Die Hälfte Berlins gehört ein paar Multimillionären
„Vermieter laufen Sturm gegen Mietendeckel“, hieß es in den Medien, als die rot-rot-grüne Koalition in Berlin den entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg brachte. Doch wer sind diese "Vermieter“ eigentlich, die da Sturm liefen? Geht es nach der Immobilienlobby, werden die rund 2 Millionen Wohnungen in der Stadt überwiegend von kleinen Hausbesitzern vermietet. Die Verbände konnten an ihrer Story festhalten, weil es bislang weder offizielle Eigentümerlisten noch Mietenkataster gibt. Doch das Projekt „RLS-Cities. Wem gehört die Stadt?“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung bringt nun Licht ins Dunkel. In jahrelanger Detailarbeit hat Studienautor Christoph Trautvetter die entsprechenden Daten zusammengetragen. Dabei halfen Mieter*innen und Journalist*innen ebenso wie eigene Recherchen zu Hunderten Eigentümer*innen in weltweiten Firmenregistern und Finanzberichten - mit Daten aus offiziellen Statistiken und kommerziellen Datenbanken.
Der "kleine" Privatvermieter ist eine Randerscheinung
Die Ergebnisse widersprechen den Behauptungen der Immobilienlobby. „Der ‚kleine’ Privatvermieter, dem durch zusätzliche Regulierung die Pleite oder Altersarmut droht, ist eine Randerscheinung“, heißt es in der Studie. Stattdessen befindet sich etwa die Hälfte der Stadt im Besitz einiger Tausend (Immobilien-)Multimillionäre, die bisher oft anonym bleiben. So stieß Trautvetter auf eine Reihe „in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannter Eigentümer mit mehr als 1.000, teilweise auch mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin: vom US-amerikanischen Private-Equity-Unternehmen Blackstone über den Investmentfonds Phoenix Spree aus Jersey bis hin zur Familienstiftung Becker & Kries oder den Erben von Harry Gerlach“. Als besonders problematisch erweisen sich die großen Private-Equity-Gesellschaften, allen voran Blackstone mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin. Sie machen ihre Manager*innen zu Milliardär*innen und versprechen den Anleger*innen trotzdem dauerhaft zweistellige Renditen. „Sie wollen schnelles Geld anstatt langfristige Investitionen. Sie optimieren die Rendite der Häuser und nicht deren Wohnwert. Sie nutzen Schattenfinanzplätze für Steuervermeidung und Anonymität. Und sie entziehen sich viel zu oft der Mitbestimmung ihrer Mieter*innen und der gesellschaftlichen Rechenschaftspflicht“, unterstreicht Trautvetter.
Die Mafia wäscht ihr Geld mit Immobilien
Der Schutz der Privatsphäre und fehlende Berichtspflichten begünstigen zwielichtige Strukturen. Nicht von ungefähr spricht der Steuerexperte der LINKEN, Fabio de Masi, hier von „Gangsta’s Paradise“. So ist bekannt, dass etwa die italienische Mafia ihr Geld mit deutschen Immobilien wäscht.
Trautvetter macht auch deutlich, warum sich der Berliner Immobilienmarkt so großer Beliebtheit erfreut: „Mit dem weitgehend risikofreien Kauf eines Wohnhauses in guter Innenstadtlage (…) konnten in den letzten zehn Jahren Renditen von teilweise mehr als 20 Prozent pro Jahr erzielt werden.“ Und so konnten fast alle Immobilieneigentümer - darunter auch die landeseigenen Wohnungsunternehmen und die Genossenschaften - wegen steigender Mieten und sinkender Zinsen in den letzten zehn Jahren ihre Gewinne erhöhen. Im Gegensatz dazu sind die Mieten für viele Haushalte schneller gestiegen als das Einkommen. Selbst die zahlungskräftigen Selbstnutzer*innen zahlen für ihre neue Eigentumswohnung mehr als durch die Zinsersparnis gerechtfertigt. „Dadurch entsteht eine massive Umverteilung von Wohlstand von unten (junge, vermögenslose Menschen) nach oben (Menschen mit großem, oft geerbten Immobilienvermögen)“, so Trautvetter. Wohnungskauf als Ausweg aus dem Mietenwahnsinn ist meist nur ein Modell für sehr gut Verdienende. Stattdessen werden mehr als zwei Drittel der Eigentumswohnungen zur Kapitalanlage.
Was tun?
Anders die Wohnungen in Landesbesitz: Hier haben alle Berliner*innen einen Anteil an den Wohnungen der Stadt. Dazu kommen 305.000 Eigentümer*innen eines selbstbewohnten Hauses oder einer Eigentumswohnung sowie Hunderttausende Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften. Weiterhin gibt es etwa 100.000 bis 200.000 Einzeleigentümer*innen einer vermieteten Wohnung.
Angesichts der Fakten sieht Trautvetter dringenden Handlungsbedarf auf gleich zwei Ebenen:
1. Die aktuell verfügbaren Daten zu den Eigentümerstrukturen und zum Mietmarkt sind für die notwendigen regulatorischen und steuerlichen Maßnahmen und angesichts der Bedeutung des Themas völlig unzureichend. Um die ‚soziale Frage des 21. Jahrhunderts‘ demokratisch zu beantworten, für evidenzbasierte politische Maßnahmen und nicht zuletzt für den Kampf gegen Missbrauch und organisierte Kriminalität braucht es mehr Transparenz und sehr viel bessere Informationen. Ein Gebäude- und Wohnungsregister bzw. Mietenkataster mit Eigentümer- informationen könnte hier Abhilfe schaffen.
2. Durch gezielte Maßnahmen müssen die Umwandlung in Eigentumswohnungen und die Eigenbedarfskündigung genauso wie der Immobilienhandel über Firmenanteile (sogenannte Share Deals) zur Umgehung von Vorkauf und Grunderwerbssteuer besser reguliert werden. Als Reaktion auf die Preisexplosion müssen ferner hohe leistungslose Einkommen abgeschöpft werden (z. B. über eine reformierte Erbschafts- oder Vermögenssteuer). Zudem sollten die Realisierung und Extraktion von extremen Wertsteigerungen über Preislimits (berechnet z. B. als Vielfaches der Jahresmieteinnahmen zum Zeitpunkt des Verkaufs) verhindert werden. Zu einer langfristig an- gelegten städtischen Bodenpolitik gehört auch das Instrument der Enteignung zu realistischen Preisen als Ultima Ratio.
Auf der Website zur Studie www.wemgehörtdiestadt.de findet sich die ständig länger werdende Liste der Berliner Immobilieneigentümer zusammen mit dem Aufruf an alle Mieter*innen Berlins und die verantwortungsvollen Eigentümer der Stadt, das Bild gemeinsam zu vervollständigen und die Frage zu beantworten: Wem gehört die Stadt?