Klimaschutz und Prekariat
Inge Hannemann ist eine der bekanntesten Kritiker:innen des Hartz-IV-Systems. In ihrer Kolumne für "Links bewegt" schreibt sie regelmäßig zu sozialpolitischen Themen.
Der Klimaschutz ist das Wahlkampfthema Nummer 1. Sozial- und Wohlfahrtsverbände, organisierte außerparlamentarische Organisationen und Aktivist:innen fordern schon lange eine sozial-ökologische Wende. Soziales und Ökologie kann nur zusammen gedacht werden. Oder anders ausgedrückt: Klimaschutz ist generationsübergreifend wichtig – nur muss man sich z.B. die kommende erhöhte CO2-Steuer und den daraus folgenden Anstieg der Heizkosten auch irgendwie leisten können. Wer im Mindestlohnsektor oder darunter oder knapp darüber, wer in Teilzeit arbeitet oder von Grundsicherung abhängig ist, der rechnet erstmal – und der muss rechnen. Jede Änderung an der Zapfsäule, am Ticketautomat der Bahn oder im Supermarkt kann den virtuellen Kopftaschenrechner aktivieren.
Was wollen die Parteien?
Den Grünen, den Namen im Programm, traut man mit knapp 40 Prozent die größte Kompetenz in der Umwelt- und Klimapolitik zu. Das ergab eine Civey-Umfrage für Focus Online. Dann folgt die CDU/CSU mit 22 Prozent und weit abgeschlagen mit sechs Prozent jeweils die SPD und die FDP. Nun ist das ja so eine Sache mit der Kompetenz auf der einen Seite und der Verknüpfung des Sozialen mit der Ökologie. Wie sieht es bei den Grünen aus? Bereits im ersten Kapitel schreiben sie: „Wenn wir zu Beginn dieses Jahrzehnts konsequent handeln und die sozial-ökologische Transformation einläuten, können wir die Klimakatastrophe noch verhindern und zu einer klimagerechten Welt beitragen. Klimaneutralität ist dabei eine große Chance (…) mehr soziale Gerechtigkeit und einen klimagerechten Wohlstand“. Der soziale Ausgleich für Geringverdiener:innen und Grundsicherungsleistungsbezieher:innen findet sich dann im sogenannten „Energiegeld“ von jährlich 75 Euro ab 2023 wieder; dessen Auszahlungsmodus jedoch noch nicht näher definiert ist. Als Zugangsvoraussetzung für eine Koalitionsverhandlung ist als erster Schritt die Erhöhung der Grundsicherung um 50 Euro geplant.
Leider hat es die CDU/CSU in den letzten 16 Jahren Regierungshoheit nicht geschafft, armutspolitisch die Kurve zu kriegen. Die Armutsquote stieg. Die Regelsätze bei Hartz IV, in der Grundsicherung und im Asylrecht werden bis heute künstlich kleingerechnet und die Vermögenssteuer wird nicht angefasst. Hier wird sich auch nach ihrem Wahlprogramm nichts ändern. Trotzdem möchte ich das Wahlversprechen der CDU/CSU nicht ignorieren: Neuer Wohlstand – Unser Unions-Versprechen: (…) Dabei verbinden wir nachhaltiges Wachstum, Klimaschutz und soziale Sicherheit miteinander“. Et voilà!
Die Sozialdemokraten wünschen sich einen „sozial-ökologischen Gesellschaftsvertrag, der dafür sorgt, dass im Wandel niemand abgehängt wird“. Um den CO2-Preis-Anstieg auszugleichen, möchte die SPD einen „Pro-Kopf-Bonus“ prüfen. Wer in der Grundsicherung lebt, muss sich erstmal damit begnügen, dass aus Hartz IV ein „Bürgergeld“ wird und dessen Höhe zu einem Leben in Würde ausreichen und zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen soll. Bei der Höhe der Würde schweigt die SPD.
Statt eines grünen Energiegeldes möchte die FDP eine pauschalierte Klimadividende zurückzahlen sowie die Stromsteuer komplett streichen. Auch bei der FDP gibt es ein „Bürgergeld“ – nur liberal und „würdewahrender“.
Und die LINKEN? Die wollen einen „sozial-ökologischen Systemwechsel. Dafür, dass nicht der Geldbeutel entscheidet, ob man sich einen ökologischen Lebensstil leisten kann“. Das geht nur mit bezahlbarer Energie und für Menschen mit geringen Einkommen und in der Grundsicherung: mit mehr Geld. Die Grundsicherung soll im ersten Schritt auf 658 Euro plus Strom und Mietkosten steigen. Langfristig soll niemand unter 1.200 Euro Mindestsicherung fallen.
Energiegeld und Klimadividende - was bleibt übrig?
Rückerstattungen wie Energiegeld, Klimadividende und Pro-Kopf-Pauschale klingen fast so schön wie Steuerrückerstattungen. Außer bei den Grünen und ihrem monatlichen umgerechneten 6,26 Euro Energiegeld bleiben FDP und SPD vage in ihren Ausführungen. Alle drei verplanen jedoch ihre Einnahmen aus der CO2-Bepreisung für mehrere Zwecke und ich frage mich: Wie viel bleibt nachher tatsächlich für den sozialen Ausgleich übrig? Wer prekär arbeitet, kann nur hoffen, dass der jetzige Mindestlohn von 9,60 Euro auf mindestens 13 Euro steigt, um einen kleinen Ausgleich zu haben. Wer Sozialleistungen bezieht, kann davon ausgehen, in der Armut zu bleiben. Überfordern wird es sie allemal. Auch wenn der Wille besteht, sich am Klimaschutz zu beteiligen.