Hamide Akbayir: „Deutschland muss klare Worte sprechen.“

Wer sich für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei einsetzt, kann schnell Ärger bekommen. Auch deutsche Staatsangehörige werden willkürlich festgenommen oder mit Ausreisesperren belegt. Eine von ihnen ist die Politikerin Haminde Akbayir.

Mahnwache für Hamide Akbayir in Köln

Die Türkei hält derzeit fast 120 Bundesbürger:innen fest. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen sitzt demnach in Haft, die anderen können die Türkei wegen Ausreisesperren nicht verlassen, bestätigt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der LINKEn-Abgeordneten Gökay Akbulut .

Eine von ihnen ist Hamide Akbayir. Die 62-järige deutsche Staatsbürgerin saß von 2010 bis 2012 für die LINKE im nordrhein-westfälischen Landtag und von 2014 bis 2020 im Rat der Stadt Köln. Die alevitische Kurdin setzt sich bereits seit mehreren Jahrzehnten ehrenamtlich für die Rechte von Frauen und Minderheiten in der Türkei sowie für Umweltschutz ein. Seit dem 2. September darf sie die Türkei nicht mehr verlassen. Wir sprachen mit ihr.

Wie kam es zu ihrer Festnahme?

Hamide Akbayir, Foto: privat

H.A.: Ich reiste mit meinem Mann am 15.Juni 2021 in die Türkei, um Verwandte zu besuchen und die Familiengrabstätte zu pflegen. Seit dem 16.Juni, einem Tag nach meiner Einreise, soll ein Haftbefehl gegen mich existieren. Am 2. September wurde ich dann in Karakoçan festgenommen und per Video von der Staatsanwaltschaft in Ankara verhört. Anschließend nach 6 Stunden wurde wieder per Video vom Richter verhört und das Urteil wurde gefällt. Meine politische Arbeit und Aktvitäten in Deutschland werden mir zur Last gelegt. Mir werden „Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Propaganda“ vorgeworfen. Seitdem herrscht gegen mich eine Ausreisesperre nach Deutschland und zwei Mal pro Woche muss ich mich bei der Polizeibehörde melden. Ein Einspruch meiner Anwältin wurde am 24.Sept. abgelehnt.

Wie sieht nun ihr Alltag in der Türkei aus?

H.A.: Ich lebe mit meinem Mann im Moment bei den Verwandten. Wir müssen uns nun auf die Situation einstellen und suchen nach einer Wohnung. Unsere Möglichkeiten sind zwar begrenzt, aber wir versuchen es in dieser schwierigen Zeit soweit wie möglich zu gestalten. Wir lesen viel und verfolgen die Nachrichten in Deutschland. Die Bemühungen der deutschen Botschaft gibt uns gewisse Sicherheit, unser Leben hier zu gestalten.

Hatten sie damit gerechnet in der Türkei verfolgt zu werden?

H.A.: Nein. Denn ich habe in Deutschland Politik gemacht und habe das Recht mich zu allen Themen zu äußern. Ich bin auch in den Jahren 2015, 2016 ,2017 und 2018 in die Türkei gereist, in die selbe Region. Nichts ist passiert. Ich weiß aber über meiner Anwältin, dass die türkische Justiz seit 2019 Informationen über mich gesammelt hat, sodass bis zum Tag des Haftbefehls am 16.Juni eine 39-seitige Akte gegen mich zusammengestellt wurde. In dieser Akte geht es um meine Auftritte bei Demos, Veranstaltungen und Einträge auf meiner Facebookseite.

Was wird ihnen genau vorgeworfen?

H.A.: Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Propaganda. Das ist ein klassisch pauschaler Vorwurf gegen alle, die sich in Deutschland und in der Türkei für Frieden und Freiheit einsetzen. Hunderte von Menschen, Politiker:innen, darunter auch ehemalige HDP Co- Vorsitzenden Figen Yüksekdag und Selahattin Demirtas. Der Vorwurf ist immer gleich! Gegen dieses Unrecht müssen wir unsere Stimme erheben.

Wie reagieren die deutschen Behörden auf ihre Festnahme?

H.A.: Der deutschen Botschaft und dem Auswärtigen Amt sind solche Fälle, wie bei mir längst bekannt. Sie verfolgen seit dem 2.September auch meinen Fall, arbeiten daran, dass mein Prozess nicht so lange dauert.

Wie geht es ihnen gerade?

H.A.: Wenn man bedenkt, wie viele Journalisten, Bürgermeister:innen und Oppositionelle wegen ihrer system-kritischen Meinung unrechtmäßig in türkischen Gefängnissen sitzen, geht es uns den Umständen entsprechend noch gut. Es tut aber weh, als Zeugin der hiesigen Ungerechtigkeiten nichts sagen zu dürfen, auch unter den Menschen vor Ort. Unsere Verwandten kümmern sich um uns und bieten jede Möglichkeit, diese schwierige Zeit besser zu bewältigen, auch seelisch. Das gibt mir und uns uns Kraft. Der Verein „Stimmen der Solidarität e.V. Köln“, das Kölner Ratsmitglied Jörg Detjen, die ehemalige Ministerin Anke Brunn, der Schriftsteller Günter Wallraff, die NRW- Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz und Adil Demirci setzen sich für mich ein und haben eine Solidaritäts- Mahnwache in Köln gestartet. Sie nennen meine Festsetzung „türkische Geiselpolitik“ und einen Verstoss gegen das Internationale Recht, was auch zutreffend ist.

Was erhoffen sie sich von der Regierung?

H.A.: Die deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt sind von Anfang sind ständig in Kontakt mit mir. Ich erhoffe mir, dass die deutsche Regierung für mich, aber auch für die vielen anderen deutschen Inhaftierten in der Türkei mehr tut, als bisher. Wir dürfen nicht alleingelassen werden. Deutschland darf sich von der türkischen Justiz nicht erpressen lassen und muss klare Worte sprechen.

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Der Parteivorstand der LINKEN fordert Freiheit für Hamide Akbayir.