Als "Bild" den “Hartzer“ schuf
- Robert Schwedt
In den letzten zwanzig Jahren hat sich das Bild, dass die Gesellschaft von Erwerbslosen hat, grundlegend gewandelt. Vor zwanzig Jahren waren Erwerbslose einfach nur Menschen, die das Pech hatten, keine Arbeit zu haben. Ansonsten waren sie aber in die Gesellschaft integriert. Allgemein wurde der Standpunkt vertreten, dass man ihnen helfen musste, eine neue Arbeit zu finden.
Schaut man sich das heutige Bild an, stellt man fest, dass Erwerbslose vielen Mitmenschen als faul und ungebildet gelten. Sie, und nur sie allein, sind an ihrer Erwerbslosigkeit schuld, da sie sich nicht genug bemühen, tatsächlich eine Erwerbsarbeit zu finden. Wie konnte es zu einem solchen Wandel des Bilds der Erwerbslosen kommen? Im Zuge der Vorbereitung der Agenda 2010 und der damit verbundenen Einführung von Hartz IV, genauer gesagt, dem vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, wie es offiziell heißt, wurde Anfang der 2000er eine Medienkampagne gestartet, um das Bild der Erwerbslosen entsprechend zu verändern.
Die Medien suchten extreme Ausnahmefälle und wurden fündig, so (er)fand die “Bild“ zum Beispiel „Florida-Rolf“ und Arno Dübel, „Deutschlands frechsten Hartz-IV-Empfänger“. Diese beiden Sonderfälle wurden als „klassische“ Erwerbslose hingestellt, die sich auf Kosten der Allgemeinheit ein vermeintlich gutes Leben machten.
Man scheute sich auch nicht, Szenen nachzustellen, in denen ein Mann im Unterhemd mit einem Bier in der Hand auf der Couch saß, während im Vordergrund zwei leicht schmuddelige Kinder spielten. So zeigte man bildgewaltig, wie der Alltag von Erwerbslosen aussieht. Das Ganze wurde von etlichen Politikern noch mit markigen Sprüchen unterlegt. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, meinte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. „Wenn Sie sich waschen und rasieren, haben Sie in drei Wochen einen Job“, riet der spätere SPD-Chef Kurt Beck. „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, erklärte SPD-Kanzler Gerhard Schröder. FDP-Chef Guide Westerwelle kritisierte die „leistungslose spätrömische Dekadenz“ von Arbeitslosen.
Auch heute noch werden diese Vorurteile mit TV-Formaten wie „Armes Deutschland“ und etlichen “Dokumentationen“ befeuert, um das Märchen vom dummen, faulen und betrügerischen Erwerbslosen aufrecht zu erhalten. Schaut man sich jedoch die Realität an, ist das unhaltbar. So gibt die Bundesagentur für Arbeit in einer Studie an, dass Erwerbslose höher motiviert sind, sich zu bewerben und einen Arbeitsplatz zu bekommen, als Menschen, die bereits einen Job haben. Zumal nur ein geringer Teil der Hartz-IV-Bezieher tatsächlich arbeitslos gemeldet ist. Ein Viertel aller Hartz-IV-Betroffenen ist berufstätig. Die Betroffenen verdienen aber so wenig, dass sie aufstocken müssen. Andere machen eine Weiterbildung, sind noch in der Ausbildung oder pflegen Angehörige zu Hause. Zudem liegt das Bildungsniveau von Erwerbslosen nicht deutlich unter dem Durchschnitt. Obwohl in unserer Gesellschaft die Jobs für Geringqualifizierte immer weiter abnehmen, und somit immer mehr Menschen mit einer geringen Qualifikation erwerbslos werden.
Leistungsmissbrauch kommt zwar gelegentlich vor, er ist jedoch ausgesprochen selten. So selten, dass der vom Ermittlungsdienst festgestellte Missbrauch im Jahr 2016 nur 0,0015% der gesamten ausgezahlten Leistungen ausmachte. Darum sollten alle, die Erwerbslose verachten, sie für dumm, faul und betrügerisch halten, sich fragen, ob sie nicht einer Manipulation zum Opfer gefallen sind, um das System Hartz IV zu legitimieren.