Free Alaa
Die COP ohne Freilassung aller politischen Gefangenen ist eine Farce
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Die Zahlen sind schier unglaublich: Bis zu 65.000 politische Gefangene sitzen Schätzungen zufolge in ägyptischen Gefängnissen. Einer der prominentesten davon ist Alaa Abdel Fattah. Im Laufe seines Lebens wurde Abdel Fattah unter jedem ägyptischen Staatsoberhaupt verhaftet. Derzeit befindet er sich nach einem unfairen Prozess wegen fadenscheiniger Anschuldigungen in Zusammenhang mit seinem Einsatz für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in Haft. Am 2. April 2022 trat er in einen unbefristeten partiellen Hungerstreik, um ein letztes Mal für seine Freiheit und die Freiheit anderer politischer Häftlinge zu kämpfen. Nach mehr als 200 Tagen Hungerstreik kündigte er nun an, ab dem 1. November 2022 seine bisherige 100-Kalorien-Zufuhr einzustellen und in einen vollständigen Hungerstreik überzugehen. Er beschloss außerdem, am 6. November 2022, zeitgleich mit dem Beginn der »United Nations Climate Change Conference of the Parties, COP27«, in Sharm el-Sheikh in Ägypten, mit einem Wasserstreik zu beginnen. Es wird befürchtet, dass er in der ersten Woche der COP sterben könnte. Dessen ist er sich unmissverständlich sicher, wie er in einem Brief an seine Familie schrieb:
„I’ve taken a decision to escalate at a time I see as fitting for my struggle for my freedom and the freedom of prisoners of a conflict they’ve no part in, or they’re trying to exit from; for the victims of a regime that’s unable to handle its crises except with oppression, unable to reproduce itself except through incarceration”.
Seine Schwester Sanaa Seif fungiert – neben ihrem eigenen politischen Aktivismus, der sie ebenfalls bereits in das Gefängnis brachte – als eine Art „Sprachrohr“ in der medialen Öffentlichkeit und der politischen Arena. Am 26. Oktober 2022 wurde Sanaa Seif vom Unterausschuss für Menschenrechte des Europäischen Parlaments eingeladen, über die Menschenrechtssituation in Ägypten rund um die COP27 zu sprechen. Was die gegenwärtige COP so „anders“ macht – und die Rede von Sanaa Seif steht dafür exemplarisch – ist, dass ägyptische Aktivist*innen vor Ort und im Exil durchgängig eine klare Verbindung ziehen zwischen der politischen Lage im Land, dem „Greenwashing“ des ägyptischen Regimes und der Verantwortung der Länder des Globalen Nordens, die schon zu lange unter Worthülsen wie „regionaler Stabilitätsanker“ das Regime in Kairo hofiert haben. Mit den in ihrer Rede genannten wenigen Beispielen verdeutlicht Seif, wie Proteste von Betroffenen gegen Umweltzerstörungen nach 2013 in Ägypten unterdrückt wurden oder welche Klimaauswirkungen die neuen Megaprojekte, wie der Neubau der neuen Verwaltungshauptstadt (New Administrative Capital), des Regimes haben. Vor allem ist es die europäische Energie- und Klimapolitik, welche es dem Regime derzeit ermöglicht, sich als Vertreter der vom Klimawandel unmittelbar Betroffenen im Globalen Süden zu präsentieren und sich als vermeintlicher Vorreiter einer grünen Energiepolitik durch geplante Abkommen zur Produktion von grünem Wasserstoff in Ägypten zu positionieren. Und das, obwohl das Regime seit Jahren mit massiver Unterstützung europäischer Staaten und westlicher Energiemultis zu einem neuen Großexporteur fossiler Brennstoffe ausgebaut wird.
Das Schweigen der Bundesregierung
In dieses Muster passt das Agieren der Bundesregierung. Es sind nicht nur die schnell abgeschlossenen Waffendeals der bereits abgewählten schwarz-roten Bundesregierung im Wert von rund vier Milliarden. Es sind vor allem das Schweigen und Bagatellisieren, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz den ägyptischen Diktator während einer Pressekonferenz am 18.07.2022 unwidersprochen über „Dialog mit der Zivilgesellschaft“ und „Menschenrechtsstrategie“ sprechen lässt. Zu dem Zeitpunkt verlief der „nationale Dialog“, ein im April lanciertes informelles Gesprächsforum zwischen Regime und Teilen der Opposition, bereits im Sande und wurde von einer neuen Welle an Verhaftungen überschattet.
Zynisch wird das Verhalten vor allem im Hinblick auf offizielle Stellungnahmen, wie beispielsweise zuletzt die Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Schriftliche Frage der Linken-Abgeordneten Heidi Reichinnek. Gefragt nach den Schritten, welche die Bundesregierung unternommen habe, um aktuelle Verhaftungen, die im Zusammenhang mit zivilgesellschaftlichem Engagement um die COP27 stehen, zu thematisieren und sich für die Freilassung Alaa Abdel Fattahs einzusetzen, lässt sie vermitteln, dass sich die Bundesregierung „seit Jahren“ und „mit Nachdruck für Herrn Abdel Fattah“ einsetzt. Die „Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, MdB Luise Amtsberg, hat am 25. Mai 2022 in einem Tweet ihre Sorge über den Gesundheitszustand des im Hungerstreik befindlichen Alaa Abdel Fattah ausgedrückt.“ Tweets als politisches Mittel gegen autoritäre Regimes?
Dass sich Luise Amtsberg am 6.11.2022 in einer Stellungnahme nun deutlich weniger ausweichend äußert, ist zu begrüßen. Diese Reaktion kommt allerdings reichlich spät, möglicherweise zu spät. Denn ihre Forderungen bleiben ohne mögliche angekündigte Konsequenzen – wie die Abreise der deutschen Delegation. Und dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz bisher gar nicht zum Thema äußerte, ist frappierend. Stattdessen werden neue Deals von der Bundesregierung vorbereitet.
Während und nach der COP ist vor der COP
Wer gehofft hatte, dass das Ägyptische Regime rund um die COP tatsächlich seine Repressalien zurückfahren würde, um Kritik aus dem Weg zu gehen und zu entschärfen, ist jetzt schon enttäuscht worden. Schon im Vorfeld der COP dokumentierten 12 ägyptische Menschenrechtsorganisationen die anhaltenden Massenverhaftungen und Inhaftierungen von Hunderten von Menschen als Reaktion auf die Aufrufe zu regierungskritischen Protesten am 11.11. Angst, sich zu äußern, ist weiterhin omnipräsent. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die ägyptische und globale Klimapolitik nach der COP27 grundsätzlich ändern wird, ebenso dass sich die Menschenrechtssituation in Ägypten verbessern wird. Neue Gefängnisse werden bereits gebaut.
Die Politik der Bundesregierung gegenüber dem ägyptischen Regime muss sich grundsätzlich ändern: Ein unmissverständliches Moratorium auf Rüstungsexporte und den Stopp der sogenannten Sicherheitskooperation mit den ägyptischen Behörden, die vor allem Trainings der Bundespolizei für ägyptische Polizei- und Geheimdienstbehörden und polizeiliche Ausstattungshilfen umfasst, ist nun nötiger denn je. Die Förderung fossiler Energieträger in Ägypten durch deutsche Unternehmen oder finanziert mit Geldern aus Deutschland sind abzulehnen und geplante Abkommen über den Export von in Ägypten produziertem grünen Wasserstoff sollten aufgeben werden. Die Bundesregierung muss die Verletzung von Menschenrechten und die Lage der politischen Gefangenen stets thematisieren und allen anderen Deals voranstellen. Und es muss jetzt alles darangesetzt werden, Alaa Abdel Fattahs Leben zu retten.