So geht es nicht weiter
Zum Wahlausgang der Landtagswahl in Niedersachsen
Das Ergebnis der LINKEN in Niedersachsen ist ein Debakel. Mit 2,7 Prozent (-1,9) fällt unser Landesverband sogar noch hinter das Niveau von 2013 mit 3,1 Prozent zurück. Dabei verlor der Landesverband besonders in seinen Hochburgen. Das Ergebnis der LINKEN reiht sich in eine Reihe von Wahlschlappen ein. Zu nennen sind die Landtagswahlergebnisse von NRW mit 2,1 (-2,8), Schleswig-Holstein mit 1,7 (-2,1), Saarland mit 2,6 (-10,2) sowie die Bundestagswahl 2021 mit 4,9 (-4,3). Trotz großer gesellschaftlicher Probleme, für die es uns braucht, ist DIE LINKE in ihrer tiefsten Krise seit ihrer Gründung. Als Landesverband müssen wir uns ernsthafte Gedanken machen, wenn wir als LINKE weiter existieren wollen.
Der Wahlkampf wurde dominiert von den Folgen des russischen Angriffskriegs, sowie dem damit verbundenen Wirtschaftskrieg. Mit großem Abstand benannten die Wählenden als ihre größte Sorge die Energieversorgung (35 Prozent) sowie die Preissteigerungen (34 Prozent). Im Unterschied zu anderen Krisen, haben wir hier eine Problemlage die nicht nur bestimmte Gruppen betrifft, sondern große Bevölkerungsmehrheiten. So gaben auf Bundesebene 85 Prozent der Befragten an, dass die aktuellen Entwicklungen sie beunruhigen würden. Weiter gaben 65 Prozent an, mit der Arbeit der Ampelregierung im Umgang mit dieser Krise unzufrieden zu sein. Dennoch verlor DIE LINKE als Oppositionspartei in so ziemlich allen Wählergruppen an Zustimmung.
Mit dem „Heißen Herbst“ und der damit verbundenen Kampagne setzte die Partei darauf, die wachsende Unzufriedenheit in Folge einer immer tiefer werdenden sozialen Spaltung zu adressieren und formulierte Forderungen, um die Krisenlasten solidarisch zu verteilen. Der Landesverband griff die Kampagne auf und es kam in vielen Städten zu einer erfreulich großen Anzahl an Aktionen und Veranstaltungen. Allerdings gab es große Uneinigkeit in der Frage wie die Energie- und Preiskrise im Schlepptau des Angriffskrieges denn zu lösen sei. Der darum medial ausgetragene Streit lähmte wieder einmal DIE LINKE bundesweit und führte zu Austritten auf allen Seiten. In der Wahrnehmung vieler Wählenden war die Partei mal wieder mit sich selbst beschäftigt, statt sich den drängenden Problemen zuzuwenden. Ein Verhalten, das unsere Partei mit Blick auf z.B. die Corona- oder Fluchtkrise nicht das erste Mal an den Tag legt. Ein Verhalten, bei dem es nur Verlierer gibt und das deshalb erheblich zum schlechten Abschneiden in Niedersachsen sowie bei anderen Wahlen beigetragen hat.
Für unser Ergebnis in Niedersachsen wäre es allerdings zu leicht mit dem Finger nach Berlin in das Karl-Liebknecht-Haus oder den Clara-Zetkin-Saal zu zeigen. Die Abhängigkeit vom Bundestrend ist der eigenen strukturellen sowie politischen Schwäche geschuldet. In zu vielen Orten sind wir kaum präsent. In Niedersachsen leben über 60 Prozent der Bevölkerung auf dem Land. In den meisten Gemeinden sind wir kaum verankert. Anders gesagt, wenn in ganzen Kreisverbänden mit über 200.000 Einwohnern oder Städten mit über 50.000 Einwohnern nicht mal ein linker Stammtisch zustande kommt, warum sollte man dann annehmen, wir könnten etwas zu der Lösung großer Probleme beitragen? Auch werden uns kaum Kompetenzen in Fachthemen zugesprochen. Einzig und allein mit dem großen Begriff der sozialen Gerechtigkeit werden wir identifiziert. Die jahrelange Schwerpunktlegung auf soziale Themen war hier zwar richtig. Aber in Bereichen wie Bildung, Nahverkehr, Löhne, ja sogar Gesundheit sind wir trotz eklatanter Probleme für die Menschen im Land keine Ansprechpartner. Geschweige denn für immer wichtiger werdende Bereiche wie Klima, Landwirtschaft und vor allem Frieden.
Durch DIE LINKE geht ein Riss, der die Partei vor die Existenzfrage stellt. Eine Spaltung hätte zur Folge, dass die Partei über Jahre in der Versenkung verschwindet. Ein „Weiter so“ in der mit immer weniger Argumenten geführten Auseinandersetzung führt zu einem weiteren Ausbluten der Partei. Während einer tiefgreifenden Krise des Kapitalismus, mit entsprechenden Folgen wie Krieg, Klimakollaps, einer absurden sozialen Spaltung und dem Scheitern immer mehr Demokratien in westlichen Ländern, fixieren wir uns aufeinander. Trotz aller Unfähigkeit der herrschenden Parteien müssen wir uns ernsthaft die Frage stellen, wie es passieren konnte, dass wir uns in den Augen von immer mehr Menschen überflüssig machen. Der Streit innerhalb der Partei ist dabei Ausdruck einer Uneinigkeit über zum Teil sehr grundsätzlichen politischen Fragen. Der Bundesparteitag hat und konnte dazu nicht alle Fragen klären. Auch vollzieht sich der Streit nicht nur zwischen Fraktion und Parteivorstand. Der Riss geht quer durch die Mitgliedschaft, und zwar seit Jahren. Dabei müssen wir uns auch als Landesverbände fragen, ob wir ausreichend dazu beigetragen haben, den so notwendigen Diskussionsprozess zu organisieren? Die Aussprache zu diesen Fragen darf nicht bis zur nächsten Wahl warten, sondern sollte unter großer Einbeziehung der Mitglieder gesucht werden, auch hier in Niedersachsen.
Die AfD schafft es derweil, die wachsende Unzufriedenheit aufzugreifen. So konnte sie trotz internen Streits und einer zerlegten Landtagsfraktion die Stimmung im Land aufgreifen und ihr bisher stärkstes Ergebnis einfahren. Besonders stark war sie dabei in den industriell geprägten Regionen rund um die Automobilbranche. In Salzgitter wählte sie sogar fast jede fünfte Person, die zur Wahl ging. Unter den „erwerbstätigen Arbeitern“ wählte sie sogar jeder vierte Wählende. Diese Entwicklung muss DIE LINKE mit größter Sorge erfüllen. Nicht nur mit Blick auf die industriellen Hochburgen und das besonders dort nach rechts abdriftende Wählermilieu. Nach Bundesumfragen vertraut gerade mal die Hälfte aller Deutschen auf unsere Demokratie. Über die Hälfte hat das Vertrauen in die etablierten Medien verloren. In Ostdeutschland wählt fast jede dritte Person die AfD und in Thüringen drohen sie stärkste Kraft zu werden. Am Wahlsonntag konnte die AfD sogar 10.000 Menschen in Berlin zu einer Demonstration vor den Bundestag bewegen, in offener Verbrüderung mit Akteuren aus einem weit rechteren und gewaltbereiteren Gruppen. DIE LINKE muss diese wachsende Demokratiekrise besser verstehen und sich dieser großen Bedrohung mit neuer Kraft entgegenstemmen. Dazu gehört auch Wählermilieus zurückzuerobern. Denn da, wo DIE LINKE schwach ist, kann die AfD stark sein.
Will DIE LINKE Niedersachsen in politischen Fragen eine größere Rolle spielen, muss sie den Landesverband mehr zu einer eigenständigen gesellschaftlichen Kraft entwickeln. Dafür muss sie sich, für die nächsten 4 Jahre (bis zur Kommunalwahl) eine Strategie erarbeiten, wie sie zu mehr gesellschaftlicher Verankerung kommt, zu einem Ort wird an dem mehr und mehr qualifizierte Genoss:innen heranreifen und wie sie ein politisches Profil entwickelt mit dem der Landesverband in Niedersachsen und darüber hinaus auffällt. Wollen wir durch unsere Arbeit sowie unseren Organisationsgrad in den von der Schließung oder Privatisierung bedrohten Krankenhäusern auffallen? Wollen wir in der gewerkschaftlichen Arbeit der großen Betriebe rund um das Automobilland Niedersachsen eine Rolle spielen? Wollen wir uns in Stadtteilen aufstellen gegen die steigenden Mieten in immer mehr Städten? Hier müssen wir uns angesichts geringer Ressourcen fokussieren. Zur langfristigeren politische Schwerpunktarbeit gehört der stärkere Aufbau von Kreisverbänden inklusive der Mandtasträger:innen, mehr überregionale Vernetzung der Aktiven, umfassendere politische Bildung, die gezielte Förderung von LAGs, eine Stärkung der vollkommen unterbesetzten Landesgeschäftsstelle und vieles mehr.
DIE LINKE Niedersachsen muss sich erheblich weiterentwickeln. Dass der Landesverband das kann, hat er in diesem Wahlkampf bewiesen. Wir haben es geschafft trotz geringer Ressourcen eine professionelle Kampagne auf die Beine zu stellen, viele Ehrenamtliche einzubinden, uns durch ein bündnisorientiertes und durch die Mitglieder erarbeitetes Wahlprogramm inhaltlich weiterzuentwickeln und trotz einer hitzigen Listenaufstellung die Streitigkeiten für die Schlussphase des Wahlkampfes hintenanzustellen. Dennoch bleibt ein weiter Weg vor uns. Der berechtigte Frust und Ärger über das Wahlergebnis sollte nicht die nötige Wertschätzung über das herausragende Engagement vieler Genoss:innen ersetzen. Herausheben möchte ich die Spitzen- und Direktkandidierenden, die Wahlkampfleitung, die Landesgeschäftsführung, das Kampagnen- und Öffentlichkeitsteam sowie die vielen, vielen Engagierten vor Ort.
Der Dank über dieses Engagement reicht allerdings nicht aus. Damit sich dieses Engagement lohnt müssen alle Verantwortlichen ihre Hausaufgaben machen, damit auf die harte Arbeit nicht wieder ein Wahldebakel folgt. Der bisherige Landesvorstand sollte hier mit einer nüchternen Analyse vorangehen, die Mitgliedern in eine ausführliche Auswertung mit einbeziehen und dem kommenden Landesvorstand Vorschläge für die Arbeit der nächsten Jahre an die Hand geben. Die kommenden Jahre werden unzweifelhaft harte Arbeit. Es kann sich lohnen, da es eine starke LINKE braucht. Zu gewinnen gibt es viel.