Drug-Checking – ein linkes Erfolgsprojekt
Seit mehreren Jahrzehnten ist Drug-Checking als erfolgreiches Instrument eines schadensminimierenden Ansatzes in den Gesundheitswissenschaften und in der Drogen- und Suchtberatung bekannt. Trotz mehrerer Versuche der Etablierung derartiger Projekte in Deutschland scheiterten diese bis vor kurzem immer wieder an einer Blockadehaltung in der Regierungspolitik mit Verweisen auf die vermeintliche Rechtswidrigkeit und Schädlichkeit von Drug-Checking – dank des Drucks aus der Zivilgesellschaft sowie linken Initiativen und Modellprojekten auf Landes- und kommunaler Ebene ist der Diskurs inzwischen ein gänzlich anderer, sodass Beratungs- und Testangebote womöglich bald überall in Deutschland verfügbar sein könnten.
Drug-Checking ist eine wirksame Methode der Schadensminimierung beim Konsum psychotroper Substanzen und funktioniert dabei denkbar einfach: Die konsumierende Person gibt eine Probe einer Substanz bei der stationären oder mobilen Annahmestelle ab, welche dann in einem Labor chemisch analysiert wird. In einem anschließenden Beratungsgespräch geben geschulte Mitarbeitende des Drug-Checking-Projekts Auskunft über das Ergebnis der Substanzanalyse, klären über die schädigenden Auswirkungen des Konsums auch nicht-verunreinigter Substanzen auf und regen die konsumierende Person zu einer Reflexion des eigenen Konsumverhaltens an. Bei Bedarf können Konsumierende auch direkt an Angebote der Sucht- und Drogenhilfe weitervermittelt werden. Nebenbei werden Warnungen zu derzeit verunreinigten oder hoch dosierten Substanzen gewonnen und auch öffentlich kommuniziert.
In zahlreichen anderen Ländern wie zum Beispiel den Niederlanden, Spanien, Frankreich, Italien, der Schweiz und Österreich ist Drug-Checking deshalb schon seit vielen Jahren ein Mittel der Wahl, um mit einem Ansatz der schadensminimierenden („harm reduction“) Drogenpolitik die Konsumierenden nicht zu kriminalisieren, sondern deren geringstmögliche Schädigung durch psychotrope Substanzen an erste Stelle zu setzen.
Durch wissenschaftliche Studien aus dem Ausland wissen wir, dass infolge der Drug-Checking-Angebote kein Anstieg des Konsums oder gesteigerten Erstkonsums von Menschen, die ohne Drug-Checking nicht konsumiert hätten, zu beobachten ist, wohl aber ein späterer oder gar kein Erstkonsum. Ebenfalls konsumieren Drug-Checking-Nutzende nicht mehr als Menschen, die Drug-Checking-Angebote nicht nutzen. Die Kritik konservativer Parteien, Drug-Checking bedeute eine Animierung zum Substanzkonsum oder das Vorgeben falscher Sicherheit beim Konsum von Substanzen, die auch in Reinform gesundheitsschädlich sind, zielt somit ins Leere.
Dennoch hat es viele Jahre gedauert, bis wissenschaftliche Argumente sowie zivilgesellschaftliche und linke Initiativen größeres Gewicht im öffentlichen Diskurs erhielten und die alarmistischen konservativen Unkenrufe zur vermeintlichen Gefährlichkeit des Substanzcheckings weniger Gehör fanden. Bereits in den 1990er Jahren bot der Suchthilfeverein Eve & Rave in Berlin erstmals auf Partys die Möglichkeit des Drug-Checkings an und wurde sogleich mit polizeilicher Repression überzogen.
Zwar wurden alle Strafverfahren vom Gericht eingestellt, das Bundesgesundheitsministerium schob jedoch mit einer Weisung an alle staatlichen Labore, keinerlei Substanzproben von privaten Organisationen zum Zwecke des Drug-Checkings anzunehmen, weiteren Testprojekten einen Riegel vor.
Dass Drug-Checking, während es in der Zwischenzeit in zahlreichen europäischen Staaten etabliert wurde, nun endlich auch aus Deutschland nicht mehr wegzudenken ist, verdanken wir zwei Pilotprojekten in Thüringen und Berlin, jeweils konzipiert durch Landesregierungen mit Beteiligung der LINKE.
Thüringen startete sein Angebot im Herbst 2021 unter dem Titel „SubCheck“ und umging geschickt alle rechtlichen Probleme, die zu diesem Zeitpunkt noch bestanden: Die Klient*innen füllen eine Probe der zu analysierenden Substanz in eine Lösung, die die Substanz als Rauschmittel unbrauchbar macht – erst danach folgt die Entgegennahme durch das Labor zur Testung. Erste Evaluationen des Thüringer Angebotes belegen, dass insbesondere Amphetamin-Proben mit anderen Substanzen verunreinigt waren, zahlreiche Klient*innen infolge der Testung ihr Konsumverhalten reflektierten und mehrere Warnungen vor verunreinigten oder sehr hoch dosierten Substanzen herausgegeben werden konnten, die im Zweifel Leben retten können. Für das Jahr 2023 stellte das Land Thüringen deshalb 120.000€ zum Weiterbetrieb von SubCheck bereit.
Das Projekt in Berlin dagegen hat bereits eine längere Vorgeschichte und setzt auch in seinem Umfang neue Maßstäbe: Nach dem Aus von Eve & Rave in den 1990er Jahren brauchte es viele Jahre, bis die Idee wieder die Chance einer realen Umsetzung bekommen sollte. Erst mit dem Wechsel zu einer rot-rot-grünen Regierungskoalition im Jahr 2016 ist vor allem auf Druck der Linken die Kehrtwende zu einer progressiven, auf Schadensminimierung und Entkriminalisierung setzenden Drogenpolitik eingeleitet worden. Im Zuge dessen fand das Vorhaben des Drug-Checking Eingang in den Koalitionsvertrag.
Zur rechtlichen Absicherung beauftragte der Berliner Senat den renommierten Experten für Betäubungsmittelrecht Prof. Cornelius Nestler mit einem Gutachten. Dessen zentrale Annahme sollte die rechtliche Grundlage des Berliner Drug-Checking-Projekts bilden: Die Entgegennahme einer (illegalisierten) Substanz zum Zwecke der Analyse stellt keinen Drogenbesitz oder -handel im strafrechtlichen Sinne dar. Daneben sollten mit der Festlegung bestimmter Voraussetzungen für das mit der Analyse beauftragte Labor und das entsprechende Personal rechtliche Risiken für das Projekt ausgeschlossen werden.
In der Folge wurden alle beteiligten Akteure, also die zuständigen Senatsressorts, Staatsanwaltschaft und Polizei, die Projektträger sowie das Labor im Wege einer Kooperationsvereinbarung auf die einvernehmliche Handhabung des Drug-Checking verpflichtet. Eine rechtssichere Durchführung des Projekts war somit trotz der restriktiven Ausrichtung des Bundesrechts und des Fehlens einer expliziten Rechtsgrundlage für das Drug-Checking möglich.
Das Abgeordnetenhaus stellte ein Budget von 200.000 Euro pro Jahr zur Verfügung. Der Weg für die Schaffung eines progressiven Leuchtturmprojekts der Drogenpolitik durch das Land Berlin war damit geebnet. Einige Hindernisse wie Widerstände in den beteiligten Verwaltungen und Behörden, die Schwierigkeit, ein passendes Labor zu finden und die dortigen Kapazitäten aufzubauen oder die zwischenzeitliche Corona-Pandemie verzögerten den Start des Projekts immer wieder. Doch im Juni 2023 konnte nach Ablauf eines Testlaufs endlich der Routinebetrieb beginnen.
Das Konzept ist ambitioniert und breit aufgestellt (weiterführende Infos unter drugchecking.berlin): Drei etablierte Berliner Träger der Suchthilfe und -beratung (Vista, Fixpunkt und Schwulenberatung) nehmen Proben entgegen und bieten Beratung, Risikoaufklärung und bei Bedarf die Vermittlung in weitergehende Hilfe an. Die Analyse findet dann in einem landeseigenen Labor statt, das Ergebnis liegt wenige Tage später vor. Die drei beteiligten Träger decken verschiedene Zielgruppen ab, denn das Angebot richtet sich nicht nur an Konsumierende aus der Partyszene, sondern etwa auch an Menschen mit abhängigem Konsummuster, die täglich konsumieren. Entsprechend werden so gut wie alle psychoaktiven Substanzen zur Probe angenommen. Lediglich Cannabis soll nur in Ausnahmefällen untersucht werden, etwa wenn der Verdacht auf Beimischung synthetischer Cannabinoide besteht.
Perspektivisch wird auch ein mobiles Angebot angestrebt, bei dem das Analyseergebnis noch am selben Tag vorliegt. Zudem wäre die Substanzanalyse auch in Kombination mit Drogenkonsumräumen sinnvoll, was seit der jüngsten Gesetzesänderung auf Bundesebene (s.u.) rechtlich möglich ist.
Der Anfang ist gemacht, das Projekt ist etabliert und wurde auch nach dem Regierungswechsel zu einer schwarz-roten Koalition in 2023 nicht rückabgewickelt. Allein das ist aus linker Sicht ein großer Erfolg.
Ob die weitergehenden Ziele verwirklicht werden können, hängt allerdings von politischen Mehrheiten für eine Ausweitung des finanziellen Spielraums ab.
Nötig wäre es allemal: Die ersten Erfahrungen haben gezeigt, dass in Berlin eine enorme Nachfrage besteht, die das Angebot bei weitem übersteigt. Seit dem Start wurden, wie die Senatsverwaltung für Gesundheit Anfang November mitteilte, rund 800 Proben analysiert. Wöchentlich seien bis zu 39 Proben entgegengenommen worden. Bis August mussten 380 Personen aus Kapazitätsgründen abgewiesen werden. Den Gewinn für den Gesundheitsschutz verdeutlicht der hohe Anteil an Verunreinigungen, Überdosierungen oder Falschdeklarationen: Bei 43 Prozent der Proben wurde eine Warnung ausgesprochen.
Nachdem das Projekt nun gestartet und in Betrieb gegangen ist, wird es weiterhin Druck von links brauchen, damit es seinem Anspruch gerecht werden kann. Zwar haben SPD und CDU es nicht wieder einkassiert und die Vorbehalte gegen die Substanzanalyse schwinden – die Finanzierung wird jedoch im Landeshaushalt für die Jahre 2024 und 2025 nicht ausgeweitet. Damit werden weder der Ausbau der Kapazitäten noch die Erschließung weiterer Zielgruppen möglich sein.
Der Stein ist allerdings ins Rollen gebracht: in diversen Städten und Kommunen gibt es Initiativen zur Einführung des Drug-Checking – hierfür war das Berliner Projekt Initialzündung und konzeptionelles Vorbild.
Auch in Leipzig wollten wir auf die bundesgesetzliche Legalisierung von Drug-Checking nicht warten. Deshalb setzten wir im Leipziger Stadtrat im September 2022 die Entwicklung eines Modellprojektes durch, das gemeinsam mit Trägern der Drogenhilfe und der Universität Leipzig entwickelt werden und aus einem stationären Labor und dezentralen Annahmestellen bestehen soll. Für den städtischen Haushalt der Jahre 2023/24 wurden hierfür insgesamt 50.000€ eingestellt. Inzwischen hat sich eine Projektgruppe konstituiert, die bis 2024 ein Konzept erarbeiten wird. Zur Umsetzung braucht es dann letztendlich den Willen der sächsischen Regierung.
Auf der bundespolitischen Zielgerade befindet sich Drug-Checking seit dem aktuellen Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, wo es heißt, dass „Maßnahmen […], welche die Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum ( ‚Harm Reduction‘) zum Ziel haben“ – darunter Drug-Checking – ermöglicht und ausgebaut werden sollen. Und tatsächlich erfolgte im Juni 2023 schließlich die Legalisierung zusammen mit dem „Reformgesetz zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln“ durch den Bundestag. Der große Haken allerdings: Es bleibt in der Hand der Bundesländer, ob sie Drug-Checking per Rechtsverordnung erlauben, oder nicht. Neben den naheliegenden Zusagen aus Berlin und Thüringen bestätigten bislang nur Hessen und Baden-Württemberg, entsprechende Projekte anbieten zu wollen, sodass im Moment nicht nur für unser geplantes Projekt in Leipzig, sondern für Menschen in zwölf Bundesländern keine Möglichkeit der Substanztestung besteht.
Dennoch markieren die Entwicklungen der letzten Jahre eindeutig eine Drug-Checking-Erfolgsgeschichte – und damit auch eine Erfolgsgeschichte vielfältiger Bemühungen von Aktiven aus linken Bewegungen und unserer Partei. Umso wichtiger ist es, jetzt am Ball zu bleiben, und die Ermöglichung von Drug-Checking in jedem einzelnen Bundesland durchzudrücken! Dabei unterstützen uns einerseits die Pilotprojekte in Thüringen, Berlin und zukünftig an weiteren Orten in Deutschland. An ihnen wird in der Praxis deutlich werden, was wir aus empirischen Daten anderer Projekte im Ausland bereits wissen: dass Drug-Checking erfolgreich dabei hilft, eine gesundheitspräventive, nicht-kriminalisierende Drogenpolitik zu gestalten.
Kommunale Initiativen sind ebenfalls von großer Wichtigkeit: Sie unterstützen dabei, Aufmerksamkeit für das Thema zu generieren, mögliche Pilotprojekte vor Ort ins Rollen zu bringen und den Landesregierungen zu signalisieren, dass es höchste Zeit ist, Drug-Checking zu erlauben und zu finanzieren.
Denn jedes einzelne Projekt ist von entscheidender Bedeutung: Es verhindert sofort und nachhaltig durch Information und Aufklärung mögliche Todesfälle und wahrscheinliche Gesundheitsschäden durch verunreinigte oder überdosierte Substanzen.
Zuletzt fließen die Ergebnisse der Substanzanalysen auch in internationale Datenpools ein, um ein Monitoring des sich dynamisch verändernden illegalisierten Marktes zu ermöglichen, sodass ein Drug-Checking-Projekt überall auch zum Schutz vieler weiterer Konsumierender weit über die Ortsgrenzen hinaus beiträgt.
Deshalb: Startet in euren Ortsverbänden, in Stadt- und Kreisräten eigene Initiativen, um Drug-Checking lokal zu ermöglichen! Aktiviert eure Landesverbände, um auf der Straße oder im Landtag an die Landesregierungen zu appellieren, die neuen gesetzlichen Möglichkeiten umzusetzen – dann können wir gemeinsam die Erfolgsgeschichte des Drug-Checkings als eine linke Erfolgsgeschichte weiterschreiben.