Die Gipfelfahne in der Bäckerei
Grüne und Linke machen das mit der Doppelspitze nicht erst seit gestern, die Sozialdemokratie ist inzwischen auch nachgezogen. Die AfD hat das Konzept ebenfalls aufgegriffen, setzt aber zwei Männer auf diesen Posten.
Nun sind erstmalig gleich zwei Frauen am oberen Ende des Organigramms der Linkspartei angekommen und können hier mit ihrer Gipfelfahne den Status Quo in Sachen Gleichstellungsdebatte markieren. Gleichstellung? Was ist daran Gleichstellung, wenn gleich zwei Frauen der Partei vorsitzen? Ihr wolltet doch immer die Hälfte des Kuchens, jetzt schreibt ihr plötzlich die ganze Dessertkarte um? Das hat doch nichts mehr mit der Parität zu tun!
Ich höre sie schon die Stimmen derer, die sich überrannt fühlen vom Eifer der Geschlechtergerechtigkeit. Und ich will sie gar nicht wegwitzeln, sondern ein Erklärungsangebot machen, warum der Frauenüberschuss aus feministischer Sicht noch wirksamer ist als die Parität.
Immer noch sind die Männer am Drücker
Zunächst einmal gibt es etwas aufzuholen. Insgesamt in linker Politik, ob in der Bewegungslinken oder im parteipolitisch organisierten Raum. Männer hatten den Hut auf und haben ihn an Freunde und Kollegen weitergereicht, wo sie nur konnten. Ja, da war Clara Zetkin, ja da war Rosa Luxemburg, (Margot Honecker lassen wir mal aus) und da waren auch noch viele andere. Aber es ist wie in der Musikindustrie: Wir mögen zwar zu Lichtgestalten wie Lady Gaga und Beyonce emporschauen, aber am Ende des Tages sind doch überall zu mehr als 80 Prozent Männer am Drücker, ob an den Label-Schreibtischen oder auf den Festival-Bühnen. Das einsichtige Zurücktreten von Entscheidungspositionen wäre wünschenswert. Wegen einer Sache, die wir als Linke so sehr lieben: Gerechtigkeit. Da das Politische aber ungern im Persönlichen gesucht wird, wenn es um die Abgabe oder Umverteilung von Macht geht, braucht es diesen auf manche radikal wirkenden Schritt der weiblichen Doppelspitze.
Wie kriegen wir den historisch notwendigen Ausgleich hin?
Und wie kommt man diesem historisch notwendigen Ausgleich nahe, wenn die mit der Macht nicht freiwillig das Mikrofon übergeben? Man muss den Umbau strukturell mit einer Quote implementieren. An dieser Stelle möchte ein begriffliches Detail klären: Es gibt einen Unterschied zwischen der Frauenquote und der Quotenfrau. Die Frauenquote ist ein Werkzeug, dass exkludierende Strukturen aufbrechen und Chancengleichheit begünstigen soll. Die Quotenfrau ist eine Erfindung der Gegner:innen der Frauenquote. Sie unterstellen Frauen, die quotierte Posten innehaben, dass sie eigentlich nichts drauf und nur wegen ihres Geschlechts den Job bekommen hätten.
Ich frage mich: Wie schlecht informiert kann man eigentlich sein!? Die Quote besagt ausdrücklich, dass bei gleicher Qualifikation … Der Rest ist bekannt. Und nun möge man sich einen Moment nehmen und über die zahllosen Männer nachdenken, die nicht wegen ihrer hervorragenden Qualifikationen, aber wegen männerbündlerischer Netzwerke an ihre Jobs gekommen sind.
Bei einer Frauenquote von 100 Prozent entfällt diese Debatte. Das ist ein Aufatmen wert, denn man muss sich nicht mit dem Forderungs-Kleinklein herumschlagen, ob nun 23,4 oder 38,9 oder - Göttin bewahre - 50 Prozent angemessen wären.
Nein. Ab heute gibt es zunächst veganen Rüblikuchen, der Frankfurter Kranz war die letzten paar Jahrhunderte dran.
Eine weibliche Doppelspitze normalisiert weibliche Kompetenzen
Es zeugt von Selbstbewusstsein, diese Entscheidung so zu treffen: Eine West-Frau, eine Ost-Frau, die eine visionär, die andere pragmatisch. Was auf den ersten Blick konträr wirken mag, birgt das Potenzial für umso mehr Identifikation. Denn Frauen - und Marginalisierte allgemein - in Führungspositionen, sind wegweisende Vorbilder. Man erinnere sich an die bewegte Stimmung zur ersten Amtseinführung vom Kamala Harris, der ersten Frau of Color in der Vizepräsident:innenschaft der USA. Und da eine Frau, eine Person, nie allen Erwartungen, Wünschen, Zuschreibungen und Projektionen gerecht werden kann, ist eine Mehrfachbesetzung umso wirkungsvoller. Und es arbeitet der patriarchal-kapitalistischen Teile-Und-Herrsche-Ideologie, es könne nur eine geben, entgegen.
Die Henne im Männer-Politkorb. Das Phänomen lässt sich auf jede beliebige männlich dominierte Sphäre übertragen. Ein Satz, der die fehlende Bereitschaft zur Umverteilung von Machtressourcen offenbart, wird nun nicht mehr fallen können: „Aber wir haben doch schon eine Frau.“
Und letztlich, das stärkste Argument: Eine weibliche Doppelspitze normalisiert weibliche Kompetenzen. Kein Absprechen von Kenntnissen und Fähigkeiten und auch kein positiv überraschtes „Das hätte ich jetzt aber nicht gedacht“, was letztlich auf einem „Das hätte ich dir nicht zugetraut“ basiert.
Liebe Janine, liebe Susanne, herzlichen Glückwunsch zur Wahl! Und nun auf ins Getümmel, ich will mich mit euch beiden identifizieren!