Jeden Tag ein Mordversuch

Auch in München gab es Proteste gegen die alltägliche Gewalt

Im Mai 2020 tötet ein Mann in Cottbus seine Frau vor den Augen der Kinder. Sie habe ihn beleidigt, gibt er später zu Protokoll. Mittlerweile spricht selbst die „Lausitzer Rundschau“ von einem Femizid, also der Tötung von Frauen wegen ihres Geschlechts. Einer der seltenen Fälle, in denen medial von einem Femizid gesprochen wird. Aber der Fall selbst ist bitterer Alltag in Deutschland. Laut einer Recherche von Prof. Dr. Kristina Wolff  sind in diesem Jahr bereits 163 Frauen von Männern getötet worden. Heute ist der 25. November, der Internationale Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Das öffentliche Interesse soll an diesem Tag auf die Gewalt gegen Frauen gelenkt werden, so der Anspruch der UN-Generalversammlung, die den Tag vor mehr als 20 Jahren einführte. Zudem sollen Strategien zur Bekämpfung der Gewalt in den Blick genommen werden. Doch es ist nicht immer leicht, dass öffentliche Interesse auf ein Thema zu lenken, in das diese Öffentlichkeit so tief verstrickt ist. Gewalt gegen Frauen ist Ergebnis unseres patriarchalen Systems. Verachtung und Unterdrückung von Frauen sind strukturell in unserer Gesellschaft verankert. Die patriarchale Gesellschaftsstruktur vermittelt Männern, dass sie Macht über Frauen ausüben können bzw. sollen – und Frauen ihnen zur Verfügung zu stehen haben. Dies zeigt sich auch darin, dass Frauen, die sich diesen Besitzansprüchen widersetzen, ein unabhängiges Leben führen, die ihre Sexualität thematisieren oder öffentlich auftreten, immer wieder Gewalt erleben. Patriarchale Gewalt und Verachtung richten sich allerdings nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Menschen, die sich dieser patriarchalen zweigeschlechtlichen Ordnung widersetzen, also auch gegen nicht binäre, trans und inter Menschen und Queers.

Bundesregierung weigert sich, Femizide systematisch zu erfassen

Die tödliche Form patriarchaler Gewalt ist der Femizid. Es handelt sich um einen Femizid, „wenn Frauen oder Mädchen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit und vor dem Hintergrund eines hierarchischen Geschlechterverhältnisses und dem daraus resultierenden patriarchalen Dominanzstreben getötet werden.“ So lautet die Definition der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, die am 19.11.2020 als erste Fraktion das Thema in das Bundesparlament eingebracht hat. In der Plenardebatte machte die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Möhring, deutlich: „Femizide kommen weltweit vor, auch hierzulande. Doch während andere Regierungen zumindest versuchen, Femizide systematisch zu erfassen und eine Strategie zu entwickeln, will sich die Bundesregierung nicht mal den Definitionen der WHO und der Vereinten Nationen anschließen. Es ist aber dringend notwendig, dies zu tun und darüber zu reden. Im Jahr 2019 wurden 117 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet; 191 entkamen dem Versuch. Das ergibt alle 26 Stunden eine versuchte Tötung, jeden dritten Tag eine vollendete. Weitere 150 Frauen wurden außerhalb von Partnerschaften getötet. Das macht insgesamt 267 getötete Frauen im Jahr 2019 – mindestens.“ (Link zur Debatte: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw47-de-femizide-804248)

CDU und CSU blenden die Hintergründe einfach aus

Die erste Rednerin der CDU/CSU-Fraktion, Sylvia Pantel, versuchte die Debatte zu entpolitisieren, indem sie die strukturellen und geschlechtsspezifischen Hintergründe der Gewalt schlicht ausblendete. Das Opfer stehe für die Rednerin im Mittelpunkt, nicht das Geschlecht. Ein fatale Verkürzung, denn solange nicht die patriarchalen Strukturen in den Blick genommen werden, wird die Gewalt gegen Frauen nicht zurück gehen. „Solange Männer denken, über Frauen bestimmen und sich über sie hinwegsetzen zu dürfen, so lange werden das Ministerium und das BKA jährlich über höhere Fallzahlen von Gewalt und Femiziden berichten“, betonte Cornelia Möhring in ihrer Rede.

Während die Bundesregierung sich also sehr schwer damit tut, Femizide und die dahinter liegenden patriarchalen Strukturen zu erkennen, kommt das Thema endlich in der feministischen Debatte in Deutschland an. Merle Dyroff, Marlene Perdeller und Alex Wischnewski veröffentlichten aktuell mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Broschüre, die Femizide in Deutschland untersucht sowie den Kämpfe und Stimmen von Feminist:innen weltweit Raum gibt. Sowohl in sozialen Netzwerken als auch bei analogen Aktionen wird patriarchale Gewalt und die Tötung von Frauen und Queers verstärkt angeklagt. Und die Stimmen fordern Veränderung: Um Femizide zu verhindern, müssen wir die patriarchale Kultur unseres Zusammenlebens überwinden.

Lisa Mangold arbeitet als Referentin für feministische Politik für die Fraktion DIE LINKE im deutschen Bundestag