Kein „Querdenken“ mit Nazis!
- Christine Buchholz / René Paulokat
"Querdenken“ wurde im April vom dem Stuttgarter IT-Unternehmer Michael Ballweg gegründet und kritisiert die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 als „diktatorischen“ Entzug von Freiheiten. Die wirtschaftlichen Folgen dieser Maßnahmen sind aus Sicht von „Querdenken“ schwerwiegender als die Folgen einer Infektion für die Gesundheit. Sozialpolitische Forderungen, etwa nach finanzieller Hilfe für Menschen, die unter der Pandemie wirtschaftlich leiden, erheben die "Querdenker" hingegen nicht.
Mittlerweile hat „Querdenken“ den Schritt von einer Initiative zur Bewegung gemacht und veranstaltet über die regelmäßigen Demos in Stuttgart hinaus inzwischen auch bundesweit ähnliche Protestaktionen. Am 1. August nahmen 30.000 bis 50.000 Menschen an der Demonstration in Berlin teil. Sie hatte das Ziel, die „Querdenken“-Bewegung zu einen, und tatsächlich stiegen danach die Teilnehmendenzahlen um ein Vielfaches an – selbst an Orten, die zuletzt kaum mehr als ein Dutzend Teilnehmer*innen zu verzeichnet hatten. Am 15. August waren in Hamburg rund 3.000, in Stuttgart rund 2.000 und in Dortmund rund 5.000 Menschen auf der Straße.
Für den 29. August ruft „Querdenken“ jetzt unter dem Slogan „Berlin invites Europe“ erneut zu einer Demonstration nach Berlin auf.
Keine Abgrenzung nach Rechts
AfD- und NPD-Mitglieder, Reichsbürger*innen und andere Neonazis können problemlos bei „Querdenken“ mitmachen. Faschismus und Rassismus erscheinen so als „Meinungen“, die eben zu akzeptieren seien. So schreibt „Querdenken“ in einem Manifest über sich selbst: „Wir sind überparteilich und schließen keine Meinung aus." Ballwegs Parole zur Einheit von "Querdenken" ist: „Where we go one, we go all“ – ein Slogan von „QAnon“, einer antisemitischen Verschwörungstheorie. Im Stakkato wird formuliert, „wir sind nicht rechts, wir sind nicht links, wir sind für die Freiheit, Frieden und das Grundgesetz“. Als Gegner werden „das Merkelregime“, „die Mainstreampresse“ oder eine unterstellte „Impfpflicht“ genannt.
Durch diese simplen Erklärungen wird „Querdenken“ zum Anziehungspunkt für Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen, die in der Pandemie einen geheimen Plan zur Kontrolle der Welt sehen („New World Order“, NWO), und die die vorhandene Verunsicherung nutzen, um ihre wirren Ideen zu verbreiten. Solche Mythen bereiten den Boden für rechte, antisemitische und nationalistische Erzählungen. Diese Anschlussfähigkeit gehört zum Konzept von „Querdenken“.
Allen gemeinsam ist ein klares Feindbild: Politik, Wissenschaft und insbesondere bürgerliche Medien. Der Ruf „Lügenpresse“ ist allgegenwärtig, wo Fernsehkameras auftauchen. Der überwiegende Teil der Demonstrierenden stimmt offensichtlich der Strategie der Organisator*innen zu, die auf der Demonstration keine Distanzierungen nach Rechts zulassen wollen, wie auf der Großdemo in Berlin fortwährend von den Lautsprecherwagen beschworen wurde: „Wir sehen hier einige Reichsfahnen. Das wird für die Presse wieder ein Anlass sein, von Rechten, Verschwörungsideologen und Antisemiten auf der Demo zu sprechen. Aber wir lassen uns nicht spalten. Die wahren Faschisten sitzen in der Regierung.“
Neonazis beteiligen sich ungestört
Von dieser Willkommenskultur für Rechte wurde auf der Demo am 1. August in Berlin auch munter Gebrauch gemacht: Die faschistische Rechte war bis hinein in das terroristische Spektrum dabei, so auch Martin Wiese, der 2003 mit weiteren Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf die Veranstaltung zur Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums in München plante. Außerdem organisierte Neonazis aus NPD, Identitärer Bewegung, Compact, AfD, bekannte Holocautleugner*innen, Reichsbürger*innen mit Fahnen und Nazi-Hooligans. Grazianis „Patriotic Opposition Europe“ und „Corona-Rebellen“ fuhren gemeinsam auf einer Art Love-Parade-Partytruck. Reichsbürger*innen werben sogar ungestört bei den bundesweiten „Querdenken“-Demos für ein Referendum zur Abschaffung des Grundgesetzes.
Taktik der AfD und der „Identitären“
Die AfD, die sich durch die großen antifaschistischen Mobilisierungen und interne Machtkämpfe in der Krise befindet, nutzt die Bewegung, um sich als parlamentarischer Arm der Corona-Leugner*innen zu präsentieren. Insbesondere Akteur*innen aus dem neofaschistischen Flügel der AfD riefen zu „Querdenken“ auf.
Die Taktik der faschistischen Rechten innerhalb und außerhalb der AfD ist, ihren Einfluss in der Bewegung auszubauen, ohne sie sichtbar zu dominieren. Der Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner, gibt die Taktik aus, aktiv aber unaufdringlich bei „Querdenken“ teilzunehmen, „Leute zu rekrutieren, […] Widerstandsnester aufzubauen“, „um das Wachstum der Bewegung durch sichtbare und damit kritisierbare rechte Positionen möglichst wenig zu stören, bis die Bewegung groß genug geworden ist. Erst wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen der Pandemie spürbar werden, sei die Zeit gekommen, um ein „latent identitäres Potential dieser Proteste zu testen und zu aktivieren“. Von einem Austausch mit Bodo Schiffmann (Widerstand 2020 und „Querdenken“ Kopf) weiß Sellner zu berichten, „dass die Basis dieser Bewegung nicht wünscht, dass man vor diesem Tabu [Migrationskritik] langfristig halt macht.“
Derzeit herrscht bei Identitärer Bewegung (IB) und AfD noch taktische Zurückhaltung, die Bewegung mit ihren rassistischen Themen „Migration“, „Islam“ und „Bevölkerungsaustausch“ zu dominieren. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) berichtet, dass einige Neonazis weniger mit klaren rassistischen, faschistischen Parolen aufgetreten sind und darum nicht leicht erkennbar waren. Nach dem Mobilisierungserfolg des 1. August wiesen allerdings vermehrt Redebeiträge am darauffolgenden Wochenende bei „Querdenken“-Demonstrationen in Stuttgart, Dortmund und Augsburg unzweideutig in diese rassistische Richtung. Thomas Bauer (Oberleutnant a.D.) sagte auf der Kundgebung am 8. August in Stuttgart: „Massenhafte Zuwanderung von schlecht bis gar nicht ausgebildeten Fachkräften werden zusätzlich die Sozialkassen und den Mittelstand, der die ganze Party finanziert, weiter belasten. […] Wahlen werden rückgängig gemacht. [...] Ich unterbinde religiöse soziale Treffen und versuche den Menschen den Glauben zu nehmen. Die Medien forme ich so um, dass jeder, der mir nicht huldigt, gebrandmarkt wird. […] Durch geschickte Medienmanipulation kann ich jetzt endlich Reiche noch reicher machen.“
Aufbaufeld für Faschist*innen innerhalb und außerhalb der AfD
Am 29. August mobilisiert "Querdenken" erneut nach Berlin. Entsprechend dem Motto „Berlin invites Europe – Fest für Freiheit und Frieden“ wird europaweit mobilisiert. Busreiseunternehmen stellen wichtige Infrastruktur für die Anreisen zur Verfügung. Auch Neonazis und Faschist*innen werden die Gelegenheit nutzen: Höcke ruft bereits in einer Videobotschaft zur Teilnahme am 29. August auf: „Leisten Sie diesen Dienst für Ihr Land“. Es ist davon auszugehen, dass mehr gewaltbereite Nazis teilnehmen werden.
Wie die Pegida-Bewegung ist die „Querdenken“-Bewegung ein Aufbaufeld für die Faschist*innen innerhalb und außerhalb der AfD. Die AfD versucht aus ihrem Umfragetief herauszukommen und auf ein Thema zu setzen, mit dem sie neue Milieus erreichen kann. Faschist*innen außerhalb und innerhalb der AfD verbinden das mit der Erwartung, neue Kräfte für den Aufbau einer rechten Straßenbewegung zu gewinnen. Um das zu verhindern, brauchen wir breit getragene Gegenproteste.
DIE LINKE muss Teil der Gegenbewegung sein
In Berlin organisiert sich auf Initiative von Aufstehen gegen Rassismus ein Bündnis unter Beteiligung von DGB, ver.di, SPD, Omas gegen Rechts, unteilbar, campact, VVN und Anwohnerinitiativen. Im Aufruf für die Gegenproteste zum 29. August „Solidarität statt Schulterschluss mit Nazis“ schreibt Aufstehen gegen Rassismus: „Wir alle brauchen gerade in der Pandemie soziale Sicherheit und Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung für alle. Dafür und vieles mehr sind solidarische Kämpfe möglich und nötig. Hetze gegen Sündenböcke von Nazis und Rassisten ist fehl am Platz!"
Inwieweit „Querdenken“ weiter wachsen und einen Nährboden für die faschistische Rechte bieten kann, ist auch davon abhängig, wie stark der Gegenprotest ausfällt. Als LINKE können wir nicht zulassen, dass Neonazis ungehindert aufmarschieren und ihre faschistische Ideologie verbreiten können. Deshalb ist es wichtig, als LINKE aktiver und sichtbarer Teil der Proteste gegen den Schulterschluss von „Querdenken“ mit der AfD und anderen Neonazis zu werden.
Es ist an uns allen: DIE LINKE muss ihre soziale Kritik an der Bundesregierung sichtbarer machen, intensiv mobilisieren und solidarische Antworten auf die durch Covid-19 aufgeworfenen Fragen liefern, damit die Reichen und die Konzerne für die Kosten der Pandemie aufkommen und nicht die große Mehrheit der Bevölkerung.
Die Demonstration ist am 26. August von der Berliner Versammlungsbehörde aufgrund zu erwartender Verstöße gegen die Infektionsschutzverordnung verboten worden. Es wird sich jedoch zeigen, ob das Verbot Bestand haben wird. Unabhängig davon, hat die bisherige Mobilisierung viel über den Charakter dieser Bewegung offenbart.