Für eine neue Idee der Solidarität
Thesen zur gesellschaftlichen Situation und zur Krise der Linken
Um Strategien zu entwickeln, wie Die Linke die gegenwärtige Krise überwinden und wieder erfolgreich werden kann, muss man sich als Erstes die gesamtgesellschaftliche Situation und die Veränderung von Kräfteverhältnissen in den letzten Jahren anschauen. Das kommt in den vielen Diskussionen zur Krise der Partei zu kurz. Denn die Entwicklung der Linken findet nicht im luftleeren Raum statt. Die gesellschaftlichen Bedingungen und Auseinandersetzungen sind andere als vor fast 20 Jahren, als sich PDS und WASG zur Linken vereinigten. Linke Kräfte waren meist dann stark, wenn es gesellschaftliche Stimmungen und Bewegungen gab, die sie getragen haben – wie zu unserer Gründungszeit. Aber: Wir könnten trotz schwieriger Rahmenbedingungen deutlich besser dastehen. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, was wir hätten anders machen sollen, anders machen müssen. Denn eine stärkere Linke hätte der Rechtsentwicklung mehr entgegensetzen können. Es ist notwendig, die Schwächen und Fehler, die Die Linke als Partei und im Bundestag gemacht hat, zu benennen und daraus abzuleiten, wie wir Die Linke zur Bundestagswahl und darüber hinaus aufstellen und Vertrauen zurückgewinnen können. In dieser schwierigen Lage hat niemand eine Patentlösung, das ist auch nicht Anspruch dieser Thesen. Sie sollen ein Beitrag sein zu einem kollektiven und offenen Strategieprozess.
I. Gesellschaftliche Verschiebungen: Die Linke reitet nicht auf einer Welle, sondern schwimmt bei vielen Themen gegen den Strom
Bei ihrer Gründung und in den Jahren danach hatte Die Linke großen gesellschaftlichen Rückhalt für ihre Forderungen. Ob Mindestlohn, Kritik an Hartz IV, Umverteilung, Abrüstung oder Auslandseinsätze: Bei diesen Fragen stießen wir auf breite Zustimmung. In der Gründungsphase der Linken und bei der Bundestagswahl 2005 wurden wir getragen von den Protesten und der breiten Ablehnung der Agenda 2010 und der Hartz-Reformen. Die Bundestagswahl 2009 war geprägt von den Verwerfungen an den Finanzmärkten und der Krise des Neoliberalismus sowie dem Massaker von Kundus kurz vor der Wahl, wodurch sich die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan weiter verstärkte. Bei all diesen – damals wahlentscheidenden und zentralen – Themen hat Die Linke gesellschaftliche Mehrheitspositionen vertreten. Wir konnten von der Frustration über die anderen Parteien profitieren, als neue Protestpartei an Profil gewinnen und bei Wahlen Erfolge verbuchen. Auch wenn unsere Wähler zweifelten, wie viel wir real umsetzen können, so fanden sie es richtig, dass „Die Linke die Probleme benennt“.
Wir erlebten den Siegeszug der Austeritätspolitik mit der Einführung von Schuldenbremsen. Die zentralen Auseinandersetzungen verlagerten sich durch die Debatte über die „Flüchtlingskrise“– trotz der großen gesellschaftlichen Solidarität zu Anfang -, durch Corona, den Krieg in der Ukraine und die schwindende Bedeutung des Themas Klimaschutz.
Das hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Wir erlebten den Siegeszug der Austeritätspolitik mit der Einführung von Schuldenbremsen. Die zentralen Auseinandersetzungen verlagerten sich durch die Debatte über die „Flüchtlingskrise“– trotz der großen gesellschaftlichen Solidarität zu Anfang -, durch Corona, den Krieg in der Ukraine und die schwindende Bedeutung des Themas Klimaschutz. (Auch wenn wir als Linke kaum Kompetenzzuschreibungen bei diesem Thema entwickeln konnten, ist es auch für unsere Ansätze problematisch, dass viele Menschen Klimaschutz heute primär als Bedrohung ihres Lebensstandards erfahren.)
Man muss konstatieren: Bei Fragen wie Bürgergeld oder Aufrüstung vertritt Die Linke heute im Gegensatz zu früher Minderheitenpositionen – nicht, weil wir unsere Positionen verändert haben, sondern weil die gesellschaftliche Stimmung sich grundlegend gewandelt hat und es der Linken nicht gelungen ist, dem wirkungsvoll etwas entgegenzusetzen. In Fragen des Asylrechts hat Die Linke immer Minderheitenpositionen vertreten, allerdings standen diese Fragen lange Zeit nicht im Vordergrund für unsere Wählerschaft und sie haben uns vielfach „trotz“ unserer Position zu Migration gewählt. Heute ist das Thema Migration für viele wahlentscheidend. Laut DeutschlandTrend von April 2024 nannte mehr als jeder Vierte das Thema Zuwanderung und Flucht als „wichtigstes Problem“ in Deutschland (ein halbes Jahr zuvor waren es sogar 44 Prozent) – erst deutlich danach kamen Frieden, Wirtschaft und soziale Ungerechtigkeit.
Der Aufstieg der Rechten und die Verfestigung rechter Einstellungen
Wir erleben in Deutschland und in anderen Ländern Europas (und auch weltweit) eine dramatische Verschiebung nach rechts. Das zeigen die Ergebnisse der Europawahl und die Rechtsregierungen in Italien, den Niederlanden, Ungarn und möglicherweise bald erneut in Österreich. Bei den Europawahlen wurde die AfD in Deutschland zweitstärkste, im Osten stärkste Kraft, und konnte zudem den höchsten Stimmanteil unter Arbeiter*innen verbuchen.
Diese Entwicklung macht sich nicht nur an den Wahlergebnissen fest. Sie geht einher mit einer Zunahme von rechter Gewalt und Bedrohungen. Zudem gibt es eine deutliche Verschiebung in den Einstellungen, in den Köpfen der Menschen: Rechte Narrative von „Islamisierung“ und „Überfremdung“ sind heute mehrheitsfähig.
Laut infratest dimap (Juni 2024) machen sich 61 Prozent der Befragten Sorgen, dass der „Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird“ (+14 Prozent im Vergleich zu 2019) und 53 Prozent sind besorgt, dass „zu viele Fremde nach Deutschland kommen“ (+15 Prozent).
Es waren auch Politiker wie Seehofer („Die Migration ist die Mutter aller Probleme“) und Friedrich Merz (Geflüchtete nehmen Zahnarzttermine weg), die diese Stimmung geschaffen haben. Auch die Ampel-Parteien stimmen in diesen Chor mit ein: Der Kanzler fordert Abschiebungen im großen Stil.
Diese Diskursverschiebung hätte die AfD allein nie erreichen können. Es waren auch Politiker wie Seehofer („Die Migration ist die Mutter aller Probleme“) und Friedrich Merz (Geflüchtete nehmen Zahnarzttermine weg), die diese Stimmung geschaffen haben. Auch die Ampel-Parteien stimmen in diesen Chor mit ein: Der Kanzler fordert Abschiebungen im großen Stil, auch nach Afghanistan und Syrien, die Ampel hat GEAS zugestimmt und die diskriminierende Bezahlkarte eingeführt. Das löst kein reales Problem, hilft den Kommunen nicht, das ist gefährliche Symbolpolitik auf dem Rücken von Asylsuchenden. Es wird diskutiert, Asylverfahren in Drittländer auszulagern, mit diktatorischen Regimen wird über Abschottung verhandelt und die griechische Küstenwache wirft Geflüchtete ins Meer, ohne dass es einen lauten Aufschrei in Europa gibt.
Bewegungen wie „Seebrücke“, die vor einigen Jahren noch Zehntausende mobilisieren konnten, sind in der Defensive. Die eindrucksvollen Proteste gegen die AfD zu Beginn des Jahres, die selbst in kleinsten Orten stattfanden, waren wichtig, konnten die Zugewinne für die AfD aber allenfalls mindern und nicht verhindern.
Man dürfe das Aussprechen von Problemen nicht den Rechten überlassen, heißt es. Tatsächlich werden die realen Ursachen von Problemen verschleiert und es wird von den Widersprüchen der Klassengesellschaft abgelenkt, indem die „Migration“ zum zentralen Problem erklärt wird.
Obwohl vielfach empirisch widerlegt, versuchen Ampel und Union den Rechten das Wasser abzugraben, indem sie ihre Forderungen übernehmen. Man dürfe das Aussprechen von Problemen nicht den Rechten überlassen, heißt es. Tatsächlich werden die realen Ursachen von Problemen verschleiert und es wird von den Widersprüchen der Klassengesellschaft abgelenkt, indem die „Migration“ zum zentralen Problem erklärt wird.
Das Erstarken von Rechtsaußen wird beflügelt von Abstiegsängsten und einer sich zugespitzten Verteilungskrise in der Transformationsgesellschaft. Darauf geben die Ampel und andere europäische Regierungen keine Antworten. Wir erleben einen massiven Vertrauensverlust gegenüber Regierungen, aber auch gegenüber Medien und Institutionen, flankiert von einem rechten Kulturkampf, der auch von Parteien der sogenannten Mitte mitbefeuert wird.
Die Verteilungsfrage spitzt sich zu – aber Die Linke und solidarische Ansätze dringen nicht durch
Ein Nährboden für den Aufstieg der Rechten ist eine zunehmende gesellschaftliche Entsolidarisierung. Das deutlichste Beispiel dafür ist die Debatte um die Grundsicherung.
Im Jahr 2004, bei der Einführung von Hartz IV, gab es große Proteste und eine relativ breite Ablehnung der Reform. Vielen Beschäftigten war klar, dass Hartz IV letztlich auf sie abzielte und den Druck auf Löhne und Tarifverträge erhöhen würde, wenn Erwerbslosigkeit die schnelle Rutschbahn in die Armut bedeutet. „Hartz IV muss weg“ war eine linke Forderung. Ein großer Teil der Bevölkerung lehnte Hartz IV ab, weil man es für ungerecht hielt, dass Menschen so wenig bekommen.
Heute stößt „Bürgergeld muss weg“ auf wachsende Zustimmung, aber aus gegenteiligen Gründen: Viele finden es ungerecht, dass Menschen im Bürgergeld-Bezug „so viel“ bekommen. Gab es früher in Umfragen Mehrheiten für die Erhöhung der Regelsätze, befürwortet heute die Mehrheit eine Reduzierung.
Laut einer Umfrage von infratest dimap (Mai 2024) fordern 56 Prozent der Befragten, dass der Staat weniger für das Bürgergeld ausgeben solle. Laut MDR-Meinungsbarometer (2023) hielten 62 Prozent die Anhebung der Regelsätze für zu hoch, nur 7 Prozent hielten sie für zu niedrig (also lediglich 7 Prozent stimmten der Position zu, die bekanntermaßen Die Linke vertritt, eine bedrückend niedrige Zustimmung).
Zum Vergleich: 2019 hielten laut Forsa-Umfrage noch 61 Prozent der Befragten die damals geltenden Hartz-IV-Regelsätze für zu niedrig.
Das sind deutliche Verschiebungen, die zeigen, wie erfolgreich die Nach-unten-treten-Kampagne, das Verächtlichmachen und die Stigmatisierung von Menschen in Armut war, und wie wenig die Argumente von Gewerkschaften, Sozialverbänden und der Linken dagegen ausrichten konnten.
Das sind deutliche Verschiebungen, die zeigen, wie erfolgreich die Nach-unten-treten-Kampagne, das Verächtlichmachen und die Stigmatisierung von Menschen in Armut war, und wie wenig die Argumente von Gewerkschaften, Sozialverbänden und der Linken dagegen ausrichten konnten. (Zur Erinnerung: Die Erhöhung der Regelsätze geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zurück.)
Laut Forsa-Umfrage (August 2024) befürworten 56 Prozent der Befragten eine komplette Streichung des Bürgergeldes bei „Totalverweigerern“. Besonders hoch ist die Zustimmung bei Ostdeutschen (62 Prozent), Arbeiter*innen (73 Prozent) und Menschen, die sich selbst als politisch rechts verorten (80 Prozent). Die, die sich politisch links verorten, lehnen dies zu 64 Prozent ab.
Die Kampagne von Union und FDP gegen „Totalverweigerer“ (den Begriff hat allerdings zuerst SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil benutzt und in die Debatte gebracht) und gegen das Bürgergeld hat dramatisch verfangen – auch bei Beschäftigten, selbst bei Gewerkschaftsmitgliedern und sogar bei unseren Wählern.
Aus den Betrieben wird berichtet, dass die Erhöhung der Regelsätze und die Abschwächung der Sanktionen für viel Kritik bei Beschäftigten sorgt.
Als würden Lebensstil und Lohnniveau durch eine Anhebung des Bürgergeldes bedroht, als hätte ein*e Beschäftigte*r auch nur einen Euro mehr, wenn das Bürgergeld nicht erhöht würde. Im Gegenteil: Ihnen droht bei Jobverlust Armut, und Tarifverträge geraten weiter unter Druck.
Wir erleben einen Verteilungskampf innerhalb der Klasse, statt zwischen oben und unten, und es gelingt uns als Die Linke nicht, mit solidarischen Lösungen und Forderungen nach Umverteilung durchzudringen und wahrgenommen zu werden.
Zwar befürworten – je nach Umfrage – 62 bis 73 Prozent der Befragten eine Vermögensteuer. Hier gibt es deutliche Zustimmung zu unserer Forderung, ebenso wie zur Forderung nach einer Erhöhung des Mindestlohns. Aber wenn ich in Reden und an Infoständen über die 237 Milliardärsfamilien spreche, die man angemessen besteuern müsste, und anmerke, dass die teuersten Flüchtlinge in diesem Land die Steuerflüchtlinge sind, wird mir häufig geantwortet: „Das wissen wir, aber an die kommen wir doch eh nicht ran und ihr doch auch nicht.“
Den meisten Menschen ist klar, dass Reichtum zutiefst ungerecht verteilt ist und es theoretisch auch genug Wohnraum gäbe. Das erscheint einer Mehrheit aber gerade als unerreichbar, und sie haben keine Hoffnung, dass sich das schnell ändert. Das führt dazu, dass der Verteilungskampf zwischen Normal- und Geringverdienern und Erwerbslosen, zwischen Erwerbslosen und Asylsuchenden ausgetragen wird; dass die Ellbogen gegeneinander ausgefahren werden, weil man in der Realität nun mal um zu wenige bezahlbare Wohnungen konkurriert, während die Reichen unbehelligt bleiben.
Auch die größeren Streikbewegungen, die wir in diesem Jahr erlebt haben, haben an dieser Stimmung in der Breite der Bevölkerung nichts geändert. Auch hier zeigt sich eine Entsolidarisierung, wenn – je nach Umfrage – eine große Minderheit bis hin zu einer knappen Mehrheit die Einschränkung des Streikrechts befürwortet.
Als Parteivorstand haben wir Anfang 2023 richtig antizipiert, dass sich die Verteilungskämpfe zuspitzen werden, wenn die Schuldenbremse wieder eingehalten wird und die Ampel sich jedem Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit verweigert.
Als Parteivorstand haben wir Anfang 2023 richtig antizipiert, dass sich die Verteilungskämpfe zuspitzen werden, wenn die Schuldenbremse wieder eingehalten wird und die Ampel sich jedem Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit verweigert. Es war absehbar, dass sich das bei den Haushaltsberatungen 2023 und in den folgenden Jahren zuspitzen und es Kürzungen im Sozialen geben würde. 2022 wurden die Folgen der Krise durch Krieg und Inflation durch Milliardenbeträge für Energiepreisbremsen, das Neun-Euro-Ticket und den Tankrabatt abgefedert – wenn auch unzureichend.
Deshalb verpufften auch die Bemühungen für größere Sozialproteste bzw. wurden sie durch die genannten Maßnahmen verhindert. Es war klar, dass wenn es nicht gelingt, die Verteilungsfrage zwischen den Klassen, zwischen oben und unten, stark zu machen, es zu Verteilungskämpfen kommen würde, die zum gegeneinander Ausspielen von Menschen führen würde. Deshalb haben wir die Kampagne „Umsteuern – Holen wir uns den Reichtum zurück“ gestartet, und Partei und Fraktion haben sich in den Haushaltsberatungen scharf gegen die Kürzungen gestellt. Leider müssen wir feststellen, dass es uns nicht gelungen ist, die Frage von Umverteilung wirkungsvoll in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Das hat sicher auch mit den Schwächen der Kampagne zu tun, die nicht mal in der eigenen Partei gezündet hat, aber auch mit einem weitverbreiteten Gefühl von Ohnmacht und Resignation.
Die Ampel, die Vertrauenskrise und der rechte Kulturkampf
Wir erleben aktuell eine schwere Vertrauenskrise in Politik, Medien und Institutionen. Das hat sich insbesondere durch Corona enorm verstärkt. Die Unzufriedenheit mit der Ampel ist groß, aber dieser Unmut zahlt fast vollständig auf das Konto der Rechten ein. Es gelingt uns nicht, den Unmut über die Ampel nach links zu kanalisieren, wir werden sogar in Mithaftung genommen für ihre Politik, obwohl wir sie scharf kritisieren. Das geht allerdings im öffentlichen Diskurs unter, weil die Kritik von rechts viel wahrnehmbarer ist, die sich auch gegen unsere Positionen richtet.
Warum gelingt es der Linken nicht, von der Krise der Ampel zu profitieren und sich als Opposition zu profilieren? Ein Problem: Die Linke wird als „etablierte“ Partei wahrgenommen und nicht mehr – wie zu unserer Gründungszeit – als entschiedenste Oppositionspartei, die Protestwähler erreichen und mobilisieren kann.
Ein zweites Problem: Die Ampel wird von vielen als „linke“ Regierung wahrgenommen - was einigermaßen absurd anmutet, wenn man sich das tatsächliche Regierungshandeln anschaut. Die Ampel will nicht umverteilen und verschärft die Sanktionen beim Bürgergeld drastisch. Beim Klimaschutz geht nichts voran, und das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition wurde aufgeweicht. Die Ampel hat GEAS zugestimmt, das Asylrecht massiv verschärft, Grenzkontrollen eingeführt, aber sie wird von Teilen der Bevölkerung mit „unregulierter Massenmigration“ verbunden. Das zeigt, wie wirksam und diskursbestimmend rechtsgerichtete Narrative sind (wenn heute schon eine Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris als „links(radikal)“ gilt).
Die Vernachlässigung der sozialen Interessen der Mehrheit durch die Ampel – gerade in Zeiten hoher Inflation und drastisch gestiegener Preise – begünstigt die Stimmung gegen Bürgergeldbezieher*innen („warum wird das Bürgergeld erhöht; die Lebensmittelpreise sind enorm gestiegen und mein Lohn bleibt gleich?“) und verstärkt den rechten Kulturkampf.
Ich habe mich gefragt, warum das Selbstbestimmungsgesetz so viel hasserfüllte Reaktionen erfahren hat. Natürlich, weil geschlechtliche Identität ein Kern des rechten Kulturkampfs ist. Aber nach meinem Eindruck ging das deutlich über die AfD-Wählerschaft hinaus. Ein überfälliges Gesetz, das Diskriminierung verringert und das auf die allermeisten Menschen keinerlei direkten Auswirkungen hat. Vielleicht ist letzteres das Problem. Wenn man sich vor Augen führt, welche Gesetze die Ampel in diesem Jahr hinbekommen hat, auf was sie sich einigen konnte, dann sind die öffentlich am stärksten wahrgenommenen und am kontroversesten diskutierten Gesetze das Selbstbestimmungsgesetz und die Cannabisentkriminalisierung. Zwei Gesetze, die in die richtige Richtung gehen, die Die Linke lange gefordert hat und denen wir zurecht zugestimmt haben. Das Problem ist, dass die Ampel sich auf so vieles anderes nicht hat einigen können. So richtig diese Gesetze sind, im Leben der Mehrheit der Menschen ändern sie nichts. Schon gar nicht materiell. So wird der fatale Eindruck genährt, dass „nur noch Politik für Minderheiten“ gemacht würde, aber nicht für die breite Mehrheit. Weil die Ampel sich eben nicht auf eine Kindergrundsicherung einigen kann, um Kinderarmut zu bekämpfen, oder auf einen höheren Mindestlohn, auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum oder auf Investitionen in die Bahn. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die beiden Gesetze nicht beschlossen worden wären, aber so wurde das rechte Narrativ gestärkt, Politik würde sich „nur noch um Minderheiten kümmern“ und nicht um die Mehrheit.
Und das nach Jahren, in denen „links sein“ von Rechten, Teilen der Medien und auch von einigen Kronzeugen aus der Linken selbst als woke, autoritär und abgehoben diffamiert wurde: mit Unterstellungen, Menschen sollten umerzogen und bevormundet werden, ihnen sollten Sprechverbote auferlegt werden, was sich in dem absurden Krieg der Sternchen ausdrückte. Auch wenn es solche Stimmen vereinzelt in der Realität gibt, so sind wir weit entfernt von einer linken „Cancel-Culture“. Viel gefährlicher ist, dass gesellschaftlicher Fortschritt, der sich auch in der Ausweitung von Minderheitenrechten ausdrückt, zunehmend bis in die Mitte der Gesellschaft hinein in Frage gestellt wird. Als Linke dürfen wir diesem Kulturkampf von rechts niemals nachgeben oder gar in ihn einstimmen. Wir müssen klar widersprechen, ohne uns darin aufreiben zu lassen und wir müssen immer wieder den Bezug zu Klassenfragen herstellen.
Klimaschutz als Klassenfrage
Die Klimabewegung ist, an den reinen Zahlen gemessen, eine der größten Bewegungen in der Menschheitsgeschichte. Millionen Menschen gingen weltweit auf die Straße, um für Klimaschutz zu demonstrieren. In Deutschland gelang es Fridays for Future und anderen Initiativen, Massen zu mobilisieren. Lange Zeit war das Thema Klima in den Umfragen das wichtigste oder zumindest sehr weit vorne.
Heute ist die Klimabewegung geschwächt und fragmentiert. Das Thema Klimaschutz hat in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung verloren – und Klimaschutzmaßnahmen an Zustimmung.
Es werden eben nicht die Profiteure und größten Klimazerstörer zur Kasse gebeten, die Kosten und Belastungen werden auf die Breite der Bevölkerung abgewälzt. Das untergräbt die Zustimmung zum Klimaschutz und das stärkt rechte Erzählungen. Deshalb ist es wichtig, dass Die Linke Klimaschutz als Klassenfrage begreift.
Das hat seine Ursache in der Klimapolitik der Ampel und ihrer Vorgängerregierungen und in Reformen wie den Änderungen beim Heizungsgesetz (Gebäudeenergiegesetz) von Wirtschaftsminister Habeck. Sie haben die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen massiv geschwächt, weil sie nicht sozial flankiert waren, womit die Grünen der Klimabewegung einen Bärendienst erwiesen und rechten Kampagnen Futter gegeben haben. Der CO2-Preis wurde erhöht, aber das Klimageld ist bis heute nicht eingeführt worden. Viele Menschen haben – berechtigte – Angst vor steigenden Kosten und finanzieller Überforderung durch Klimaschutzmaßnahmen. Es werden eben nicht die Profiteure und größten Klimazerstörer zur Kasse gebeten, die Kosten und Belastungen werden auf die Breite der Bevölkerung abgewälzt. Das untergräbt die Zustimmung zum Klimaschutz und das stärkt rechte Erzählungen. Deshalb ist es wichtig, dass Die Linke Klimaschutz als Klassenfrage begreift und mit einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse verbindet.
Ich bin heute der Meinung, dass Die Linke die Klimafrage oft in einer falschen Erzählung verpackt hat. Besser gesagt: Sie hat den Bezug zum Alltag der Menschen nicht immer deutlich genug gemacht. Anstatt die konkreten Auswirkungen des Klimawandels in Deutschland, die vor allem die arbeitende Klasse treffen, in den Mittelpunkt zu stellen, haben wir oft mit der Klimafrage als globale Menschheitsaufgabe begonnen. Diese Erzählweise ist allerdings maximal abstrakt und im schlimmsten Fall kaum mehr als moralisierend. Die Linke muss in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stets den Alltag der Menschen stellen. Wir sollten nicht abstrakt über den Klimawandel sprechen oder uns in der Ausrufung von Klimazielen jedes Jahr selbst überbieten, sondern darüber reden, wie belastend bis unmöglich das Arbeiten an den zunehmenden Hitzetagen ist oder darüber, welche Erleichterungen mit dem klimaneutralen Umbau erreicht werden können (weniger Belastung durch stark befahrene Straßen, Mobilität durch den Ausbau des ÖPNV auf dem Land, mehr Lebensqualität und Gesundheitsschutz in den Städten). Das haben wir zwar vielfach auch argumentiert, es bildete aber keine stringente Erzählung.
Weil die Debatte um eine linke Position zur Abwendung der Klimakatastrophe innerparteilich zum Teil auch als „Kulturkampf“ geführt wurde, ist es der Linken als Partei nicht gelungen, überzeugende Alternativen für einen sozialen und ökologischen Umbau zu entwickeln. Wir sind zu sehr dabei stecken geblieben, grüne Reformansätze entweder zu radikalisieren oder fundamental zu kritisieren und sie sozial abzufedern.
Der Frieden, die Zeitenwende und eine gespaltene linke Wählerschaft
Die Jahre und Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung waren sicherheitspolitisch geprägt von der Dominanz der USA und den Kriegen der NATO bzw. ihrer Mitgliedsstaaten gegen Serbien, Afghanistan und den Irak, dem Kampf um die „neue Weltordnung“.
Die Linke war sich weitgehend einig, dass wir die Beteiligung der Bundeswehr an Kriegseinsätzen und Waffenexporte ablehnen, und hatte dabei beachtlichen Rückhalt in der Gesellschaft. Ehrlicherweise muss man auch einräumen, dass nicht alle, die den Afghanistan-Krieg abgelehnt haben, dies aus antimilitaristischen Erwägungen taten. Es gab immer auch die Stimmen, die fanden, dass „deutsches Steuergeld“ nicht im Ausland eingesetzt werden sollte („sollen die sich da unten doch die Köpfe einschlagen“) und jene, die genauso jede Form von Entwicklungszusammenarbeit kritisieren. Diese Menschen versammeln sich heute zu großen Teilen bei der AfD und hinter ihrer vermeintlichen „Friedenspolitik“, die nationalistische Ansätze bedient und jeglicher internationalen Solidarität eine Absage erteilt. Aber ein Großteil der Ablehnung begründete sich durchaus aus einer friedenspolitischen Haltung und aus der jahrzehntelang gewachsenen Ablehnung von Militarismus, Aufrüstung und Kriegseinsätzen.
Die Kriege und Militäreinsätze, die mit der geopolitischen Neuordnung einhergingen und im Windschatten der US- und NATO-geführten Kriege stattfanden, waren medial und in der breiten Öffentlichkeit deutlich weniger präsent. Das ließ zu, dass sich Die Linke nicht explizit und konkret zur russischen Kriegsführung in Tschetschenien, Georgien und Syrien verhalten musste (was uns u.a. in der syrisch-stämmigen Community bis heute zurecht übelgenommen wird). Selbst die Annexion der Krim 2014 hatte wenig Einfluss auf die sicherheitspolitische Debatte – zumindest in der breiten Öffentlichkeit.
Das war mit dem Beginn des Ukraine-Krieges vorbei, und Die Linke, ebenso wie die anderen Parteien und die Friedensbewegung, waren mit tiefgreifenden Fragen konfrontiert, die alte Gewissheiten erschütterten und zu Brüchen führten.
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine – auch in Verbindung mit einer möglichen Wiederwahl Trumps, der den „Schutz Europas durch die NATO“ infrage stellt – und durch die Rhetorik von der Zeitenwende hat sich die gesellschaftliche Stimmung auch in dieser Frage verändert. Aufrüstung und Waffenlieferungen stoßen auf größere Zustimmung als zuvor. Die Erzählung von der angeblich „kaputt gesparten“ Bundeswehr hat stark verfangen – trotz seit Jahren steigender Rüstungsausgaben und einem Verteidigungshaushalt auf Rekordniveau. Laut aktuellem Politbarometer sind 52 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Bundesregierung für die Finanzierung der Bundeswehr zu wenig tut, 31 Prozent sagen, das sei „gerade richtig“ und lediglich 11 Prozent finden, dass zu viel Geld für die Bundeswehr ausgegeben wird – stimmen also mit unserer Position überein.
Bundesverteidigungsminister Pistorius, der von „Kriegstüchtigkeit“ spricht, massiv aufrüsten will, die Marine ins Rote Meer schickt und die Wehrpflicht wiedereinführen möchte, ist aktuell der beliebteste Politiker in Deutschland. Zur Erinnerung: Horst Köhler musste vor 14 Jahren als Bundespräsident zurücktreten, weil er geäußert hatte, dass man Handelswege auch militärisch schützen müsse.
Auf die Frage, warum Menschen Die Linke nicht wählen, wird laut Umfragen immer wieder auf die Außenpolitik verwiesen. So falsch es wäre, inhaltliche Positionen nach Umfragen und Mehrheiten auszurichten, so ist es wichtig, uns dieser empirischen Befunde bewusst zu sein, um Strategien zu entwickeln, wie wir damit umgehen.
Bei der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine und dem Umgang mit Russland geht ein Riss durch die Gesellschaft, insbesondere zwischen Ost und West. Während im Osten Deutschlands die Tradition der deutsch-sowjetischen bzw. deutsch-russischen Freundschaft tief verankert ist, steht der Westen in der Tradition der (transatlantischen) Westbindung. Die Linke steht damit vor einem Dilemma: Was in einem Teil Deutschlands Unterstützung findet, kostet im anderen Teil Zustimmung. Auf die Frage, warum Menschen Die Linke nicht wählen, wird laut Umfragen immer wieder auf die Außenpolitik verwiesen. So falsch es wäre, inhaltliche Positionen nach Umfragen und Mehrheiten auszurichten, so ist es wichtig, uns dieser empirischen Befunde bewusst zu sein, um Strategien zu entwickeln, wie wir damit umgehen.
Unsere außenpolitischen Grundsätze müssen erstens frei von Loyalitäten gegenüber imperialistischen Staaten sein und zweitens Frieden, Abrüstung und die Einhaltung der Menschenrechte zum universalen Anspruch erklären. Das imperialistische Agieren Russlands als solches zu benennen und zu verurteilen, verortet uns weder auf Seiten der NATO noch macht es die Kritik an ihr obsolet.
Dabei geht es nicht nur die öffentliche Ansprache, sondern auch darum, dass wir eine profunde Imperialismus-Analyse auf der Höhe der Zeit entwickeln müssen, die die veränderten Kräfteverhältnisse, die geopolitischen Interessenslagen der Akteure und neue Blockkonfrontationen berücksichtigt. Unsere außenpolitischen Grundsätze müssen erstens frei von Loyalitäten gegenüber imperialistischen Staaten sein und zweitens Frieden, Abrüstung und die Einhaltung der Menschenrechte zum universalen Anspruch erklären. Das imperialistische Agieren Russlands als solches zu benennen und zu verurteilen, verortet uns weder auf Seiten der NATO noch macht es die Kritik an ihr obsolet. Es ist keine Relativierung des westlichen Imperialismus und von Kriegen, wenn man feststellt, dass auch andere Staaten ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen aggressiv und militärisch umsetzen.
Ich halte es für zwingend notwendig, dass Die Linke an ihrer grundsätzlichen Kritik an der NATO, an Aufrüstung, Waffenexporten und der Ablehnung von Bundeswehreinsätzen festhält – gerade jetzt angesichts der beispiellosen Aufrüstung und der angekündigten Stationierung von US-Langstreckenraketen. Das sollten auch weiterhin unsere Leiplanken sein, aber „Nein zu …“ ist keine Antwort auf die drängenden Fragen, die sich viele Menschen stellen.
Ein öffentliches und politisches Fiasko, das uns massiv Vertrauen gekostet hat, war das Abstimmungsverhalten der Linksfraktion zu Afghanistan vier Wochen vor der Bundestagswahl 2021. Unsere Abgeordneten haben mit Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung votiert – und das dann noch teilweise mit gegenseitigen Unterstellungen öffentlich begründet. Die erwartbaren Interpretationen dazu haben die große Zustimmung, die wir 20 Jahre lang mit unserer Haltung zum Afghanistaneinsatz aufgebaut haben, von heute auf morgen in weiten Teilen zunichte gemacht.
Gerade zu Beginn des Ukraine-Krieges ist – trotz anderslautender Parteibeschlüsse – der fatale Eindruck entstanden, wir als „Friedenspartei“ würden mit zweierlei Maß messen. Dieser wurde erweckt durch Aussagen insbesondere ehemaliger Abgeordneter der Linken, die den Angriff Russlands nicht verteidigten, aber ihn auch nicht mit der gleichen Schärfe kritisierten wie zuvor die Kriege der NATO. Das hatte für viele den Anschein einer Relativierung und fehlender Empathie, was uns angesichts des Grauens durch den russischen Überfall massiv Glaubwürdigkeit gekostet hat.
Es gibt immer wieder den Vorwurf, Die Linke habe sich in der „Friedensfrage“ nicht deutlich positioniert und sei zu wenig wahrnehmbar gewesen. Der Parteivorstand, der Parteitag und wir als Parteivorsitzende haben uns immer klar gegen Waffenlieferungen und für eine Verhandlungslösung ausgesprochen und das auch immer öffentlich so vertreten. Zu keinem Thema war ich in den letzten zweieinhalb Jahren häufiger in Talkshows und anderen Fernsehformaten, dort wurden wir eingeladen, weil wir diese Gegenposition vertreten haben.
Richtig ist aber: Es gab öffentlich wahrnehmbare Stimmen - von Bundestagsabgeordneten und aus den Ländern, die sich zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine zustimmend positioniert haben.
Diese Differenzen waren auch auf den Parteitagen erkennbar und in den Begründungen der Parteiaustritte kurz nach Beginn des Krieges. Während die einen schrieben, wir seien als Friedenspartei zu wenig erkennbar und würden Waffenlieferungen nicht entschieden genug kritisieren, traten andere aus, weil wir zu wenig solidarisch mit der Ukraine seien und weil wir Waffenlieferungen ablehnen.
Der Krieg gegen die Ukraine hat auch die Friedensbewegung gespalten und lange gewachsene Bündniskonstellationen gesprengt. Ein Beispiel: Jahrzehntelang wurde gegen die Münchner Sicherheitskonferenz demonstriert, ein breites Bündnis rief alljährlich zu den Protesten auf. Nach Beginn des Ukraine-Krieges zerbrach das Bündnis und es gab in den letzten Jahren bis zu vier verschiedene Aufrufe und Kundgebungen in München, weil man sich nicht auf gemeinsame Aussagen zum Angriff Russlands verständigen konnte.
Beim Gaza-Krieg gibt es ein ähnliches Bild: Es gab Austritte, weil wir zu wenig solidarisch mit Israel seien, und – aus meiner Wahrnehmung – deutlich mehr, weil wir den Gaza-Krieg nicht klar genug verurteilen und thematisieren würden. Ich kann letztere Kritik nachvollziehen – angesichts der grauenvollen Bilder aus Gaza und angesichts von 40.000 Toten. Obwohl es gelungen ist, Beschlüsse mit breiter Mehrheit zu fassen (sofortiger Waffenstillstand, Freilassung der Geiseln, Stopp der deutschen Waffenlieferungen nach Israel, Zweistaatenlösung), waren wir wenig wahrnehmbar – aufgrund der Zerrissenheit und der Spaltungslinien, die es in der Nahost-Frage seit Jahrzehnten in linken Strukturen gibt.
Wie also umgehen mit dem Dilemma einer gespaltenen Wählerschaft und internen Differenzen?
Im Europawahlkampf haben wir versucht, stärker auf Themen zu setzen, bei denen wir höhere Kompetenzzuschreibungen haben und die Menschen als Gründe angeben, um uns zu wählen. Das war in der Realität aber nicht durchzuhalten, die Wirklichkeit im Wahlkampf sah anders aus, weil die bestimmenden Fragen andere waren.
Für den kommenden Bundestagswahlkampf ist es deshalb meiner Meinung nach zentral, dass wir beim Thema Frieden die Forderungen, bei denen Einigkeit besteht, nach vorne stellen: Keine Aufrüstung; keine Erhöhung des Rüstungsetats; keine Stationierung von US-Raketen; Stopp von Rüstungsexporten; und unser Widerstand gegen die Pläne, die Wehrpflicht wiedereinzuführen.
Zusammenfassend: Die Linke vertritt in vielen zentralen Fragen Minderheitsmeinungen und schwimmt gegen den Strom. Das war früher anders, aber gesellschaftliche Stimmungen haben sich verändert und Die Linke hat es nicht geschafft, dem wirksam etwas entgegenzusetzen. Wenn heute nur noch 7 Prozent der Menschen der Meinung sind, dass die Regelsätze beim Bürgergeld zu niedrig sind (bei Hartz IV waren das über 60 Prozent), wenn nur 11 Prozent gegen mehr Mittel für die Bundeswehr sind und migrationsablehnende Einstellungen mehrheitsfähig sind, so ist das ein Grund dafür, warum Die Linke in Umfragen so schwach ist.
Wir sind nicht angetreten, um Mehrheiten abzubilden, sondern um sie zu verändern, und wir können Überzeugungen nicht aufgeben, weil sie aktuell nicht mehrheitsfähig sind.
Unsere Schlussfolgerung daraus darf nicht sein, dass wir unsere Positionen Umfragen und Mehrheiten anpassen. Es ist notwendig, Umfragen und Empirie in strategische Entscheidungen miteinzubeziehen und zu diskutieren, welche Themen wir in den Vordergrund stellen, um unser Wählerpotential bestmöglich zu mobilisieren. Aber wir können und dürfen unsere Positionen nicht nach wechselnden Mehrheiten ausrichten. Keine Kapitulation vor dem Zeitgeist! Wir sind nicht angetreten, um Mehrheiten abzubilden, sondern um sie zu verändern, und wir können Überzeugungen nicht aufgeben, weil sie aktuell nicht mehrheitsfähig sind. Wir sind kein Unternehmen, das beliebig die Marketingstrategie und notfalls das ganze Produkt ändern kann. Und das ist auch gut so.
Vielfach wird gefordert, dass Die Linke einen „Kurswechsel“ brauche. Aber auf die Frage, wie der aussehen soll, gibt es sich fundamental widersprechende Ansätze. Ich hielte es beispielsweise für einen schweren Fehler, in der Migrationspolitik restriktiver zu werden und unsere Haltung aufzugeben, wie es in einigen Wortmeldungen angedeutet wird. Das wäre falsch und widerspricht den Überzeugungen der Mehrheit der Mitglieder. Was nicht heißt, dass wir Positionen nicht konkretisieren und ausbuchstabieren müssen. Gleiches gilt für außenpolitische Fragen. Ja, die Welt hat sich verändert, deshalb müssen wir Positionen weiterentwickeln. Aber ich halte es für falsch, dass Die Linke Zugeständnisse an den Zeitgeist der Zeitenwende macht.
II. Der subjektive Faktor: Aus Fehlern und Versäumnissen lernen, an Positivem anknüpfen
„Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, sondern unter gegebenen und überlieferten Umständen“, schrieb Karl Marx. Das gilt auch für linke Parteien. Deshalb war es mir wichtig, hier die grundlegende Veränderung in der gesellschaftlichen Stimmung und bei den Kräfteverhältnissen voranzustellen. Denn daraus muss sich ableiten, was Die Linke anders machen muss, und warum eine Orientierung auf ein „Zurück zu den Anfängen“ zum Scheitern verurteilt wäre.
Die Linke kann die politische Großwetterlage nur eingeschränkt beeinflussen, und wenn, dann nur im Zusammenspiel mit Partner*innen, der Zivilgesellschaft und gesellschaftlichen Bewegungen. Das bedeutet aber nicht, dass wir als Partei nicht auch eigene Fehler gemacht haben, die zu der Krise geführt haben, in der wir sind. Wir könnten besser dastehen als wir es derzeit tun, und wir sollten Lehren aus unseren Fehlern ziehen.
Darauf möchte ich im Folgenden eingehen: Welche Fehler haben wir gemacht, welche Versäumnisse gab es? Aber auch: Welche Fehler haben wir meiner Meinung nach nicht gemacht, an was können wir anknüpfen und mit was sollten wir brechen.
Die Linke wird von vielen als etablierte Partei wahrgenommen statt mit grundlegender Gesellschaftskritik und als Opposition zu Ampel und kapitalistischem System
„Hier spricht DIE Opposition“ – so waren Verlautbarungen unserer Bundestagsfraktion früher überschrieben. Die Linke war in den ersten Jahren im Bundestag als Opposition deutlich wahrnehmbar, hat sich getraut, „auf die Kacke zu hauen“, zuzuspitzen, zu provozieren und auch mal (parlamentarische) Regeln zu brechen, erinnert sei an die Schilderaktion im Bundestag zu Afghanistan. Heute werden wir in Form und Inhalt nicht mehr als die entschiedenste Stimme der Opposition wahrgenommen. Das hat verschiedene Ursachen. Zum einen ist Die Linke nun mal keine neue Kraft mehr, wird von vielen Menschen als „etablierte“ Partei wahrgenommen, ist an Landesregierungen beteiligt, stellt Bürgermeister und Landräte und zieht damit weniger Protestwähler an. Aus der Opposition heraus konnten wir in den letzten Jahren deutlich weniger anschieben – so wie es uns damals beim Mindestlohn oder bei der Praxisgebühr gelungen ist. Das liegt an veränderten Kräfteverhältnissen und daran, dass Die Linke bei Wahlen an Relevanz verloren hat. Das geht mit Enttäuschungen einher: Menschen wählen uns mehrfach, aber das führt nicht zu einer grundlegenden Verbesserung ihrer Lebensumstände, weil „links wirkt“ leider nur sehr begrenzt eingetreten ist, weil wir als Opposition zu schwach waren und in Landesregierungen und auf kommunaler Ebene nun mal nicht über Fragen der Steuerpolitik, der Renten und des Mindestlohns entschieden wird. Dass wir weniger als systemändernde Kraft mit fundamentaler Gesellschaftskritik wahrgenommen werden, hat aber auch mit der Präsenz der AfD zu tun, mit der sich unsere Rolle in Parlamenten und Gesellschaft verändert hat.
Ich habe das im Hessischen Landtag erlebt. Zehn Jahre lang waren die regierende Hessen-CDU und Die Linke die Antipoden im Parlament. Wir waren die entschiedenste Opposition. Das hat unseren inhaltlichen Positionen Aufmerksamkeit verschafft.
Mit dem Einzug der AfD veränderte sich die Stimmung im Landtag. Die Koordinaten hatten sich verschoben. Auf einmal waren wir Teil von Absprachen und applaudierten auch mal der CDU, wenn sie der AfD widersprach. Die AfD agierte (und agiert) als Lautsprecher, so dass wir Schwierigkeiten hatten, mit unserer grundlegenden, aber differenzierten Kritik durchzudringen.
Am deutlichsten wurde das in der Corona-Krise. Für uns war klar, dass das Virus gefährlich ist, dass es Schutzmaßnahmen braucht, aber dass diese sozial ausgewogen sein und rechtlich abgewogen werden müssen. Wir haben die Landesregierung damals scharf kritisiert für ihre Prioritätensetzung bei den Lockerungen (erst Einzelhandel, dann Kitas und Schulen), für die unverhältnismäßige Einschränkung von Grundrechten, für die strikten Kontaktbeschränkungen (die sich am klassischen Familienmodell orientierten), und natürlich für die Schieflage bei den Hilfszahlungen und die lange bekannten Probleme im Gesundheitssystem. Vieles wurde aber öffentlich überlagert durch die AfD, die sich pauschal gegen alle Maßnahmen ausgesprochen und die Gefährlichkeit von Covid komplett geleugnet hat – und damit den absoluten Gegenpol stellte.
So richtig es aus antifaschistischer Sicht ist, sich mit anderen Parteien zu verständigen, um kommunal AfD-Kandidaten zu verhindern und notfalls auch zur Wahl der CDU aufzurufen: Es lässt uns aus Sicht vieler Wähler*innen Teil eines All-Parteien-Blocks erscheinen und sorgt dafür, dass unser Profil und die Differenzen zu den anderen Parteien unschärfer werden. Das ist ein Problem. Es ist uns und der gesellschaftlichen Linken insgesamt in den letzten Jahren selten gelungen, eine Diskursverschiebung nach links zu erreichen und eigene, auch polarisierende Themen öffentlichkeitswirksam zu platzieren. „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ war eine der wenigen Ausnahmen.
Wir verteidigen die Presse gegen alle Angriffe von rechts. Aber: Es gibt eine legitime linke Medienkritik, die benennt, dass wenige Medienkonzerne die deutsche Presselandschaft beherrschen.
Die Gefahr von rechts und die Infragestellung demokratischer Errungenschaften durch die AfD haben dazu geführt, dass wir als Linke immer wieder Regelungen und Institutionen (scheinbar unkritisch) verteidigt haben, an denen wir früher zurecht Kritik von links formuliert haben. Ein Beispiel: Selbstverständlich weisen wir den Begriff „Lügenpresse“ zurück, ebenso wie Angriffe auf die Pressefreiheit und Forderungen nach Abschaffung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Wir verteidigen die Presse gegen alle Angriffe von rechts. Aber: Es gibt eine legitime linke Medienkritik, die benennt, dass wenige Medienkonzerne die deutsche Presselandschaft beherrschen. Das liegt auf der Hand, wenn man sich Besitzverhältnisse anschaut. Und trotz Verteidigung des Systems des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks haben wir Kritik an dem krassen Gehaltsgefälle in den Rundfunkanstalten und auch an manch inhaltlicher Ausrichtung. (Wenn man sich anschaut, wie oft Vertreter von Parteien in den letzten Jahren in Talk-Shows vertreten waren, haben wir als Linke übrigens viel mehr Grund zur Beschwerde als die AfD.) Diese linke Kritik ist angesichts rechter Anfeindungen vielfach auf der Strecke geblieben.
Ein zweites Beispiel: Die Impfskepsis in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung speist sich auch aus einem – berechtigtem – Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie (die während der Corona-Krise allzu unkritisch gefeiert wurden) und ihrem Einfluss auf die Gesundheitspolitik. So richtig es ist, für Impfungen zu werben, so notwendig ist es, linke Kritik an den Pharmakonzernen, ihren Geschäftspraktiken und ihrer Profitorientierung zu formulieren.
Mit dem Erstarken der AfD kam auch unsere kritische Haltung gegenüber den Ämtern für Verfassungsschutz und anderen Behörden weniger zum Ausdruck.
Die Linke hat die Staats- und Institutionenkritik von links nicht mehr klar formuliert oder zumindest stark vernachlässigt.
Die Linke hat die Staats- und Institutionenkritik von links nicht mehr klar formuliert oder zumindest stark vernachlässigt. Das liegt vor allem an den Angriffen von rechts auf die Institutionen des bürgerlichen Staates, aber auch daran, dass die Beteiligung an Regierungen natürlich in einem Spannungsverhältnis zu grundsätzlicher Institutionen- und Staatskritik stehen. Ich erinnere an die Worte von Max Reimann zur Ablehnung des Grundgesetzes durch die KPD: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“ Heute verteidigen wir Errungenschaften des Grundgesetzes – trotz Kritik am verstümmelten Asylrechts-Artikel und der Schuldenbremse – gegen Angriffe, die eben nicht nur aus Reihen der AfD kommen. Auch aus anderen Parteien werden zentrale Grundrechte wie das Streikrecht und das (ausgehöhlte) Recht auf Asyl infrage gestellt.
Für mich ist das eine der zentralen und offenen strategischen Fragen, auf die wir eine Antwort finden müssen: Wie schaffen wir es als Linke wieder mit grundsätzlicher linker System- und Gesellschaftskritik durchzudringen in einer Zeit, in der der Staat und seine Institutionen Gefahren von rechts ausgesetzt sind?
Wie schaffen wir den Spagat (gemeinsam mit anderen Parteien) demokratische Errungenschaften und Institutionen des bürgerlichen Staates gegen rechts zu verteidigen und dennoch eine wahrnehmbare, grundsätzliche Kritik zu formulieren?
Wie schaffen wir es zu provozieren und zu polarisieren, um den politischen Diskurs nach links zu ziehen, und die Herrschenden, die „Eliten“, zu kritisieren, und uns dabei klar von rechten Narrativen abzugrenzen?
Eine unkritische Verteidigungshaltung gegenüber Institutionen und Herrschaftsinstrumenten, an denen es berechtigte Kritik gibt, führt in die Sackgasse. Unser Anspruch ist, Gesellschaft zu verändern und unsere Staatskritik unterscheidet sich fundamental von rechter Kritik. Wir müssen als gesellschaftsverändernde Kraft wieder stärker erkennbar sein und als antikapitalistische, als sozialistische Partei wahrnehmbar. Nicht durch abstrakten Verbalradikalismus, sondern anknüpfend am Alltagsbewusstsein: Durch das Aussprechen der Radikalität der Wirklichkeit und der Widersprüche dieser Gesellschaft mit dem Anspruch, Eigentumsverhältnisse grundlegend demokratisieren zu wollen; durch konkrete Utopien und radikale Reformprojekte, die Machtverhältnisse offenlegen und infrage stellen. Wir kämpfen vor Ort, in Parlamenten und Regierungen tagtäglich um jede noch so kleine Verbesserung, aber wir geben den Anspruch nicht auf, dass der Kapitalismus überwunden werden muss. Denn nur dann werden wir Wirtschaft und Gesellschaft vollständig demokratisieren können. Die Popularität von Bernie Sanders (sein letztes Buch trägt den Titel: „Es ist okay, wütend auf den Kapitalismus zu sein“) in den USA zeigt, dass man massenwirksam werden und Menschen erreichen kann, wenn man mit seiner Kritik an die Wurzel geht.
Selbstbeschäftigung, Vielstimmigkeit und Demontage von innen
Natürlich ist ein wesentlicher Grund für die aktuelle Schwäche der Linken die jahrelange Demontage von innen. Prominente Abgeordnete haben über Jahre öffentlich behauptet, dass Die Linke die Arbeiter*innen nicht mehr vertreten würde und die soziale Frage vernachlässigt habe. Damit haben sie sich gewollt oder ungewollt zum Steigbügelhalter der Anti-Links-Kampagne von Rechten und Konservativen gemacht.
Obwohl 80–90 Prozent unserer Initiativen in den Kommunalparlamenten, in den Landtagen, im Bundestag und im Europäischen Parlament die „soziale Frage“ mit ihren verschiedenen Facetten behandelten, wurde – leider erfolgreich – der Eindruck erweckt, Die Linke sei mit gänzlich Anderem beschäftigt. Das hat uns Glaubwürdigkeit gekostet und großen Schaden angerichtet. In Verbindung mit „Die Linke ist keine Friedenspartei mehr“ wurde so versucht, eine Lücke im Parteiensystem zu unterstellen, die dann Anfang dieses Jahres gefüllt werden sollte.
Spätestens die aktuellen Einlassungen von BSW zu Sanktionen beim Bürgergeld, zu Migration und Fragen von Gleichberechtigung zeigen, dass diese Positionen nicht zu integrieren gewesen wären. Die Spitzenkandidatin des sächsischen BSW hat ihre Partei selbst als politisch rechts der SPD und links der CDU verortet.
Es gab aus meiner Sicht keine Möglichkeit, diese Spaltung zu verhindern – es sei denn wir wären auf einen Kurs eingeschwenkt, der das Ende der Linken als (linke) Partei gewesen wäre. Spätestens die aktuellen Einlassungen von BSW zu Sanktionen beim Bürgergeld, zu Migration und Fragen von Gleichberechtigung zeigen, dass diese Positionen nicht zu integrieren gewesen wären. Die Spitzenkandidatin des sächsischen BSW hat ihre Partei selbst als politisch rechts der SPD und links der CDU verortet.
Mit dem Wissen von heute bin ich der Meinung, dass man die Trennung viel früher hätte forcieren müssen. Ich würde gerne sagen, dass man das nicht ahnen konnte, aber das stimmt leider nicht. Schon vor vielen Jahren haben einzelne gewarnt – insbesondere im Vorfeld der Aufstellungsversammlungen zur Bundestagswahl 2021. Das wurde auch mehrfach an mich herangetragen mit der Bitte, Einfluss zu nehmen. Ich habe die inhaltliche Kritik an Wagenknecht und Co. zwar vollständig geteilt, habe die Gefahr für die Partei damals aber unterschätzt – auch aus der langjährigen politischen Verbundenheit zu Einzelnen, die heute beim BSW sind. Im Jahr 2021, ich war gerade Parteivorsitzende geworden, glaubte ich noch, dass man die Einheit der Linken erhalten und vieles in diese plurale Partei integrieren könnte. Zumindest sah ich meine Aufgabe darin, nichts unversucht zu lassen, um eine (Ab-)Spaltung zu verhindern. Erst später wurde mir klar, dass es keinen gemeinsamen Weg mehr geben kann, und wir haben als Parteivorstand entsprechende Beschlüsse gefasst – allerdings ohne echte Handhabe. Der Zeitpunkt dafür wäre wohl die Aufstellung zur Bundestagswahl gewesen.
So haben wir zugelassen, dass unsere Partei über Jahre hinweg von innen heraus und über die Medien demontiert wurde. Wir haben keinen Weg gefunden, dem einen Riegel vorzuschieben. So wurde BSW zu einem Zeitpunkt gegründet, der für Die Linke kaum hätte verheerender sein können: Zu Beginn eines Wahljahres mit einer Europa- und drei ostdeutschen Landtagswahlen, unsere Hochburgen.
Das ist alles verschüttete Milch, hilft für die Zukunft nicht und lässt sich nicht mehr auflösen, es sollte aber nicht unerwähnt bleiben – inklusive der Selbstkritik.
Die Folgen der Abspaltung sind vorerst so verheerend wie absehbar. Insbesondere der Verlust des Fraktionsstatus hat der Linken viel Sichtbarkeit und Ressourcen genommen bis hin zu der häufig gestellten Frage: „Gibt es euch noch?“ nach Auflösung der Fraktion und der unglücklichen öffentlichen Kommunikation dazu.
Gleichzeitig war mit der Trennung von Wagenknecht und Co. bei vielen die Hoffnung verbunden, dass wir nun Streit und Vielstimmigkeit endlich hinter uns lassen könnten. Das zeigt sich auch in den vielen Neueintritten und auch Wiedereintritten.
Ich glaube, ich brauche hier nicht mehr aufzählen, in wie viele Fällen wir in der Öffentlichkeit ein Stimmengewirr abgegeben haben.
Zur Wahrheit gehört aber, dass wir auch in Zukunft strittige Fragen unter uns zu klären haben. In einer Partei mit über 50.000 Mitgliedern werden strittige Frage unweigerlich in Kompromissen enden. Und das ist auch gut so. Nur mit der Fähigkeit, zu Kompromissen untereinander zu kommen, können wir Die Linke als plurale Partei erhalten.
Programmatische Weiterentwicklung
Vielfach wird gefordert, Die Linke müsse sich programmatisch weiterentwickeln, „endlich mal strittige Fragen entscheiden“ und auch ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Ich weiß, dass meine Zurückhaltung bei der programmatischen Weiterentwicklung von einigen kritisiert und als ein starres Festhalten an vermeintlich veralteten Positionen wahrgenommen wurde. Deshalb will ich meine Einschätzung zur programmatischen Debatte darlegen. Zum einen bin ich der Auffassung, dass unser Erfurter Programm nicht so verrostet ist wie es mithin dargestellt wird. Zum anderen bin ich überzeugt, dass eine programmatische Weiterentwicklung nur in einem breit getragenen Prozess passieren kann und nicht auf die Schnelle kurz vor einer Bundestagswahl.
Allerdings gehört zur Ehrlichkeit, dass dieser Prozess nicht in die Wege geleitet wurde. Zum einen, weil die internen Auseinandersetzungen der letzten Jahre enorm viele Ressourcen und Kräfte gebunden haben, die an anderer Stelle fehlten. Zum anderen gab es die Befürchtung, dass uns ein programmatischer Prozess nach der letzten Bundestagswahl für Jahre in die Selbstbeschäftigung gezwungen und alle strittigen Fragen (auch die, die in den aktuellen Auseinandersetzungen keine Rolle spielen) aufgemacht hätte.
Hätten wir bei damals bereits strittigen Fragen (Nahost, NATO, BGE) keine Kompromisse gesucht und gefunden, wäre Die Linke nie gegründet wurden. Dass vieles davon als „Formelkompromisse“ abgetan wird, wird der Gründungsgeschichte der Linken nicht gerecht.
Ich warne eindringlich davor, mit dem Gestus „endlich mal alles entscheiden“ an eine zweifelslos notwendige Weiterentwicklung unserer Programmatik heranzugehen. Als wir Die Linke gegründet haben, haben wir bewusst Korridore gesucht, die es Linken aus verschiedensten Traditionen ermöglicht, in der neuen Partei eine Heimat zu finden. Ich war damals für die WASG eines der Mitglieder der sechsköpfigen Programmkommission, die ab 2005 die programmatischen Eckpunkte, das Gründungsprogramm unserer Partei, erarbeitet hat. Hätten wir bei damals bereits strittigen Fragen (Nahost, NATO, BGE) keine Kompromisse gesucht und gefunden, wäre Die Linke nie gegründet wurden. Dass vieles davon als „Formelkompromisse“ abgetan wird, wird der Gründungsgeschichte der Linken nicht gerecht. Vielfach wird gefordert, man müsse sich beispielsweise in der „Friedensfrage“ endlich „entscheiden“. Es gehört dann aber zur Ehrlichkeit dazu, dass man sagt, wofür, und auf welchen Teil der Partei man dann im Zweifelsfall verzichten will. Denn um nicht weniger geht es.
Wie wichtig diese „Formelkompromisse“ sind, zeigt sich bei der Auseinandersetzung um das Bedingungslose Grundeinkommen. Ich habe immer dafür geworben, die offene Formulierung aus dem Erfurter Programm beizubehalten, die es Befürwortern und Kritikern (zu denen ich mich zähle) gleichermaßen ermöglicht, sich programmatisch wiederzufinden. Dass dazu ein Mitgliederentscheid forciert wurde, halte ich nach wie vor für einen Fehler. Damit ist große Sprengkraft verbunden, was völlig unnötig ist, weil eine Festlegung nicht nötig gewesen wäre und wir gute Konzepte für eine sanktionsfreie Mindestsicherung haben. Eine lose-lose-Situation; es gab Austritte, weil sich der Mitgliederentscheid für das BGE ausgesprochen hat, und Austritte, weil der Parteivorstand dieses Votum nicht schnell genug umgesetzt hat. Ich warne davor, an andere kontroverse Fragen ähnlich ultimativ heranzugehen.
Ich habe mich immer dem „linken“ Flügel zugehörig gefühlt, nichtsdestotrotz habe ich im Parteivorstand immer wieder gegen Anträge gestimmt, von denen ich wusste, dass sie beim „Reformerflügel“ die bekannten Schmerzgrenzen überschreiten. Mir war es immer wichtiger, Programme mit über 80 Prozent zu verabschieden, statt durch eine schärfere Formulierung, innerparteiliche Geländegewinne und die Niederringung des innerparteilichen „Gegners“ einem ganzen Flügel die Zustimmung zu verunmöglichen.
Mein Ziel war es, Die Linke als Partei in ihrer Breite zu erhalten, weil ich es nach wie vor für eine große Errungenschaft halte, dass es eine linke Partei gibt, in der sich so viele Traditionen und Strömungen vereinen. Das beinhaltet für mich, die innerparteiliche Pluralität zu verteidigen und eben nicht unnötige Festlegungen mit knappen Mehrheiten zu erzwingen.
Dennoch: Auch das Erfurter Programm ist kein Dogma, und eine linke Partei muss ihre Programmatik weiterentwickeln wenn die Welt sich weiterentwickelt. Und es gibt Fragen, die dringend anstehen, zu denen wir uns verhalten müssen und bei denen wir gar keine andere Wahl haben, als sie notfalls auch strittig zu entscheiden.
Wählerpotential und Ansprache
In der Wahlstrategie zur Europawahl haben wir drei Wählergruppen identifiziert: Beschäftigte und Gewerkschafter*innen (Schwerpunkt Soziale Dienstleistungen und in prekären Arbeitsverhältnissen), Menschen ohne Beschäftigung und von Armut Betroffene, sowie junge Menschen in Studium und Ausbildung. Einen besonderen Schwerpunkt wollten wir hierbei auf ehemalige Linke-Wähler*innen legen.
Die Herausforderung ist, die Spaltung in den Betrieben zwischen Stammbelegschaften und Leiharbeiter*innen und die zunehmende gesellschaftliche Fragmentierung dadurch zu überwinden, dass das Verbindende und die gemeinsamen Interessen in den Vordergrund gestellt werden.
So habe ich die Idee der „Verbindenden Klassenpolitik“ immer verstanden: Kämpfe um Verbesserungen zusammenzubringen und als gemeinsame Kämpfe zu begreifen.
Heute wird die Idee der verbindenden Klassenpolitik von manchen in der Linken für gescheitert erklärt. Die jüngsten Wahlergebnisse seien der Beweis dafür. Bisher ist mir allerdings unklar geblieben, was dieses Scheitern ausmacht und was der alternative Ansatz ist. In Zeiten, in denen der Oben-Unten-Konflikt nicht im Mittelpunkt steht, ist es doch geradezu zwingend, die gemeinsamen Klasseninteressen sichtbar zu machen und Spaltungen zu überwinden.
Ist die Bewegungsorientierung das/ein Problem?
Es wird immer wieder gesagt, die „Bewegungsorientierung“ der Partei sei ein Fehler und gescheitert. Diese Kritik erschließt sich mir nicht, und ich wüsste auch nicht, welche realen Bewegungen der letzten Jahre damit gemeint sind und was die praktische Konsequenz daraus sein sollte. Für mich war immer klar, dass echte politische Veränderungen nicht allein und stellvertretend über Parlamente und Regierungen erreicht werden können, sondern, dass gesellschaftlicher Druck und Klassenkämpfe nötig sind, um innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft Kräfteverhältnisse zu verändern und Regierenden und Kapital Zugeständnisse abzutrotzen. Das zeigt die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung, der Frauenbewegung, der Anti-AKW-Bewegung, und dieses Verständnis ist auch im Erfurter Programm formuliert.
Es war immer eine große Stärke der Linken, dass sie Bestandteil und vielerorts Rückgrat von Bewegungen war. Bei „Dresden nazifrei“ beispielsweise: Die gesamte Partei – strömungs- und flügelübergreifend – hat damals nach Dresden mobilisiert. Die Bundestagsfraktion war mit vielen Abgeordneten präsent. Die Sächsische, die Thüringische und die Hessische Landtagsfraktion sind geschlossen nach Dresden gefahren, haben Fraktion-vor-Ort-Veranstaltungen angemeldet – was 2010 zur Folge hatte, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft jahrelang gegen uns als damalige Fraktionsvorsitzende ermittelt hat und uns wegen „Rädelsführerschaft“ und „Sprengung einer Versammlung“ anklagen wollte.
Kritisch will ich in diesem Zusammenhang anmerken, dass beim Protest gegen den AfD-Parteitag in Essen lediglich vier Abgeordnete von uns vor Ort waren.
Anfang des Jahres haben wir eine große Bewegung gegen die AfD erlebt mit unzähligen großen und kleineren Protesten. Diese fanden nicht nur in den großen Städten statt, wo Hunderttausende auf die Straße gingen, sondern auch und gerade in kleinen Städten wie Pirna, Freital und Bad Hersfeld. Es war wichtig, dass Die Linke an diesen Protesten teilgenommen und sie an einigen Orten mitorganisiert hat. Dabei haben wir (und andere) versucht, auch den Nährboden, auf dem Rechtsaußen gedeihen kann, zu thematisieren: Abstiegsängste, Sozialabbau, das Abhängen ganzer Regionen und die Zugeständnisse nach rechts durch die immer weitere Aushöhlung des Asylrechts.
Es ist für eine linke Partei elementar, dass sie eine Verankerung in den Gewerkschaften hat und betriebliche und gewerkschaftliche Kämpfe unterstützt und im besten Fall Teil davon ist. In der jüngsten Zeit haben wir uns bundesweit dabei vor allem auf die Streiks in den Krankenhäusern, im Einzelhandel und im ÖPNV konzentriert. Mit der Kampagne „Wir fahren zusammen“ von ver.di und Klimabewegung, in der viele Linke mitgearbeitet haben, ist es gelungen, einen bundesweiten Schulterschluss zwischen Beschäftigten und Klimaaktivist*innen zu erreichen.
Natürlich ist eine Partei keine Bewegung und unterscheidet sich in ihrer Funktion und Arbeitsweise davon. Bewegungen durchlaufen Auf und Abs, bilden sich neu, gehen auseinander, fragmentieren sich. Und Bewegungsorientierung bedeutet auch nicht, dass wir nicht auch diejenigen vertreten, die sich selbst nicht (mehr) wehren können.
Für mich stellt sich nicht die Frage, ob wir auf Bewegungen orientieren, sondern wie wir das tun und auf welche. Dabei ist für mich immer zentral, dass wir nicht einfach mitlaufen, sondern eigene klassenpolitische Akzente setzen.
Auf Positivem aufbauen
Es gab in den letzten Jahren trotz aller Probleme positive Entwicklungen in der Partei, auf denen wir aufbauen können und sollten. Viele hatten erwartet, dass die Abspaltung von BSW unsere Mitgliedschaft massiv reduzieren würde. Das ist nicht eingetreten. Zwar gab es Austritte, aber fast 8.000 Neueintritte seit der Abspaltung, so dass Die Linke heute deutlich mehr Mitglieder hat als vor der Abspaltung. Für viele ist die Rechtsentwicklung und die größere Klarheit nach der Trennung der Grund gewesen, in Die Linke einzutreten. In den meisten Landesverbänden verzeichnen wir auch netto ein signifikantes Mitgliederplus (NRW +5%, Schleswig-Holstein +11%, in den ostdeutschen Landesverbänden sind die Zuwächse geringer, vor allem aufgrund des höheren Durchschnittsalters und, infolgedessen, Sterbefällen).
Diese Eintrittswelle ist nicht nur dem spontanen Eintrittswillen einzelner zu verdanken, sondern auch gezielten Kampagnen wie „Eine Linke für alle“ und das Einbeziehung von Multiplikatoren, also Menschen aus Gewerkschaften, Wissenschaft und Kultur, die sich zur Linken bekannt haben.
Wir haben Methoden wie Organizing und Haustürgespräche professionalisiert und weiterentwickelt, worauf wir in den kommenden Wahlkämpfen bei der Mobilisierung von Mitgliedern und Wählern – insbesondere derjenigen, die wir über Infostände und Social media nicht erreichen – aufbauen können.
Durch den Schwerpunkt auf die Pflege haben wir in den letzten Jahren viele neue Mitglieder gewonnen, die im Gesundheitsbereich tätig sind. Mittlerweile gibt es auch eine Vernetzung der Gesundheitsbeschäftigten, die in der Linken organisiert sind. Das sollten wir auf andere Branchen ausweiten.
Auf den Beschluss des Parteitags hin haben wir einen Gewerkschaftsrat eingesetzt, der sehr gut besetzt ist. Durch den Schwerpunkt auf die Pflege haben wir in den letzten Jahren viele neue Mitglieder gewonnen, die im Gesundheitsbereich tätig sind. Mittlerweile gibt es auch eine Vernetzung der Gesundheitsbeschäftigten, die in der Linken organisiert sind. Das sollten wir auf andere Branchen ausweiten.
III. Ein möglicher Weg nach vorne
Nun hat Die Linke keine leichte Aufgabe in einer Zeit, in der sich die meisten Menschen eher das Ende der Welt vorstellen können als das Ende des Kapitalismus. In Zeiten multipler gesellschaftlicher Krisen und der schwindenden Hoffnung auf Besserung, hat es eine Partei schwer, die das ganze Gesellschaftssystem verändern will, in dem wir leben.
Eine veränderungswillige Linke trifft auf eine erschöpfte Gesellschaft. Die arbeitenden Menschen in Deutschland sind erschöpft. Erschöpft vom Dauerstress auf der Arbeit oder dem ständigen Suchen nach dem nächsten Job, weil der letzte auch wieder nur befristet war. Erschöpft von der Not-Betreuung der Kinder, weil die Kita schon wieder wegen Personalmangel schließen musste, erschöpft von überfüllten Zügen, die dazu auch noch ständig zu spät kommen. Erschöpft von der ständigen Angst, die Wohnung zu verlieren oder schlicht die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Erschöpft von Inflation, drastischen Preissteigerungen und der Erfahrung eines gebrochenen Aufstiegsversprechen. Erschöpft von den vielen gebrochenen Versprechen der regierenden Parteien.
Damit Die Linke an die Stelle der Erschöpfung wieder Hoffnung setzen und aus der Krise kommen kann, muss sie bereit sein, Dinge zu verändern.
1) Eine neue Idee von Solidarität
Es ist unsere Aufgabe, wieder Hoffnung auf Veränderung zu wecken bei jenen, die sich einen funktionierenden Alltag und eine Work-Life-Balance nicht einfach durch Geld kaufen können. Die, die das nicht können, sind auf einen Staat angewiesen, der sich um eine funktionierende Infrastruktur kümmert und der ihre Rechte schützt. Im Mittelpunkt unserer Politik stehen die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen.
Öffentliche Infrastruktur wie Verkehr, das Gesundheits- und Bildungssystem, Energie- und Wasserversorgung und Wohnungsgesellschaften gehören in staatliche und kommunale Hand. Es braucht dringend öffentliche Investitionen, um diese „bedingungslose Grundversorgung“ auszubauen und zu erhalten.
Eine Linke muss sich deshalb zuallererst für den Erhalt und den Ausbau der grundlegenden Kernbereiche des Alltags einsetzen, damit die erschöpfte Gesellschaft wieder atmen kann und wieder den Kopf frei hat für Visionen und Perspektiven, in denen grundlegende Gesellschaftsveränderungen wieder möglich erscheinen. Das heißt, öffentliche Infrastruktur wie Verkehr, das Gesundheits- und Bildungssystem, Energie- und Wasserversorgung und Wohnungsgesellschaften gehören in staatliche und kommunale Hand. Es braucht dringend öffentliche Investitionen, um diese „bedingungslose Grundversorgung“ auszubauen und zu erhalten.
Dieser „Infrastruktursozialismus“ beinhaltet auch den Ausbau sozialer Sicherungssysteme und demokratischer Rechte, für ein Rentensystem, durch das niemand im Alter in Armut leben muss und damit Kettenbefristungen ein Ende haben. Solidarität entsteht in gemeinsamen Kämpfen. Um nachhaltig zu wachsen, braucht sie aber ein stabiles soziales Fundament, in der Menschen nicht in Konkurrenz zueinander gebracht werden. So kann eine neue Idee von Solidarität entstehen.
Es geht im Kern um ein gutes Leben für alle. Damit alle ein gutes Leben in Würde und Sicherheit führen können, müssen die wenigen, die durch Erbschaften reich wurden und durch Aktiengewinne immer reicher werden, endlich ihren gerechten Anteil an die Gesellschaft zurückgeben. Erst vor kurzem wurde veröffentlicht, dass der die Bundesregierung die 40 deutschen Dax-Konzerne 2023 mit Milliardensubventionen versorgte, während diese im selben Zeitraum zehn Mal so hohe Gewinne eingefahren haben. Frei nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“. Hier muss ein radikaler Wandel her hin zu einer radikalen Umverteilung von oben nach unten.
2) Den Strukturkonservatismus überwinden
Die Linke muss sich verändern und den Strukturkonservatismus in Teilen unserer Partei überwinden. Ich nehme wahr, dass die notwendige Erneuerung der Partei einigen Mitgliedern Sorge macht. Selbst die vielen neuen Mitglieder sind für manche nicht nur Grund zur Freude, sondern bringt auch Skepsis mit sich vor neuen Ideen, die sie mitbringen. Eine Linke aber hat nur eine Zukunft, wenn sie ihre Vergangenheit nicht vergisst und gleichzeitig nicht die Augen vor neuen Ideen verschließt. Der Marxismus ist kein Schrein, den man anbetet, sondern er ist unser Werkzeug, um die Welt zu erschließen und muss weiterentwickelt werden, um überzeugende Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu finden.
Ich bin der Meinung, dass die Gehälter von Abgeordneten in einem vernünftigen Verhältnis zu den Durchschnittslöhnen stehen sollte. Durch Spenden an die Partei und in einen Sozialfonds machen unsere Abgeordneten deutlich, dass linke Mandate praktischen Nutzen haben.
Das heißt auch, dass wir keine klassische Parlamentspartei mit ihren Abgeordneten und ihren Diäten sind, sondern auf Augenhöhe mit den Menschen Politik machen sollten, die wir für eine bessere Zukunft gewinnen wollen. Ich bin der Meinung, dass die Gehälter von Abgeordneten in einem vernünftigen Verhältnis zu den Durchschnittslöhnen stehen sollte. Durch Spenden an die Partei und in einen Sozialfonds machen unsere Abgeordneten deutlich, dass linke Mandate praktischen Nutzen haben. Zwar spenden unsere Abgeordneten auch heute viel, aber um Abhängigkeiten und Begünstigungen zu vermeiden, ist es sinnvoll, individuelle Spenden zumindest teilweise in kollektive Strukturen zu überführen. Mit dem Geld aus dem Sozialfonds sollen soziale Projekte, aber auch unsere Arbeit in den Linke-Hilft-Strukturen finanziert werden. Wie das im Einzelnen aussehen kann, dafür brauchen wir einen kollektiven Prozess, an dessen Ende auch eine Entscheidung stehen muss. Dieser Prozess wird bereits vorbereitet.
Wir müssen auch den Umgang untereinander verändern. Die Linke will Partei der Solidarität sein und schafft es oft selbst nicht, unter- und miteinander solidarisch zu sein. Das stößt viele Menschen ab. Zu oft führen Unterstellungen und Verdächtigungen zu einer Atmosphäre, in der jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und in jedem Satz das Trennende gesucht wird. Hinzukommt die fehlende Wertschätzung, die wir einander für unsere Arbeit geben. Die allermeisten Aktiven arbeiten in unserer Partei ehrenamtlich, schlagen sich nach Feierabend mit Finanzplänen rum, verbringen ihre Wochenenden auf Parteitagen oder gehen frühmorgens zum Streikposten. Oft über ihre persönlichen Grenzen hinaus. Wir geben alle unser Bestes für diese Partei und für eine bessere Gesellschaft. Sagen wir uns das wieder öfter gegenseitig. Besonders unsere Führungsgremien und Abgeordneten stehen in der Verantwortung, Wertschätzung und ein solidarisches Miteinander vorzuleben.
3) Unseren Fokus finden – Neue Klassenpolitik
Wir haben einen Strategieprozess auf den Weg gebracht und Vorschläge für eine inhaltliche Fokussierung gemacht. Wir wollen dabei die Partei, die Aktiven, die Kreis- und Landesverbände mitnehmen und gemeinsam den Kern unserer Antwort auf die unsoziale Politik der Regierung im Bundestagswahlkampf und darüber hinaus formulieren. Das ist kein top-down-Prozess, es darf auch kein beliebiger Markt der Möglichkeiten werden. Die Partei muss kollektiv zu Strategie- und Handlungsfähigkeit finden, um wahrgenommen zu werden. Im nächsten Schritt wollen wir diese Kernpunkte bei Menschen und potenziellen Wähler*innen verankern. Denn Vertrauen gewinnt man nicht per Proklamation zurück, sondern im Gespräch.
In Zeiten, in denen wir weniger Ressourcen haben und weniger Öffentlichkeit bekommen, ist es ist überlebensnotwendig, dass wir uns auf wenige Kernfelder konzentrieren, die im besten Fall zu drei Kernforderungen im kommenden Bundestagswahlkampf werden. Diese Felder sollten die sein, auf denen wir die meiste Kompetenz und Glaubwürdigkeit haben wie Gute Arbeit und soziale Infrastruktur (Wohnen, Gesundheit) und gerechten Sozialstaat durch Umverteilung. Fokussierung bedeutet nicht, zu anderen Themen zu schweigen. Natürlich werden wir auch künftig auf tagesaktuelle Entwicklungen reagieren und sind gut beraten, weiterhin die meisten Presseanfragen zu beantworten.
Eines können wir uns auf dem Weg aus der Krise nicht mehr leisten: Alleingänge einzelner in der Presse. Demokratische Kultur in einer linken Partei heißt: Alles wird diskutiert, wir ringen mit Herzblut um richtige und gemeinsame Antworten. Dann sind es aber auch die Antworten – bis zur nächsten Debatte und dem nächsten Parteitag.
Nur wenn die Partei wieder mit klarer Stimme spricht, können wir unsere zentralen Aufgaben erfüllen: Die schreiende soziale Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft und der Politik der Regierung, den Klassenkampf von oben zum gesellschaftlichen Thema machen, Alternativen aufzeigen und die Interessen der Beschäftigten zu verteidigen. Die falschen Spaltungslinien zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen oder Migrant*innen zurückweisen: Ein Angriff auf den Lebensstandard von einigen wird bald zu einem Angriff auf unser aller Ansprüche an Wohnen, Arbeit, Zukunft werden. Es geht darum, das Recht auf gute Gesundheitsversorgung und Pflege zu verteidigen, auf ausreichend Kitas und kleinere Schulklassen, auf einen funktionierenden Nahverkehr, bezahlbares Wohnen und Arbeit, die zum Leben passt. Das Recht darauf, keine Angst vor der Zukunft zu haben.
Ich hoffe, meine Wortmeldung kann einen Beitrag zur notwendigen Strategiedebatte innerhalb der Partei leisten. Und auch Entscheidungen, die getroffen wurden, nachvollziehbar machen, wo sie vielleicht nicht immer verständlich waren. Meine feste Überzeugung ist, dass Die Linke diese Krise überwinden und Vertrauen zurückgewinnen kann, wenn wir die Weichen richtig stellen. Unsere Partei trägt eine große Verantwortung und sie hat eine Chance. Nutzen wir sie.