17 Jahre Staatsversagen
Zum Todestag von Oury Jalloh
- Imago / Christian Ditsch“
Am 7. Januar 2005, morgens 8 Uhr, wird Oury Jalloh in Dessau von einer Polizeistreife in Gewahrsam genommen. Keine vier Stunden später ist er tot, er verbrennt in einer Zelle des Polizeireviers. Bis heute ist nicht ausreichend geklärt, warum ein Mann unter polizeilicher Aufsicht zu Tode kommen, warum ein solch verheerender Brand überhaupt ausbrechen konnte? Je länger die Ereignisse in Zelle 5 zurückliegen, desto größer wird der Skandal. Denn Staatsversagen verschwindet nicht, sondern potenziert sich mit der Zeit. In einer deutschen Polizeidienststelle sollte man nicht sterben müssen und wenn dies doch geschieht, muss es aufgeklärt werden können. Eigentlich. Jallohs Tod ist keine übliche Kriminalgeschichte, die staatliche Stellen aufzuhellen haben – die Polizei selbst steht im Zentrum der Ermittlungen. Doch Innenbehörden, Regierung und Justiz zeigen bis heute wenig Bereitschaft, den Fall als das zu betrachten, was er ist: Eine Versagen des Rechtsstaates.
Per Gerichtsurteil wird das Opfer Jalloh auch zum Täter. Die Annahme einer Selbstentzündung ist von Anfang an nicht widerspruchsfrei, aber gut geeignet um Justiz und Presse mit einem übersehenen Feuerzeug zu beschäftigen. Trotz solcher ansatzweisen Erklärungen bleibt das Geschehen schwer nachvollziehbar: Die Beamten stellen in einem Zellentrakt, der mit einem betrunkenen, mit Hand- und Fußfesseln fixierten Mann belegt ist, den Feueralarm aus. Mehrfach. Oury Jalloh verbrennt bis zur Unkenntlichkeit.
Die verschiedenen Prozesse enden ebenso dürftig, wie die Aussagen der Polizisten und weiterer Zeugen. Ein neuer Untersuchungsausschuss im Landtag von Sachsen-Anhalt, gefordert von der Linksfraktion, findet hingegen keine parlamentarischen Mehrheiten. Dabei geht es um einen der, wenn nicht den größten Polizeiskandal im wiedervereinten Deutschland. Vielleicht ist die Sache von Anfang an zu groß für ein Bundesland allein. Oder, ein Bundesland ist klein genug, um die Dinge im Zaum zu halten.
Zwei Sonderermittler, eingesetzt vom Rechtsausschuss des Landtages, dokumentieren 2020 nur noch einmal die juristische Sackgasse in die der Fall geraten ist. Sie erwähnen die neuen Regelungen des Innenministeriums zur künftigen Sicherheit im Gewahrsam, die nach dem Tod Jallohs ergehen, die u.a. einen ausführlichen Katalog von Gründen der Nichtgewahrsamsfähigkeit enthalten. Die Ermittler zeigen aber auch auf, wie spät die Polizeiführung damit reagiert. Für Jalloh zu spät. Bereits 1997 und 2002 sterben nach dem Kontakt mit Dessauer Polizisten bzw. im Gewahrsam zwei weitere Männer, Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann. Wie Jalloh sind sie bei den Geschehnissen stark alkoholisiert und laut Obduktion vor ihrem Tod schwer verletzt worden. Bichtemann war wohnungslos, Oury Jalloh schwarzer Flüchtling, nur geduldet in Deutschland.
Sterben unter den Augen der Polizei ist keine Sache, die man einfach abtun sollte. Und doch sind die Todesfälle in Dessau lange nur Interessierten präsent. Erst mit der Brandkatastrophe in Dessau und den schleppenden Prozessen ändert sich etwas. Es sind Freunde und Familie Jallohs und politische Unterstützerinnen, die mit ihrer kleinen Initiative immer wieder neue Aufmerksamkeit herstellen. Gutachten bringen seitdem immer wieder erschreckende Details und weitere Fragen an die Öffentlichkeit.
Wenn wir am 7. Januar an Oury Jalloh erinnern, sollten wir auch benennen, was mit ihm verloren gegangen ist: Das Vertrauen in Staat und Polizei, diesen Fall aufzuklären und zu ächten. Aus dieser Enttäuschung wächst allerdings eine Kraft, die Erstaunliches schafft. Die Solidaritätsgruppe um Jalloh kämpft mit ihrer unermüdlichen Arbeit gegen Gleichgültigkeit und Resignation und hat damit einiges erreicht: Sterben unter staatlicher Aufsicht ist keine Sache, die man abtun kann.*