese aber verloren. Die Zahlen sprechen für sich: DIE LINKE hat besonders stark bei weniger Gebildeten, bei Erwerbstätigen und bei Rentner:innen sowie in der Fläche (v.a. in Ostdeutschland) verloren. Bei der Kerngruppe der Erwerbstätigen hat sie ihren Stimmenanteil gegenüber 2017 halbiert, gegenüber 2009 nahezu gedrittelt, und liegt unter fünf Prozent. Unter Gewerkschaftsmitgliedern hat sie sich ebenfalls fast halbiert gegenüber 2017 und liegt hinter FDP und AFD bei gerade mal 6,6% Zuspruch. Für eine sozialistische Partei, die den Anspruch hat, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu vertreten, ist das ein Armutszeugnis. Ebenso sieht es bei der zahlenstarken Gruppe der Rentner:innen aus. Noch krasser stellt sich der Absturz dar, wenn die Bevölkerung ohne Hochschulberechtigung betrachtet wird: Hier liegt DIE LINKE mit um die drei Prozent auf dem Niveau einer Splitterpartei.

Die faktische politische Ausrichtung der LINKEN auf die Jüngeren und höher Gebildeten, die sich vor allem in Universitätsstädten konzentrieren, ist wahlpolitisch gescheitert. Selbstverständlich sind neue (junge) Mitglieder willkommen und wir freuen uns sehr darüber, dass die LINKE für viele junge Leute attraktiver geworden ist. Wir wollen uns gerne zusammen mit ihnen für eine starke und eigenständige LINKE einsetzen. Aber: Wenn über 60 Prozent der Wahlberechtigten und wahrscheinlich fast zwei Drittel der Wählenden über 50 Jahre alt sind, muss diesen Gruppen eine zentrale Aufmerksamkeit gelten.

Es kann auch keineswegs davon ausgegangen werden, dass wer in der Jugend mal links gewählt hat, dies später weiterhin tun wird. Die aktivistischen linken Milieus in den größeren Städten, in denen DIE LINKE sich stärker verankert hat, machen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus und strahlen auch nur begrenzt aus. Zudem sind diese Gruppen wahlpolitisch höchst unzuverlässig, die höher Gebildeten und die Jüngeren haben weitaus stärker sonstige Parteien als DIE LINKE gewählt. Auch bei den schulisch höher und akademisch Qualifizierten hat DIE LINKE um vier bis fünf Prozentpunkte verloren, auch bei den Unter-30-Jährigen hat DIE LINKE deutliche Verluste zu verzeichnen (hier sank unser Ergebnis von 11 auf 8 Prozent).

Soziales Profil weiter schärfen, populär Politik machen

DIE LINKE hat zwar  im Wahlkampf viele soziale Themen angesprochen. Trotzdem ist es der SPD durch Fokussierung auf wenige Forderungen (Mindestlohn von 12 Euro, Wohnungsbau) besser gelungen, möglichen Wähler:innen deutlich zu machen, für was sie steht und was sie konkret erreichen will. Ihre mögliche Achillesferse mangelnder Glaubwürdigkeit wurde von uns nicht angegangen. Dagegen ist unser Profil in den vergangenen Jahren zunehmend unscharf geworden. Für eine starke LINKE ist es nötig, dass die Partei ihr Profil klärt und stets deutlich macht, dass sie eine konsequente Interessenvertretung der Arbeitenden und sozial benachteiligten Mehrheit der Bevölkerung ist. Dazu gehören selbstverständlich Menschen jeglichen Geschlechts und sexueller Orientierung und in zunehmendem Maße Menschen mit Migrationsgeschichte.

Es ist auch unumgänglich, dass unsere Partei neben der Sprache der Akademiker:innen auch wieder lernt die Sprache der Familien und Pausenecken, der Stammtische und Kneipentheken zu sprechen. Wir müssen so frei nach Schnauze reden und es akzeptieren, wie es die Menschen tun, für die wir Politik machen und deren Köpfe und Herzen wir ansprechen wollen. DIE LINKE muss verständlich und offen, einladend und expansiv sein, bereit und fähig zum Gespräch, nicht abstoßend, abgrenzend und verschreckend.

Die Interessen der Mehrheit in den Mittelpunkt stellen

In den letzten Jahren haben sich problematische Entwicklungen verschärft fortgesetzt, die bereits das vergangene Jahrzehnt zunehmend geprägt haben. Zunehmend erscheint DIE LINKE vielen als eine politische Kraft, die vor allem Anliegen kleiner linker und Bewegungs-Milieus in größeren Städten und dabei einseitige und/oder überzogene Positionen vertritt. Eine Verankerung in den Lebenswelten der „einfachen Leute“, der Berufstätigen und Familien, der „Normalos“, die hauptsächlich andere Probleme und Aktivitäten haben als politische im engeren Sinne, gibt es immer weniger. Das entspricht in diesen Städten in zunehmendem Maße auch der Zusammensetzung und den Prioritäten der Aktiven. Viele v.a. der in den letzten Jahren neu hinzugekommenen Mitglieder und Aktiven kommen aus studentischen oder „Szene“-Milieus und haben wenig Bezug zu Alltagsproblemen von breiten Schichten der Bevölkerung.

Wir möchten diese neuen aber auch alle anderen Genoss:innen davon überzeugen, dass wir  eine sozialistische Massenpartei brauchen, die in der arbeitenden Klasse, den breiten Schichten des Volkes, in Stadt und Land, bei Jung und Alt, bei allen Geschlechtern, bei Einheimischen wie Eingewanderten verankert ist. Um diesem Ziel näher zu kommen, muss DIE LINKE verbindend und vereinheitlichend wirken – über kulturelle und Differenzen in einzelnen politischen Haltungen hinweg. Wirklich verbindende Klassenpolitik bedeutet die Betonung der gemeinsamen Interessen im Sinne der Solidarität und gleichen Rechte und Chancen aller hier lebenden Menschen, der ökologischen Nachhaltigkeit, des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit. Und gegen die alltäglichen Zumutungen und die Politik des Kapitals und der Superreichen, gegen Rassismus, Sexismus, Kriminalität und Gewalt. Das Aufeinandertürmen von Maximalforderungen aus allen Einzelgruppen und Bewegungen verbunden mit der Anforderung, alle müssten immer alle diese Positionen vertreten und wer dies nicht tut, darf nicht dabei sein, erschwert die Bildung breiter Bündnisse, starker Bewegungen und einer erfolgreichen LINKEN.

Wir sollten in Zukunft auf schädliche Versuche von „Klärungen“ bei inhaltlichen Fragen verzichten, über die es grundlegend unterschiedliche Auffassungen gibt und die zugleich realpolitisch überhaupt nicht zur Entscheidung anstehen (wie beim bedingungslosen Grundeinkommen oder der Frage von „offenen Grenzen für alle“ oder wie ein künftiges Verhältnis von Nationalstaaten und EU aussehen soll).

Für eine andere Parteikultur – Sektierertum bekämpfen

Der Streit zwischen Partei- und Fraktionsführung in den vergangenen Jahren hat uns schwer geschadet. Neue oder potenzielle Mitglieder werden regelrecht abgeschreckt von der Härte und Vehemenz, mit der bis in Ortsverbände hinein gestritten wird über Fragen, die mit ihrer Lebensrealität oft wenig zu tun haben.

DIE LINKE darf sich und erst recht ihre Wähler:innenschaft nicht auf aktivistische und radikale Kerne verengen, sondern muss möglichst viele „normale“ Menschen ansprechen und für Unterstützung und Mitarbeit gewinnen. Dazu braucht es auch populäre Persönlichkeiten, die in Talkshows ein Millionenpublikum erreichen und eine konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte in unserer Partei.

Natürlich wird Politik nicht nur – nicht einmal in erster Linie – in Parlamenten oder Talkshows gemacht und natürlich ist und bleibt die LINKE Partner von vielen sozialen Bewegungen. Sie muss aber mehr sein als der verlängerte parlamentarische Arm dieser Bewegungen. Wir dürfen nicht nur die Aktiven repräsentieren, sondern auch die Passiven, vor allem die Frustrierten und Schweigenden. So richtig es ist, Menschen zu ermutigen, für ihre Interessen zu kämpfen – DIE LINKE muss eine Stimme auch für all diejenigen sein, die nicht für sich selbst kämpfen können oder wollen.

DIE LINKE muss eine Partei sein, in der auch Menschen aktiv sein und Funktionen und Mandate übernehmen können, deren Leben nicht primär aus politischer Aktivität besteht, sondern für die Arbeit, Familie oder auch andere Tätigkeiten wichtiger sind. Sie braucht eine Verankerung in und Verbindung zu all den Bereichen, in denen die Menschen tätig sind: Betriebe, Bildungseinrichtungen, Initiativen und Bewegungen, Verbänden, örtlichen Vereinen usw. Sie muss eine Parteikultur entwickeln, die neben inhaltlichen Debatten und „Sitzungssozialismus“ Aktionen durchführt, an denen sich viele beteiligen können und die auch Möglichkeiten für Geselligkeit bietet.

Um mehr Erwerbstätige als Mitglieder zu gewinnen, muss außerdem die Beitragstabelle überarbeitet bzw. die Mitgliedsbeiträge für Gering- und Normalverdiener gesenkt werden.

Wie kann es sein, dass am vergangenen Sonntag 320.000 Wähler:innen, die zuletzt uns ihre Stimme gegeben hatten, zuhause geblieben sind und gar nicht gewählt haben? Wir müssen dafür die Gründe in Erfahrung bringen. Die Partei sollte deswegen eine unabhängige (!) Studie in Auftrag geben, die uns mehr über die Bewegründe der Menschen verrät, die sich von uns in den letzten Jahren seit 2009 oder 2013 abgewendet haben (Als SL hatten wir vor anderthalb Jahren einen Antrag eines Genossens im Parteivorstand unterstützt, eine ähnliche Studie zu erstellen, was leider abgelehnt wurde). Niemand darf für uns „verloren“ sein oder abgeschrieben werden. Um die Nicht-Wähler:innen müssen wir mindestens genauso kämpfen, wie um jede andere Gruppe.

Persönlichkeiten zählen

70 Prozent der Wähler:innen sind nach Umfragen von Infratest dimap am Wahltag der Ansicht, dass die LINKE „keine überzeugenden Führungspersonen mehr“ habe. Wir sollten dieses Urteil ohne gegenseitige Schuldzuweisungen zur Kenntnis nehmen und ehrlich zum Gegenstand der internen Aufarbeitung machen. DIE LINKE verfügt nur über wenige starke und bekannte Personen, es wurden auch keine aufgebaut. Janine Wissler hat sich im Wahlkampf und den Talkshows gut geschlagen und wichtige Punkte gesetzt. Die neuen Vorsitzenden waren bundesweit aber (noch) nicht sehr bekannt und waren bzw. wurden auf öffentliche Auftritte in Talkshows teilweise nicht genug vorbereitet. Umso mehr hat vor allem der öffentlich ausgetragene Konflikt der letzten Jahre mit und um Sahra Wagenknecht viele Sympathisant:innen irritiert und uns schwer geschadet. Dabei sehen wir, dass Sahras Äußerungen und Publikationen zur Zuspitzung der Konflikte beigetragen haben und dass es eine Teilgruppe von Wähler:innen gibt, die deswegen DIE LINKE nicht gewählt haben. Dennoch gilt unseres Erachtens für die Gesamtbevölkerung, dass Sahra in einer herausgehoben Position uns mit Sicherheit mehr Stimmen gebracht als sie uns auf der anderen Seite gekostet hätte.

2017 hat DIE LINKE mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch als Spitzenkandidaten das zweitbeste Wahlergebnis für DIE LINKE erzielt. Im Ranking der beliebtesten Politikerinnen Deutschlands bei Intratest Dimap landete Sahra Wagenknecht im Wahljahr 2017 regelmäßig unter den Top10. Zwei Jahre nach der Wahl, 2019, überholte sie sogar in einer Umfrage die Bundeskanzlerin und war die beliebteste Politikerin Deutschlands. Wenn wir immer wieder durch Angriffe auf sie auffallen, müssen wir uns nicht wundern, wenn die Popularität der Partei darunter leidet.

Obwohl sich die AfD 2017 als (vermeintliche) Protestpartei etablieren konnte, gelang es in diesem Jahr, insbesondere aus dem Nichtwählerspektrum (+270.000) und der SPD-Wählerschaft (+430.000) für DIE LINKE zu gewinnen. 2021 hat DIE LINKE über 600.000 Stimmen per Saldo an die SPD und 320.000 an die Nichtwähler verloren.

Auseinandersetzungen zwischen Personen und Parteiflügeln um den richtigen Kurs gibt es in nahezu jeder Partei. Doch diese müssen auf eine Weise geführt werden, die nicht ausgrenzt und spaltet und die auf persönliche Angriffe und Diffamierungen verzichtet. Wir setzen uns dafür ein, hier einen Neuanfang zu starten und ungeachtet politischer Differenzen in einzelnen Punkten respektvoll und konstruktiv zusammenzuarbeiten und dies vor allem auch öffentlich zu demonstrieren.

Kompetenzverlust eindämmen

Warum hat DIE LINKE so schlecht abgeschnitten, obwohl soziale Gerechtigkeit und Sicherheit die Themen waren, die bei der Bundestagswahl 2021 am Ende für die meisten Wähler:innen ausschlaggebend waren? Wie Umfragen belegen, wird uns auf diesen zentralen Feldern immer weniger Kompetenz zugeschrieben. Dagegen erreichte DIE LINKE 2017 mit Sahra Wagenknecht an der Spitze hohe Kompetenzwerte.

Wir haben nicht allzu viele Politiker:innen, die über hohe Fachkompetenz verfügen und damit auch öffentlichkeitswirksam punkten können. Dass Fabio De Masi nicht erneut für DIE LINKE antrat oder Sabine Zimmermann nicht mehr im Bundestag vertreten ist, sind herbe Verluste für DIE LINKE.

DIE LINKE muss dem Aufbau von Kompetenzen und der politischen Bildung mehr Gewicht geben. Leistung muss sich lohnen – auch bei uns. Wenn DIE LINKE in der aktuellen Situation einen „Brain Drain“ vermeiden will, muss sie alles daransetzen, dass jene „Kader“, die über langjährige politische Erfahrung und/oder Fachwissen verfügen, bei uns eine Perspektive sehen.

Allzu oft werden Stellen in unseren „Apparaten“ bei Partei, Stiftung und Fraktion nicht nach Leistung und Kompetenz, sondern nach Zugehörigkeit zu entsprechenden „Seilschaften“ besetzt. Eine Ausgrenzung von Anhänger:innen marxistisch orientierter Strömungen wie der Sozialistischen Linken oder auch der KPF und die weitere Vernachlässigung politischer Bildungsangebote für Menschen ohne Hochschulabschluss kann sich die Partei und darf sich die RLS nicht länger leisten.

Wir brauchen mehr Wertschätzung auch für die ehrenamtliche Arbeit, die in Kreisverbänden, Parteigremien, aber auch Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Vereinen und Initiativen geleistet wird – all diese „Aktiven an der Basis“ müssen systematischer in die politische Willensbindung und demokratische Entscheidungsfindung der Partei einbezogen werden.

Parteitage sollten daher nicht von Mandatsträger:innen und bezahlten Mitarbeiter:innen aus Partei, Fraktion oder Stiftung dominiert werden, wenn sich kollektive Vernunft durchsetzen soll – hier wie bei der Besetzung von Vorständen – muss über eine Quotierung zugunsten der ehrenamtlich tätigen Mitglieder nachgedacht werden.

Ohne Frieden ist alles nichts

Ausgrenzung und diffamierende Angriffe haben sich in den letzten Jahren nicht nur gegen Sahra Wagenknecht gerichtet. Immer wieder gerieten auch Genoss:innen ins Visier, die in Fragen der Friedenspolitik konsequente Positionen vertreten, auf die Heuchelei des Westens in Fragen der Menschenrechte aufmerksam gemacht bzw. der öffentlichen Stimmungsmache gegen Länder wie Russland oder China etwas entgegengesetzt haben. Nicht alle müssen die Positionen von Alexander Neu, Andrej Hunko, Heike Hänsel, Diether Dehm u.a. teilen, aber es gehört zu einer solidarischen Parteikultur, sich sachlich mit ihren Argumenten auseinanderzusetzen und diffamierende Angriffe und Begriffe (Putinfreunde, Verschwörungstheoretiker, Antisemiten, Coronaleugner, Rassisten, AFD-nah u.ä.) zurückzuweisen.

Dass einzelne Genoss:innen  im Wahlkampf Signale gesendet haben, dass wir unsere im Parteiprogramm verankerten Positionen auch über Bord werfen können, um mit SPD und GRÜNEN eine Regierung bilden zu können, hat vermutlich nicht nur einige Stammwähler:innen verprellt. 

Gerade in der Außenpolitik muss DIE LINKE selbstbewusst und offensiv auch Positionen vertreten, die gegen den Strom sind, sie muss medialen Gegenwind aushalten, der gerade in Zeiten, in denen sich Konflikte kriegerisch zuspitzen (können) besonders heftig weht.

Allerdings müssen wir auch selbstkritisch sein: vieles was für Menschen, die politisch in den 60er, 70er, 80er Jahren und auch später sozialisiert worden sind, außenpolitisches Grundwissen war, ist der Generation der unter 40 jährigen nicht mehr bekannt. Wir haben seit der Parteigründung 2007 versäumt, hier systematisch Wissen zu vermitteln. 

Fazit

„Hoffnung ist wie ein Pfad. Am Anfang existiert er noch nicht, er entsteht erst, wenn viele Menschen den gleichen Weg gehen.“ (Lu Xun)

Im recht wahrscheinlichen Fall einer Ampelkoalition stehen die Chancen für DIE LINKE gut, Wähler:innen von SPD & Grünen zurückzugewinnen. Denn: Die kommenden Jahre werden von verschärften Verteilungsauseinandersetzungen geprägt sein. Die Steuerausfälle, die Kosten der Corona-Krise und der anstehenden beschleunigten Reduzierung der CO2-Freisetzung (Dekarbonisierung) werden immer wieder zwei Alternativen präsentieren: höhere Steuern (aber mit der FDP, CDU und Scholz sicher nicht für Superreiche) oder Ausgabenkürzungen. Die Abschaffung oder grundlegende Einschränkung der schädlichen Schuldenbremse wird nämlich auch Zukunft keine Mehrheit haben. Leider. Für dringend nötige Investitionen in die soziale Infrastruktur (d.h. mehr Personal in Krankenhäusern & Pflege, Schulen & Kitas, bezahlbare Wohnungen, ÖPNV usw. usf.) wird kein oder viel zu wenig Geld (ggf. über Investitionsgesellschaften) da sein.

Ökologischer Umbau wird zu neuen sozialen Ausgrenzungen/Belastungen für die normalen Bürger:innen führen. Hier darf DIE LINKE die herrschende Politik nicht nur wegen ihrer ökologischen Unzulänglichkeit kritisieren (das auch), sondern muss vor allem die Anforderung der sozialen Gestaltung in den Vordergrund stellen – und ihre Eigenständigkeit betonen. Das bedeutet also: den Schutz oder angemessenen Ersatz für verloren gehende Arbeitsplätze und Ausgleich finanzieller Belastungen besonders für Menschen mit niedrigen Einkommen und mit unvermeidlichen Mehrausgaben in den Vordergrund stellen. Der Umbau darf nicht den Einzelnen aufgelastet oder dem Markt überlassen werden, sondern erfordert einen demokratisch gesteuerten Umbau von Produktion und Infrastrukturen. Dazu gehört auch die Stärkung der Gewerkschaften und der Tarifverträge.

Gleichzeitig werden die Rentenversicherung sowie die Kranken- und die Pflegeversicherung zunehmende Aufwendungen erfordern, zumal als sozialer Sicht höhere Renten und bessere Leistungen der Pflegeversicherung erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund ist eine erneute neoliberale Offensive für die Begrenzung und Privatisierung von Leistungen und Beitragsätzen sowie eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters zu erwarten. Diskussionen hierzu haben ja schon  begonnen. Hier kann und muss sich DIE LINKE als konsequent soziale Kraft profilieren, die für Verbesserungen statt Abbau von Leistungen, die Einbeziehung aller in die gesetzlichen Sozialversicherungen und für gerechte Finanzierung eintritt. Sie muss dazu auch ihre Argumentationsfähigkeit bzw. die ihrer Mitglieder stärken.

Eine klare Gegenposition muss DIE LINKE zur Politik der Konfrontation und Aufrüstung einnehmen, die die USA und die EU gegen Russland und China betreiben. Stattdessen muss sie entschieden für Frieden und Entspannung, Abrüstung und internationale Zusammenarbeit zur Bewältigung der globalen Probleme (Klimawandel und Zerstörung von natürlichen Lebensgrundlagen, Armut und Unterentwicklung, Kriege und Bürgerkriege, Vertreibung und Flucht) eintreten. Sie muss die Heuchelei und Doppelstandards der westlichen Politik angreifen, die von Menschenrechten redet, aber in Wirklichkeit wirtschaftliche und geopolitische Dominanzinteressen vertritt. Militärinterventionen müssen weiter konsequent abgelehnt werden. Es muss hier darum gehen, am Aufbau einer wieder starken Friedensbewegung mitzuwirken und politischen Druck für eine friedliche und solidarische Außenpolitik Deutschlands und der EU zu entwickeln.

Wenn wir uns jetzt nicht zerlegen und die richtigen Schwerpunkte setzen, werden wir wieder an Zuspruch gewinnen können. Was die lokale Verankerung betrifft, können und sollten wir von der erfolgreichen Wahlkreisarbeit von Sören Pellmann, Gesine Lötzsch und Gregor Gysi lernen. Und von den Genoss:innen der KPÖ in Graz, die ihr Motto „helfen statt reden“ über viele Jahre vorgelebt und so die Stadtratswahl mit 29 Prozent gewonnen haben. Auch von unserer belgischen Schwesterpartei PTB können wir viel über klassenpolitische, populäre Ansätze lernen. Gleichzeitig werden wir diskutieren müssen, wie wir unsere Interessenvertretungs- und Reformpolitik im Kapitalismus und für eine sozial-ökologische Transformation überzeugender als bisher verbinden mit marxistisch fundierter Kapitalismuskritik und mit einer übergreifenden Erzählung. Der Erzählung vom Kampf für den Aufbau einer besseren, menschlicheren, demokratisch-sozialistischen Gesellschaft, die die Ausbeutung von Mensch und Natur überwindet.