Der Westen schaut weg: Corona in Afrika
Afrika ist ein Kontinent der Gegensätze. So sind auch die jeweiligen Strategien der einzelnen Staaten sowie die Möglichkeiten des Umgangs mit der Pandemie so divers wie der Kontinent selbst. Doch was die afrikanischen Länder eint, ist die schlechte Infrastruktur des Gesundheitssystems. Oft ist eine angemessene medizinische Versorgung ein nicht finanzierbarer Luxus, den sich nur wenige leisten können. Wer erkrankt und es sich leisten kann, verlässt das eigene Land, um eine Fachklinik aufzusuchen. Eine Intensivbettendichte, so wie wir sie aus Deutschland kennen, existiert nicht. Im westafrikanischen Land Senegal beispielsweise standen Anfang 2019 insgesamt 60 Intensivbetten den fast 17 Millionen Einwohner*innen zur Verfügung, dies entspricht einem Intensivbett für ca. 283.300 Menschen. In Deutschland stand zum Vergleich für ca. 3.020 Einwohner*innen ein Intensivbett zur Verfügung. Der senegalesische Staat unternahm enorme Anstrengungen und konnte u.a. die Anzahl der Intensivbetten verdoppeln, also auf insgesamt 120 erhöhen. Auch die Verdopplung wird sicherlich noch weit von den eigentlichen Erfordernissen entfernt sein. Was genaue Infektionszahlen in afrikanischen Ländern betrifft, kann es nur grobe Schätzungen geben, denn ähnlich wie die medizinische Infrastruktur ist die Arbeit epidemiologischer Zentren nur unzureichend gewährleistet und stark regional abhängig.
Corona verschärft die Ungleichheit
Eine wichtige Strategie in der Pandemiebekämpfung setzt auf strenge Hygieneregeln, die unter anderem ein häufigeres Händewaschen vorsehen. Eine Selbstverständlichkeit für uns, aber in den meisten afrikanischen Ländern, in denen nicht nur eine allgemeine Wasserknappheit besteht, sondern auch der Zugang zu Wasser erschwert ist, eine fast unlösbare Aufgabe. Insbesondere für den Bildungssektor ist dies relevant, so verfügen die meisten Schulen in Kenia nicht über fließendes Wasser und bleiben entsprechend geschlossen. Dies bedeutet besonders für die Kinder der armen Familien nicht nur einen immensen Bildungsverlust, sondern oft auch den Verlust einer gesicherten Mahlzeit am Tag. Der Online-Unterricht an den Privatschulen für die reiche Elite des Landes läuft, die Ungleichheit wird sich weiter verschärfen. Auch aus Mali berichtete eine Genossin der Partnerpartei SADI von den besonderen Schwierigkeiten im Bildungssektor. Die Beschulung der Kinder sei aufgrund der terroristischen Auseinandersetzungen und der großen Anzahl der Binnenflüchtlinge im Land bereits vor der Pandemie ein schwieriges Unterfangen gewesen, mit Covid-19 ist das fragile System komplett zusammengebrochen. In einem Land, in dem die Amtssprache Französisch ist, jedoch 70 Prozent der Malier*innen kein Französisch sprechen, liegt für sie der Schlüssel für eine friedliche Zukunft in einer guten Ausbildung der jungen Generation. Die Genossin sieht weitreichende Folgen der Pandemie in Bezug auf die angestrebten Demokratisierungsprozesse im Land. Die verschärfte Ungerechtigkeit beim Zugang zu Bildung wird die Ungleichheit zwischen der politischen Elite und der malischen Bevölkerung weiter vergrößern und deren demokratische Teilhabe langfristig ausschließen.
Zum arm für den Lockdown
Um eine Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, gab und gibt es immer wieder die Bestrebungen afrikanischer Regierungen, einen Lockdown zu verhängen. Mit einem Blick auf afrikanische Länder wird besonders deutlich, welch Privileg es bedeutet, in einen Lockdown gehen zu können. In den afrikanischen Ländern liegt der Anteil der im informellen Sektor Beschäftigten im Durchschnitt bei 85 Prozent. Dies bedeutet ganz konkret für die Menschen, dass sie „von der Hand in den Mund leben“, keine Rücklagen oder soziale Sicherungssysteme besitzen, um sich ausreichend mit Lebensmitteln eindecken zu können. Ganz im Gegenteil, sie müssen täglich lange Wege in überfüllten Transportmitteln von den Rändern der Städte zu deren Zentren auf sich nehmen, um ihre Waren anzubieten, kleine Jobs zu ergattern oder sonst ihr Überleben und das ihrer Familien zu sichern. Staatliche Einschränkungen greifen unter solchen Lebensumständen kaum. Der während der ersten Welle verhängte Lockdown in Mali brachte die besondere Verzweiflung der Bevölkerung zu Tage. „Wir haben nur die Wahl, ob wir an Hunger oder Corona sterben“, war einer der am häufigsten geäußerten Sätze in Mali. Derzeit bemüht sich Senegal beispielsweise einen gangbaren Kompromiss zur Eindämmung der Pandemie zu finden und verhängte eine Ausgangsperre zwischen 21:00 und 6:00 Uhr, die jedoch nur eine geringe Akzeptanz in der Bevölkerung findet.
In Tansania wird Covid-19 zum Staatsgeheimnis
Einen komplett anderen Weg geht die Regierung Tansanias. Deren autokratischer Präsident Magufuli hatte bereits im Mai letzten Jahres die Pandemie als beendet erklärt. Es wurden nur noch in Ausnahmefällen Einreisende aus anderen Ländern getestet. Sämtliche Daten bezüglich Covid-19 stehen unter geheimer staatlicher Kontrolle und dürfen nur durch staatliche Stellen veröffentlicht werden. Anderslautende Berichte werden strafrechtlich geahndet. Magufuli selbst rief dazu auf, Kirchen und Moscheen aufzusuchen und für ein Ende der Pandemie zu beten. Wiederholte Gerüchte über das Auftreten der südafrikanischen Mutation, einhergehend mit einer deutlich erhöhten Sterberate ungeklärter pneumatischer Erkrankungen, machen die Runde in Tansania. Dies führt jedoch zu keinem Umdenken von Magufuli, er bedankte sich sogar beim Besuch eines chinesischen Ministers dafür, dass dieser keine Maske trage, was der Beweis dafür sei, dass es in Tansania keinen Virus gebe.
„Die Situation in den afrikanischen Ländern bleibt sehr ernst“ erklärt Samba Ndongo von der senegalesischen Partnerpartei PIT. „Wir ringen um einen Ausweg aus dieser Krise und setzen dabei unsere Hoffnung auf die Resilienz der Senegalesen, unser kompetentes und gut organisiertes medizinisches Personal, die relativ junge Bevölkerung unseres Landes und den erklärten Willen unserer Regierung, schnellstmöglich einen zertifizierten Impfstoff zu beschaffen."