Eine moderne linke Volkspartei.
Sozialistisch, demokratisch, von unten
In den vergangenen Monaten wurde viel kritisiert. Wer die Diskussionsbeiträge aufmerksam gelesen hat, etwa von Jan van Aken, Judith Dellheim, Ulrike Eifler, Michael Brie, Mario Candeias, Ines Schwerdtner, Ina Leukefeld, Horst Kahrs, Klaus Lederer, Bernd Riexinger oder Jan Schlemermeyer, ist auf eine Vielzahl von strittigen Fragen gestoßen. Was ist überhaupt die Rolle der LINKEN? Wer sind die Gruppen, auf deren Hoffnungen und Interessen wir uns beziehen, wen wollen wir repräsentieren? Und: Was müssten wir konkret machen, um das erfolgreich zu tun? Ich möchte ausgehend von diesen Diskussionen, aber auch von neueren Erfahrungen ausländischer Linksparteien, einen positiven Entwurf der Linken versuchen, den wir brauchen: Einer linken Volkspartei, die für Gleichheit, viel mehr Demokratie und Gleichberechtigung streitet, die anpackt und sich der großen Bedrohung für unser Zusammenleben und unsere Gesundheit stellt, die von der Umweltzerstörung und Erderhitzung ausgeht.
Das klingt angesichts unserer Umfragewerte vielleicht so, als sei ich verrückt geworden. Bin ich nicht. Zu einer linken Volkspartei wird man nicht aufgrund der Größe des eigenen Ladens oder der enormen Zahl der Anhänger, sondern aufgrund der eigenen Ausrichtung, der eigenen Strategie und den Arbeitsschwerpunkten. Und wenn es hier stimmt, dann wird die Partei auch wachsen, wird ihr Einfluss größer. Ein Genosse, der sich als Kreisvorsitzender einer kleineren Stadt in Niedersachsen engagiert, meinte, er teile die vorgeschlagene Ausrichtung grundsätzlich. Aber wie, argwöhnte er, bekommt man das Kunststück fertig, aus der Krise zur Volkspartei zu werden? Die Antwort: Indem man sich so benimmt, als wäre man eine, und indem man sich einen Arbeitsplan macht, um loszulegen – einen Plan, um zu gewinnen. Was also täten wir als sozialistische Volkspartei?
1. Arbeitende Familien in den Mittelpunkt stellen und um das ganze Volk ringen
Eine sozialistische Volkspartei, wie sie sich auch Michael Brie wünscht[1], macht ‚Politik für die Leute‘ und das mit dem Blick ‚von unten‘, wie es Andreas Babler von der SPÖ sagt. Sie stellt die Anliegen und Interessen der arbeitenden Familien in den Mittelpunkt. Gleichzeitig ringt sie um die Unterstützung von fortschrittlich denkenden kleinen Selbständigen (die ja nicht selten prekär leben), von Hochqualifizierten und Studierenden. Mit dem legendären ehemaligen Vorsitzenden der KP Italiens, Palmiro Togliatti, kann man sagen: Eine sozialistische Volkspartei geht aus von der modernen Arbeiterklasse, die sie stärken und für die sie nützlich sein will, kämpft aber um das ganze Volk. Ich weiß: Einige schrecken davor zurück, sich politisch auf das Volk zu beziehen, weil die radikale Rechte ständig von ihm spricht. Bei ihnen ist das Volk aber etwas Nationales, zu dem auch nur gehört, dessen Vorfahren hier bereits in Höhlen lebten. Darum verachten sie auch das wahre Volk in Deutschland, das aus sehr vielen Nationen kommt – 30 Prozent haben einen sog. Migrationshintergrund.
Für mich und auch für die sozialistische Tradition ist das Volk etwas Soziales. Das ‚Volk der Linken‘ und das ‚Volk der Rechten‘ sind Gegensätze. Sie werden erst im politischen Handgemenge gemacht, sie entstehen in den großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Die AfD und auch die Unionsparteien wirken daran mit, indem sie die Deutschen als eine Gemeinschaft des Blutes (AfD) bzw. der Kultur (AfD/Unionsparteien) aufrufen. Das Volk der Linken sind die Leute, die in der Wäscherei und der Stoßdämpferfertigung, in der Gemeindeverwaltung oder in der Schule arbeiten gehen. Es ist das mögliche Unten-Mitte-Bündnis, wie es Mario Candeias und Michael Brie[2] forderten, zwischen der Paketlieferantin, dem Altenpfleger und dem Anlagenelektroniker, zwischen dem Verwaltungsangestellten, dem Grundschullehrer und der Sozialarbeiterin. Dazu gehören Arme und Prekäre, aber auch Intellektuelle – Belma und Gregori, Arslan und Yolanda, die arbeitenden Familien, aber nicht die Familienclans, die Konzerne und Banken besitzen. Die linke Volkspartei ist gegen die Abgehobenen und für den Rest von uns (Jodi Dean), den sie vergessen haben und von dessen Arbeitsleistung sie leben. Sie legt dabei viel Gewicht auf die moderne Arbeiterklasse.
2. Anziehend, prägend und führend werden wollen
Ich bin Sprecher unserer Partei im Kreisverband Göttingen/Osterode. Wenn ich Umfragen lese, die uns bei 3 bis 4 Prozent sehen, werde ich manchmal kleinlaut und fange an klein zu denken. Dann drehen sich meine Gedanken darum, „überhaupt wieder wahrgenommen zu werden.“ Da gibt es natürlich einen wahren Kern, weil man keine Luftschlösser bauen soll. Trotzdem glaube ich, dass es falsch ist, so an die Dinge heranzugehen. Nötig ist eine Denkweise, die aus der Selbstisolation herausführt – und dazu gehört das Ziel, größere Teile des Volkes anzuziehen, gesellschaftliche Auseinandersetzungen zu prägen und so – im politischen Handgemenge – zu einer politisch führenden Kraft zu werden. Eine sozialistische Volkspartei hat den Anspruch „hegemonial“ zu werden. Sie will Vertreterin des Gemeinwohls sein. Und ihre Mitglieder treten auch so auf. Dazu gehört auch die Ambition, das Land führen zu können, um es besser zu machen – und das stetige Bemühen, um Köpfe und Herzen zu ringen, um Menschen für unseren Weg zu gewinnen. Eine solche Volkspartei ruft sich das Wort von Brecht in Erinnerung: „Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wirs.“ Als glaubwürdige Kraft, die das Leben besser macht. Wenn das eigene Schiff durch Leck auf Grund gelaufen ist, muss man es wieder seetüchtig machen. Aber der Kompass muss auf „Hegemonie“ ausgerichtet sein. Und hegemonial ist man, wenn die Gegner Deine Argumente auf den Lippen tragen (und sei es, um sie zu widerlegen), und die Leute sich frage, was Du wohl zur Sache denken magst.
3. Von unten in der Gesellschaft wachsen
Eine sozialistische Volkspartei muss von unten in der Gesellschaft wachsen[3]. Das setzt eine konsequente Schwerpunktsetzung in der alltäglichen Arbeit in den Kreisverbänden und den Parlamentsfraktionen voraus. Sie muss fragen, wo der Schuh drückt und sie muss dann auch dabei helfen, dass er nicht mehr drückt. Mal kann das auch heißen, etwas für andere zu tun. Aber am besten, man macht es gemeinsam mit den Betroffenen. Das Motto wäre „Zusammen können wir erreichen, was uns alleine nicht gelingt.“ Es muss um eine Art der „Politik der Solidarität“ gehen, für die wir vor Ort in Initiativen und Bewegungen, in Kommunalparlamenten, in den Stadtteilen und Gemeinden stehen[4].
Dazu gehören zum Beispiel Sozialberatungen (Die Linke hilft) oder Mieter*innenorganizing (Die Linke organisiert). Von unten wachsen heißt immer zuhören, erleben, sich austauschen und sich selbst auch zu verändern. Michael Brie und Cornelia Hildebrandt meinten einmal: „Politik ist die Kunst, das Verschiedene, das Getrennte in Verbindung zu setzen.“[5] Im Land kann das aber nur gelingen, wenn man auch da präsent ist, wo die Menschen ihr Leben führen, in Betrieben, Schulen, Universitäten, Nachbarschaften und Vereinen. Alice Bernard, die wir von einigen Jahren als Referentin über die Basisarbeit der belgischen Partei der Arbeit für ein Bildungsseminar unseres Kreisverbandes gewinnen konnten, unterstrich den Wert dieser handfesten Solidaritätsarbeit: Sie zeigt nicht nur, dass man da ist und es ernst meint. Sie macht auch sichtbar, dass eine andere Welt, in der sich Menschen helfen, gegenseitig unterstützen und kümmern, möglich ist. Sie lässt das sozialistische Morgen im Heute glitzern.
4. Die Menschen lieben und populär sein – ohne Opportunismus
Eine linke Volkspartei strahlt aus, dass sie die Menschen mag und ihre Lebensweise wertschätzt. Das ist eine Frage der Haltung. Es ist ganz entscheidend, dass wir mit dem Gesicht zu den Leuten diskutieren. Ja, auch streiten, um Köpfe und Herzen ringen – wir dürfen uns aber nicht abwenden, weil uns diese oder jene Meinung nicht gefällt. Im Gegenteil, hin da: um Meinungen zu verändern und selbst Neues zu lernen. Es geht darum, „(…) die Herzen der Menschen (zu) erobern und mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren. Die Linke soll (…) denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden.“[6] Natürlich benötigt man dafür fortschrittliche Standpunkte auch in gesellschaftspolitischen und kulturellen Fragen. Das war schon immer so, weil die heutige Lebensweise und Kultur immer auch (auch, nicht nur!) den Zement enthält, der die Herrschaft der bürgerlichen Eliten festigt. Opportunisten, die anderen nach dem Mund reden, braucht also kein Mensch. Zur Volkspartei-Haltung gehört aber eine Offenheit und Zugewandtheit, die Ines Schwerdtner mit dem schönen Wort von der revolutionären Freundlichkeit bezeichnet hat (sie meinte das Miteinander in der Partei, aber sie würde uns auch im Umgang mit unseren Mitbürgern gut zu Gesicht stehen)[7]. Und es gehört der Wille dazu, Teil der Volkskultur zu sein und diese weiterzuentwickeln. Diese Kultur ist kompliziert, weil sie auch von herrschenden Ideologien durchzogen ist. Vom Leistungsdenken, vom Sexismus, es gibt Rassismus und Sozialchauvinismus – übrigens in uns allen. Zusammenhalt, Gemeinsinn, sich helfen, der Respekt vor der Lebensleistung anderer, all das gehört aber auch zur Volkskultur. Ich zumindest habe meine Grundwerte von Fußballtrainern im Arbeiterfussballverein gelernt – auf dem Platz, in der Kabine und beim Vereinsfest. Und beim Familiengrillen, wenn die Älteren über die Arbeit in der Fabrik sprachen. Und dafür bin ich bis heute dankbar. Ich kenne natürlich auch das Bedürfnis, „unter Gleichgesinnten“ zu sein, die die richtigen politischen Ansichten schon haben. Aber der Weg in den politisch korrekten, sicheren Raum ist der falsche. Er führt in die Isolation. Es muss uns aber darum gehen den isolierenden Ring, der um unsere Partei liegt, zu sprengen. Und das heißt eben auch, sich immer zu fragen: Wie müssen wir sein, wie müssen wir auftreten, wie müssen wir Feste feiern, wie müssen wir unsere politische Arbeit organisieren, damit unsere Partei die Heimat eines Maurers, einer Erzieherin, einer Altenpflegerin sein kann. Schlager und Indie, Bratwurst und vegane Suppe müssen sich jedenfalls nicht ausschließen. Für Leute wie mich, die das Privileg hatten, an einer Universität studieren zu können, heißt das aber immer: Bereitschaft aufbringen, sich diese Fragen immer wieder zu stellen.
5. Eine Linke ohne Komplexe, eine Linke des Bruchs
Eine linke Volkspartei ist sozialistisch, ohne Komplexe zu haben, wie es die Genossinnen und Genossen der belgischen PTB sagen. Sie bricht mit dem Weiter-so. Das heißt nicht, politische Bündnisse grundsätzlich abzulehnen. Das wäre töricht, denn ohne Bündnisse kann man das Land nicht verändern. Und Bündnisse tun auch deshalb weh, weil man in ihnen Kompromisse macht. Aber es heißt zu zeigen, dass man nicht zum Kartell der Establishmentparteien gehört, das dem Bürgertum zuarbeitet. Darum ist es so wichtig, klar und deutlich die Kritik an der Politik der anderen Parteien auszuarbeiten und eine ebenso klare Alternative anzubieten.
In einer Arbeit der Zuspitzung muss es darum gehen, deutlich zu machen, was eigentlich vollkommen anders wäre, wenn wir das Land regieren könnten. Aus dem Bruch mit dem Weiter-so müssten wir also eine Vision für das Land erarbeiten, die jeder Genosse und jede Genossin auch im Fahrstuhl oder in der Kneipe jemanden erklären kann. In drei Minuten. „Wenn wir Deutschland 2030 regieren würden, dann würden wir…“. Und dann käme, welche wichtigen Reformen wir gemeinsam mit wem im Land durchsetzen wollen – und auch, weshalb es wichtig dafür ist, dass Menschen selbst aktiv werden, weil das gegen die Mächtigen eben nur gemeinsam geht.
6. Eine sozialistische Volkspartei kommentiert nicht nur, sondern packt an
Eine linke Volkpartei strahlt eine ausgeprägte Bessermacher- und Anpackermentalität aus. Sie muss die klarste und härteste Opposition gegenüber dem Kartell der Enttäuscher und Rechten sein. Sie muss aber auch zeigen, wie es besser ginge, verdeutlichen, dass man es besser könnte – und es, wo die Mehrheiten dafür da sind, es auch zu tun.
In diesem Sinne muss sie auch Gestaltungspartei sein, wie Jan Schlemermeyer meint[8]. Hoffnung, die Die Linke laut Jan van Aken den Menschen machen sollte[9], entsteht immer aus konkreten Kämpfen, aus Auseinandersetzungen, in denen es wirklich um etwas geht. Beides – Kämpfe und Gestaltung – gehören zusammen. Es gibt Opposition, die viel gestaltet und es gibt Regierungsparteien, die nichts auf die Kette bekommen. Es geht also nicht um die Form, es geht darum, was man tut und tun kann. Aber eine linke Volkspartei muss ausstrahlen, dass sie regieren will. Nicht irgendwie, sondern gemeinsam mit den arbeitenden Menschen im Land, ihnen loyal gegenüber, gegen diejenigen, in deren Händen sich der Reichtum und die Macht ballen. Es ginge um eine Regierung des Volkes – für die Leute und mit den Leuten. Und auch dann, wenn es die Mehrheitsverhältnisse gerade nicht hergeben, muss es heißen: „Für eine Regierung, die den Leuten dient, suchen wir Partner – für was anderes sind wir nicht zu haben!“
7. Mit denen zusammenarbeiten, die sich engagieren, und die ansprechen, die es nicht tun
Eine sozialistische Volkspartei muss wie ein Trüffelschwein dem auf der Spur sein, was in unserem Land gährt. Wo die Menschen zufrieden sind, bricht nichts auf. Und ohne Menschen, die sich selbst engagieren, kann man Probleme nicht lösen. Ohne sie kann es keinen Fortschritt geben. Nicht für die arbeitenden Familien und auch für all diejenigen nicht, die sich für Gleichberechtigung einsetzen. Belegschaften, die für ihre Rechte streiten, und ihre Gewerkschaften, sind für Die Linke deshalb ganz besonders wichtig. Es stimmt, wie Ulrike Eifler[10] oder Bernd Riexinger[11] wiederholt ausgeführt haben, dass Die Linke sie stärken und mitaufbauen muss. Gewerkschaften sind, wie Rosa Luxemburg einmal sagte, die organisierte Gegenwehr der Lohnabhängigen gegenüber den Übergriffen des Kapitals, und darum eine Schule des Klassenkampfes. Und sie legen das Fundament für eine kommende bessere Welt. Darum ist es für eine linke Volkspartei so wichtig, dass möglichst viele ihrer Mitglieder selbst gute Kollegen im Betrieb sind, die in der Gewerkschaft aktiv dabei sind. Ähnlich ist es mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen, ob für die Verringerung von CO2-Schadstoffen, die zur Erderhitzung beitragen, oder gegen den Faschismus. Eine linke Partei sucht die Zusammenarbeit und die respektvolle Diskussion über Gemeinsamkeiten und Meinungsverschiedenheiten, über gemeinsame Wege und die Frage, wie eigentlich gute Reformen aussehen würden, die Menschen in Bewegung sich wünschen. In diesem Sinne ist sie immer eine Partei der Bewegungen. Aber sie vergisst auch nicht, dass die übergroße Mehrheit der Menschen im Land sich niemals in einer Bewegung engagieren, auch nicht in einer Gewerkschaft. Und auch sie muss sie im Auge haben. Deshalb ist eine zuspitzende, zugängliche, Gefühle ansprechende populäre Öffentlichkeitsarbeit und Massenpolitik entscheidend. Für eine sozialistische Volkspartei sind Bewegungsorientierung und populäre Massenpolitik deshalb zwei Seiten derselben Medaille.
8. Gegen die politische Oligarchie, für mehr Demokratie
Eine sozialistische Volkspartei kämpft dafür, das Leben der arbeitenden Familien zu verbessern und deshalb eine neue Wirtschaft aufzubauen, die dem Gemeinwohl und nicht den Profiten dient. Aber dabei hat sie mächtige Gegner – Regierungsparteien, Konzerne, Medienmonopole. Eine schmale Elite setzt ihre Interessen durch, indem sie Parteien unter Druck setzt, Politiker kauft, Meinung macht. Das enttäuscht Menschen und es höhlt selbst die liberale Demokratie aus. Die Verteidigung der Demokratie und ihre Ausweitung sollten deshalb im Mittelpunkt unserer Politik stehen, ähnlich, wie es auch Judith Dellheim[12] vorschlägt. Deshalb wehren wir auch alle Angriffe auf die von unten erkämpften Errungenschaften unserer Republik ab, ob nun gegen den Rechtsruck der Establishmentparteien oder gegen AfD und Co. Für mehr Demokratie zu kämpfen heißt allerdings auch, „die Eigentumsfrage“ zu stellen. Denn so lange es eine enorme Ballung von wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger Familien gibt, können sie die demokratische Volkssouveränität kaputt machen. Eine sozialistische Volkspartei kämpft gegen diese Oligarchisierung und setzt sich dafür ein, dass die Leute zuerst kommen – nicht die Konzerne.
9. Eine sozialistische Volkspartei schützt die Menschen vor der Erderhitzung
Angesichts der zivilisationsbedrohenden Katastrophe, die aus der absehbaren Erderhitzung folgen würde, angesichts der schlimmen Folgen für unsere Gesundheit, für die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter, für die Ärmsten und Verletzlichsten, brauchen wir eine Umweltpolitik für das Volk, wie unsere norwegischen Genossen das nennen. Es geht um Menschenschutz, um gute Lebens- und Arbeitsperspektiven und für ein sicheres (Über-)Leben auf diesem Planenten. Nennen wir es ein kräftiges grünes Rot[13]. Eine linke Partei, die sich der drohenden Gefahr der Zerstörung unserer materiellen Lebensgrundlagen nicht stellt, kann keine Zukunft haben[14]. Wie ich an anderer Stelle dargestellt habe[15], gibt es dafür auch eine soziale Basis.
10. Die Fragen beantworten, die die Menschen stellen
Eine sozialistische Volkspartei muss zu allem sprechen können, was die Menschen wirklich bewegt. Was an Hunderttausenden Abendbrottischen, in den Umkleidekabinen der Sportvereine und im Pausenraum auf Arbeit besprochen wird, kann uns eben nicht egal sein – vielmehr muss das Ziel sein, selbst den Gesprächsstoff zu liefern. Deshalb hat das Netzwerk Progressive Linke einfach recht, wenn es uns zur inhaltlichen und programmatischen Klärung auffordert, um frische und überzeugende Ideen zu entwickeln[16]. Wir müssen in allen Fragen, die für unsere Leute drängend sind, vor Ort, in der Region und auf Bundesebene, in der Lage sein, eine klare Alternative zu sein. Das geht am besten, wenn wir gleichzeitig wenige Arbeitsschwerpunkte gemeinsam verfolgen, wie z.B. auch Janis Ehling vorschlägt[17]. Klingt paradox, ist es aber nicht. Wenn wir uns auf wenige Schwerpunkte konzentrieren, erarbeiten wir uns ein stabiles Fundament und dringen öffentlich überhaupt erst wieder durch. Oder mit einem Bild aus dem Sport: Dann gewinnen wir ein sicheres Standbein, um mit dem zweiten improvisieren zu können. Und dabei ginge es dann um das Wesentliche, nicht um jede Kuh, die von den Medien durchs Dorf getrieben wird: Es gibt keine andere Partei, die Gemeinwohl und Gleichheit in den Mittelpunkt der Politik stellt – Die Politik der SPD Hand in Hand mit den Wirtschaftsmächtigen scheitert. Es gibt keine andere Partei, die die Erderhitzung bekämpfen will, um die Menschen zu schützen – Die Politik der Grünen Hand in Hand mit den Wirtschaftsmächtigen scheitert. Es gibt keine andere Partei, die sich für Sicherheit, Kooperation, Deeskalation und eine neue Entspannungspolitik in den internationalen Beziehungen einsetzt, bei der nicht über die Köpfe „kleiner“ Länder wie der Ukraine, Finnlands, Palästinas oder Boliviens verhandelt wird – alle anderen Parteien machen sich, Die Grünen und das Bündnis Sahra Wagenknecht voran, unter dem Deckmantel von Frieden oder Freiheit gemein mit einem imperialen Aggressor. Es gibt keine andere Partei, die für eine Vertiefung der Demokratie und gegen die Zerstörung demokratischer Errungenschaften kämpft – alle anderen Parteien scheitern daran oder verschärfen die Faschisierung im Land, weil sie Konzerninteressen bevorzugen und so den gesellschaftliche Zusammenhalt zerstören[18], Menschen enttäuschen und/oder Hass und Vorurteile schüren.
11. Arbeiter und Angestellte gezielt stärken und zum Gesicht unserer Partei machen
Ich bin in einer Familie von angelernten Arbeitern aufgewachsen, der ich fast alles verdanke – aber ich habe einen Doktortitel, konnte lange lernen und führe ein relativ privilegiertes Leben. Als meine Mutter so alt war wie ich heute, war ihr Körper von der schweren Arbeit, die sie ihr Leben lang getan hat, kaputt. Ich habe keine Ahnung davon, wie sich das anfühlt. Auch nicht davon, wie es ist, wenn man, wie meine Cousine, unter großem Zeitdruck und für wenig Geld alte Menschen pflegt. Das sind proletarische Erfahrungen, die ich nur aus Erzählungen kenne. Prägend und führend sind in unserer Partei Leute wie ich – zumindest in den Debatten und in Spitzenpositionen. Ich überspitze ganz bewusst. Unsere Parteivorsitzenden haben studiert. Jan van Aken ist Doktor der Biologie, Ines Schwerdtner ist Anglistin. Ulrike Eifler, die Sprecherin der BAG Betrieb und Gewerkschaft, hat studiert, arbeitete dann für die Gewerkschaft, hat eine Dissertation geschrieben. Der Landessprecher aus Bremen, Christoph Spehr, ist ein überaus kluger Intellektueller. Meine Landessprecherin Franziska Junker, die als Betriebsrätin im Hafen arbeitet, ist eher eine Ausnahme. Studierte haben immer einen Beitrag zur sozialistischen Bewegung geleistet. Salvador Allende, Rosa Luxemburg, Karl Marx, Otto Bauer, Rossana Rossanda oder Clara Zetkin haben sich nicht hochgearbeitet, sie stammten aus kleinbürgerlichen oder sogar bürgerlichen Familien. Eine sozialistische Volkspartei braucht diese Menschen, aber sie muss sich darum bemühen, dass Arbeiter und Angestellte nicht nur Anhänger und Mitglieder werden. Sie müssen führend sein, nicht nur, aber doch weitaus häufiger als es heute der Fall ist – und in der Vergangenheit gewesen ist (man denke an die promovierte Philosophin Wagenknecht, den Physiker Lafontaine, den Juristen Gysi oder den Kulturwissenschaftler Lothar Bisky). Um in einer Partei wirken zu können, braucht es politische Bildung und vielen Menschen wurde diese vorenthalten. Für eine sozialistische Volkspartei würde es zum A und O gehören, Krankenpflegerinnen oder Verkäuferinnen darin zu unterstützen, Verantwortung zu übernehmen, für die Partei zu sprechen, sie zu leiten. Das klingt einfach, ist aber das Schwere, weil wir damit viel zu wenig Erfahrung haben, die wir gemeinsam ausgewertet haben.
[1] Michael Brie (2022): Das Ziel muss eine linke Volkspartei sein. In: https://www.jacobin.de/artikel/das-ziel-muss-eine-linke-volkspartei-sein-michael-brie-pds-wasg-die-linke-linkspartei
[2] Mario Candeias (2017): Eine Frage der Klasse. In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/eine-frage-der-klasse-neue-klassenpolitik-als-verbindender-antagonismus/; Michael Brie/Cornelia Hildebrandt (2015): Solidarische Mitte-Unten-Bündnisse. In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/solidarische-mitte-unten-buendnisse/
[3] Das meint auch Ina Leukefeld (2024): Auf der Suche nach der Welt von morgen. https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/welt-von-morgen/
[4] So ähnlich sieht es auch Edith Bartelmus-Scholich (2024): https://www.links-bewegt.de/de/article/876.erneuerung-nach-dem-wahlschock.html
[5] Michael Brie/Cornelia Hildebrandt (2015): Solidarische Mitte-Unten-Bündnisse. In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/solidarische-mitte-unten-buendnisse/
[6] Eva von Angern/Monika Hofmann (2024): Somme, Sonne, Sozialismus. In: https://www.links-bewegt.de/de/article/884.sommer-sonne-sozialismus.html
[7] Ines Schwerdtner (2024): Für einen Kurswechsel. In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/fuer-einen-kurswechsel/
[8] https://x.com/schlemermey1/status/1810956922335437214
[9] Jan van Aken (2024): Fünf Punkte, um zu linker Politik zurückzufinden. In: https://www.freitag.de/autoren/jan-van-aken/linke-tief-bei-europawahl-fuenf-punkte-um-zu-linker-politik-zurueckzufinden
[10] Ulrike Eifler (2022): Die Linke braucht einen Klassenkompass. In: https://betriebundgewerkschaft.de/die-linke-braucht-einen-klassenkompass/
[11] Bernd Riexinger (2022): Thesen zur inhaltlichen und praktischen Weiterentwicklung der LINKEN. In: https://www.links-bewegt.de/de/article/513.thesen-zur-inhaltlichen-und-praktischen-weiterentwicklung-der-partei-die-linke.html
[12] Judith Dellheim (2024): Die Erneuerung der Linken entscheidet über ihre Zukunft. In: https://www.links-bewegt.de/de/article/895.die-erneuerung-der-linken-entscheidet-über-ihre-zukunft.html
[13] Bernd Riexinger (2020): System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal. Hamburg.
[14] Luigi Pantisano (2024): Lasst uns mutig sein. In: https://www.links-bewegt.de/de/article/881.lasst-uns-mutig-sein.html
[15] Thomas Goes (2024): Hat der Ökosozialismus eine Basis? In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/hat-der-oekosozialismus-eine-basis/
[16] Netzwerk Progressive Linke (2024): Brief an den Parteivorstand. In: https://progressive-linke.org/wp-content/uploads/2024/07/Netzwerk-Progressive-Linke-Brief-an-den-PV-250624-A.pdf
[17] Janis Ehling (2024): Brutale Niederlage. In: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/brutale-niederlage/
[18] Gabi Zimmer/Judith Dellheim/Diether Hausold/Michael Brie (2024): Gelingt die Erneuerung als demokratisch-sozialistische Partei? https://www.links-bewegt.de/de/article/878.gelingt-die-erneuerung-als-demokratische-sozialistische-partei.html