Viele Ursachen, eine Lösung: Das Recht auf Energie
Energiepreise sind europaweit auf einem Höchststand, sie belasten die Haushalte und bremsen die Wirtschaft. Dafür wird eine Kombination von Ursachen verantwortlich gemacht. Energienachfrage im Zuge der Wiederbelebung der Wirtschaft, niedrige Gasvorräte in den europäischen Speichern aufgrund des letzten kalten Winters sowie eines heißen Sommers in Südeuropa, in dem Strom für Klimaanlagen gebraucht wurde. Verschleppte Wartungsarbeiten haben zu Lieferproblemen geführt. Der Wettbewerb mit asiatischen Ländern um Flüssigerdgas (LNG) ist stärker geworden.
Auch die Architektur des europäischen Strommarktes trägt maßgeblich zu den hohen Endverbraucherpreisen bei. Die Liberalisierung der europäischen Strommärkte sollte die Preise senken, aber eine gewerkschaftsnahe Studie belegt, dass dies nicht geschah. Die EU-Länder handeln mit Strom auf den Großhandelsmärkten nach dem Auktionsprinzip. Das Ziel besteht darin, den Energiebedarf für jede einzelne Stunde des folgenden Tages genau zu decken. Die Märkte folgen damit einem Grenzkostenmodell, d. h., der endgültige Strompreis für den nächsten Tag ist an den Preis des teuersten Brennstoffs geknüpft, der zur Deckung der voraussichtlichen Nachfrage erforderlich ist. Wenn die erwartete Nachfrage das Angebot übersteigt, das mit sauberer Energie erzeugt werden kann, müssen teure fossile Brennstoffe eingesetzt werden. Der Strompreis wird dann an deren Wert geknüpft. Diese Kosten werden einfach an die Konsument:innen weitergegeben. Das ist vergleichbar mit einer Praxis, bei der der Preis für Brot und Gemüse im Supermarkt an den Whiskeypreis gekoppelt wäre.[1]
Der gegenwärtige Anstieg der Energiepreise ist vor allem auf den steigenden Gaspreis zurückzuführen und offenbart so, warum die Energiewende beschleunigt werden muss. Lange galt Erdgas als günstige Energiequelle und wurde als vermeintliche Brückentechnologie im Kampf gegen den Klimawandel gehandelt. Das rächt sich jetzt. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist die Lösung und nicht das Problem für die gegenwärtige Situation.
Mitte Oktober 2021 reagierte die Kommission mit einer „Werkzeugkiste“ auf die steigenden Energiepreise. Darunter waren auch sinnvolle Sofortmaßnahmen, wie z.B. ein Verbot von Stromsperren, wie es sie während der Lock-Down-Monate vielerorts in Europa gab, Notfallunterstützung für von Energiearmut betroffene Verbraucher:innen, Zahlungsaufschübe, vorübergehende Senkungen von Steuersätzen für Haushalte und finanzielle Hilfen für Unternehmen. Mittelfristig sollen Investitionen in erneuerbare Energien, Gebäuderenovierung und Energieeffizienz getätigt werden. Allerdings sind diese Maßnahmen nicht neu, sie sind bereits Teil des Green Deal. Die Architektur des Strommarkts stellt die Kommission nicht auf den Prüfstand, eine Marktreform ist nicht geplant.
Recht auf Energie
Bereits vor dem Preisanstieg gab es 34 Millionen Menschen in der EU, die kaum oder gar nicht Heizen können, kein Warmwasser haben und deshalb schneller erkranken. Wir können uns da nicht auf den Markt verlassen, es bedarf einer Reform des EU-Strommarkts. Was wir endlich brauchen ist das Recht eines jeden Menschen auf Energie, wie es NGOs und Gewerkschaften schon länger fordern beispielsweise in Form eines kostenlosen oder vergünstigten Grundkontingents für Strom und Heizkosten. Der Zugang zu Energie muss als ein öffentliches Gut betrachtet werden, dazu sollten große Energiekonzerne vergesellschaftet werden. Genossenschaften, Stadtwerke und Bürger:innenenergie dagegen stärker gefördert werden. Die Energiebesteuerungsrichtlinie muss in Einklang mit einer sozial gerechten Klimapolitik gebracht werden, sodass ärmere Haushalte beispielsweise durch einen Öko-Bonus entlastet werden. So würden die durch CO2-Steuern eingenommenen Mittel zu gleichen Teilen an jede und jeden zurückgezahlt. Dadurch ermöglichen besserverdienende Haushalte, die in der Regel einen höheren Energieverbrauch haben, Geringverdiener*innen mit niedrigem Verbrauch den Umstieg. Das ist nachhaltig und sozial.
[1] Going Public: Decarbonised, Affordable and Democratic
Energy System for Europe - The failure of energy liberalisation; Vera Weghmann, PSIRU, University of Greenwich; July 2019; https://www.epsu.org/sites/default/files/article/files/Going Public_EPSU-PSIRU Report 2019 - EN.pdf