Debatte

Der Zukunft zugewandt

Eine Einladung zur Diskussion über die zukünftige Parteiarbeit im Osten

Die Linke hat bei der Bundestagswahl 2025 einen großen Erfolg erzielt und ist mit 8,77 % in den Deutschen Bundestag eingezogen. Nach einer Serie von Wahlniederlagen kann das Ergebnis nicht hoch genug geschätzt werden. Auch, weil die Vorzeichen denkbar schlecht waren. Die neue Parteispitze war erst wenige Tage im Amt, als die Ampel zerbrach und nun im Eiltempo ein Wahlkampf organisiert werden musste. In den Umfragen standen wir im November wie zementiert bei rund drei Prozent. Es drängt sich die Frage auf, wo die Gründe für den Wahlerfolg lagen und was sich daraus für die Landesverbände der Partei lernen lässt?

Ganz klar: Es ist nicht der eine Grund, der die grandiose Aufholjagd unserer Partei bis zur Bundestagswahl erklären kann. Vielmehr war es ein Mix aus vielen verschiedenen Faktoren, ein klarer Plan, der von allen gemeinsam getragen wurde und das richtige politische Gespür. Vier Punkte, die in den letzten Monaten besonders wichtig waren, sollen zu Beginn herausgestellt werden

1. Fokus auf Themen am Zahn der Zeit

Im Rahmen einer Vorwahlkampagne wurden in Haustürgesprächen gezielt nach den Themen gesucht, die die Menschen bewegen. Dieses Vorgehen hat unsere Glaubwürdigkeit enorm erhöht. Denn wir waren die Einzigen, die nicht nur über, sondern mit den Menschen gesprochen haben. Mit den Themen Miete und Preise hatten wir zwar nicht die Themen, über die medial am meisten gesprochen wurde, aber die Themen, die die Menschen in ihrem Alltag wirklich bewegen und bei denen Veränderung am dringendsten benötigt wird.  

2. An die Haustüren – ab ins Internet

Unser Erfolg lässt sich auch darin begründen, dass wir unsere Wahlkampfmethoden erweitert haben. Neben den klassischen Instrumenten sind wir stärker als bisher in die direkte Kommunikation mit den Menschen gegangen. Und das sowohl digital als auch analog. Innerhalb weniger Wochen schafften es viele tausend Genoss*innen, an über 600.000 Haustüren zu klingeln. Der direkte Draht zu den Menschen wurde honoriert. Der zweite zentrale Baustein in Sachen direkter Kommunikation waren die sozialen Medien. Reden wurden millionenfach geklickt, Videos geteilt – um die Partei entstand ein regelrechter Hype, der uns zu der stärksten Partei bei jungen Menschen machte.[1]

3. Einfache Botschaften

Zu oft haben wir in der Vergangenheit unsere richtigen politischen Botschaften in komplizierte Formulierungen gepackt. Bei dieser Bundestagswahl gab es ein radikal anderes Vorgehen: unsere Erzählungen waren gut verständlich, haben dennoch unsere klare Positionierung als Klassenpartei zum Ausdruck gebracht und obendrein deutlich gemacht, was konkret die Leute von uns erwarten können. Mit dieser Kampagne haben wir uns von den anderen Parteien unterschieden.

4. Aktivierung der Mitglieder.

Mit den Strategien, auf Haustüren und Soziale Medien zu setzen, konnten wir nicht nur unsere Mitglieder aktivieren, sondern haben auch im Wahlkampf zehntausende neue Mitglieder gewinnen können. Ein Posting mit einem Bekenntnis zur Partei oder die Teilnahme an Haustürgesprächen waren niedrigschwellige Angebote zum Mitmachen. Auch für neue Mitglieder. Damit haben wir den Grundstein für die erfolgreiche Arbeit der Zukunft gelegt.

Neben diesen Faktoren haben noch weitere dazu beigetragen, dass die Bundestagswahl für Die Linke ein großer Erfolg war.[2] Nun gilt es, die strategischen Überlegungen zu verstetigen und neben einer schlagkräftigen sozialistischen Partei auf Bundesebene auch die Arbeit in den Landesverbänden neu zu beleben. Insbesondere trifft das auf die Landesverbände unserer Partei im Osten zu. Wir stehen hier nach einer Reihe von Wahlniederlagen vor enormen Umbrüchen. Die Zahl kommunaler Abgeordneter hat sich bei den vergangenen Kommunalwahlen vielerorts mehr als halbiert. Die Folge ist klar: Die Partei muss ihre Rolle neu finden, Landesverbände müssen anders aufgestellt und Aufgaben anders verteilt werden. Eins hat die Bundestagswahl gezeigt: Die Landesverbände im Osten brauchen eine klare Strategie, damit Die Linke wieder zu einer gesellschaftlichen Kraft wird, an der kein Weg vorbeiführt. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist genau jetzt ein guter Zeitpunkt, diese Strategie zu arbeiten. Bis zu den nächsten Kommunal- und Landtagswahlen sind voraussichtlich einige Jahre Zeit. Lasst uns diese Zeit nutzen und nun das Fundament unserer künftigen Arbeit legen.

Diese Aufgabe ist kein Selbstzweck. Wer, wenn nicht wir, soll mit konsequenter Haltung und sozialer Politik die Faschisten von der Macht fernhalten? Gemeinsam mit Gewerkschaften, Vereinen, Verbänden und vielen weiteren Akteuren ist es unsere Aufgabe, sich dem weiteren Rechtsruck in den Weg zu stellen und für eine solidarische Gesellschaft zu streiten. Wir sind die soziale Kraft im Land, die sich den Sorgen der Menschen annimmt, in Stadt und Land gegen die Nazis kämpft und die Demokratie verteidigt. Wenn alle anderen weiter spalten, organisieren wir in den Kreis- und Ortsverbänden Mehrheiten im Kampf gegen die da oben zusammen. 

Um dies zu erreichen, plädiere ich dafür, die strategischen Ansätze der Bundespartei auch auf die Landesverbände zu übertragen und in den kommenden Jahren den Parteiaufbau voranzutreiben, die gesellschaftliche Verankerung zu stärken und in der Fläche Relevanz zurückzugewinnen. Die Aufgaben, die vor uns liegen sind kein Sprint, sondern vielmehr ein langer Weg, der nur im Kollektiv aus erfahrenen Genoss*innen, neuen Mitgliedern, Ehrenamtlichen und Mandatsträger*innen gelingen kann. Dabei ist es Aufgabe der Landesverbände, Leitplanken vorzugeben und die Genoss*innen an der Basis zu befähigen, Ideen umzusetzen und die Parteiarbeit von unten neu zu beleben. Ziel sollte eine Linke sein, die vor Ort kämpft und organisiert und konkret im Alltag den Unterschied macht. Ich schlage zur Operationalisierung dieses Prozesses 8 Punkte vor, die teilweise aufeinander aufbauen oder miteinander verschränkt sind.

1 - Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse

Am Beginn sollte eine Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse im Osten stehen. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung hat die Demokratie im Osten einen schlechten Ruf[3] und in vielen Regionen gibt es eine blau-braune Hegemonie. Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir in den vergangenen Jahren massiv an gesellschaftlicher Verankerung verloren haben. Auf der anderen Seite sind tausende neue Mitglieder in die Partei gekommen, die neue politische Ideen und andere Erfahrungen mitbringen und die in der Linken gegen die veränderte gesellschaftliche Lage kämpfen wollen. Es ist an uns, die aktuellen Situation zu analysieren und unsere Rolle als Partei in Ostdeutschland neu zu bestimmen.

Diesen Schritt sollten die Landesverbände gemeinsam mit der Bundespartei gehen und in einem gemeinsamen Prozess Antworten finden, wie wir als linke Partei in Ostdeutschland zurück zu alter Stärke gelangen. Ohne das zu vergessen, was uns in der Vergangenheit stark gemacht hat, müssen wir an unserer Verankerung im Heute arbeiten und benötigen eine neue gemeinsame Erzählung.

2 - Anti-Establishment Partei

Bei vielen Menschen in Ostdeutschland ist die Skepsis gegenüber Institutionen und Eliten besonders hoch.[4] Zu viele Versprechen wurden nicht eingelöst, Enttäuschungen wurden erlebt. Ein Baustein, als Linke im Osten wieder erfolgreich zu werden, ist es, unsere Rolle als Protestpartei gegen das Bestehende und die politischen Entscheidungsträger*innen zu stärken.

Dazu müssen wir einerseits deutlicher kommunizieren, was uns bereits jetzt von den anderen Parteien unterscheidet: wir nehmen keine Konzernspenden an, wir spenden Diätenerhöhungen. Wir müssen darüber hinaus auch mit zugespitzter Kommunikation die Verfehlungen der herrschenden Klasse offenlegen. Und dabei den Menschen deutlich machen: wir sind an Eurer Seite und kämpfen gemeinsam gegen die da oben. Dieser klassenorientierte Fokus hat uns bei der Bundestagswahl enorm geholfen.

In den USA touren die beiden Senatoren Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders gerade mit einer „Fighting Oligarchy“ Tour (Kampf der Oligarchie) durch das Land. Sie reden vor tausenden Menschen. Dieses Vorgehen sollten wir uns genau anschauen und überlegen, ob und in welcher Form wir das bei uns umsetzen können. Die geplanten Maßnahmen der neuen Bundesregierung werden für die Mehrheit der Menschen mit Einschnitten einher gehen und die Wut auf die Herrschenden vergrößern. Es ist unsere Aufgabe, diese Wut von links zu kanalisieren.

3 - Mitgliedschaft aktivieren und Parteibasis stärken

Eine zentrale Herausforderung für die Landesverbände im Osten wird es, die Mitgliedschaft stärker zu aktivieren und in den politischen Alltag einzubinden. Der Mitgliederzuwachs der letzten Monate ist hierbei eine großartige Chance. Buddy-Programme, mehr politische Bildung oder niedrigschwellige gemeinsame Aktionen wie Haustürgespräche sind konkrete Ideen für eine verstärkte Arbeit an der Basis. Die Landesverbände sollten gemeinsam und auf Augenhöhe mit den Kreisverbänden Ideen erarbeiten und bei der Umsetzung unterstützend zur Seite stehen. Es gilt, dass wir uns als sozialistisches Kollektiv organisieren – und die Parteiarbeit so attraktiv gestalten, dass wir Anlaufstelle für alle Menschen werden, die an einer solidarischen Zukunft arbeiten. Eine starke Parteibasis ist das Fundament, auf dem wir unsere zukünftigen Erfolge bauen. Dabei gilt es im Osten die Herausforderung zu bewältigen, dass bisher von Hauptamtlichen getragene Strukturen durch die Verluste bei den vergangenen Wahlen nun ehrenamtlich gestemmt werden müssen. Bei dieser Aufgabe sollten die Landesverbände die Kreise aktiv unterstützen.

4 - Perspektive für Veränderung schaffen

Einer der zentralen Gründe für unseren Erfolg bei der Bundestagswahl war, dass wir Hoffnung gegeben haben. Wir haben deutlich gemacht, dass mit uns Veränderung möglich ist und wir bereit sind, gesellschaftliche Mehrheiten für die notwendigen Maßnahmen zu organisieren. Jan van Aken hat immer wieder betont, dass es uns beim Mindestlohn gelungen ist, eine Idee Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Landesverbände sollten sich zur Aufgabe machen, solche zentralen politische Themen in ihren Ländern zu ermitteln und für genau diese eine Perspektive auf Veränderung zu erarbeiten. In professioneller Kampagnen- und Netzwerkarbeit gilt es, gesellschaftliche Mehrheiten zu erkämpfen. Auf dass der Mindestlohn Schule macht und wir erneut Gesellschaft zum Besseren verändern!

5 - Mit einer Stimme sprechen - Arbeit der Ebenen harmonisieren

Stark sind wir, wenn wir mit einer Stimme sprechen – und zwar auf allen verschiedenen politischen Ebenen. Das hat die Bundestagswahl eindrucksvoll bewiesen. Es gilt auch in Zukunft, diesen Grundpfeiler des politischen Erfolgs beizubehalten. Ein Ziel der Landesverbände sollte dabei sein, die Arbeit der kommunalen Mandatsträger*innen zu koordinieren, um den Output ihrer Arbeit steigern zu können. Eine Idee ist, ähnliche Anträge in allen Kreistagen einzubringen. Dies erzeugt nicht nur das Bild einer geeinten Partei, sondern ermöglichen – gerade angesichts oftmals kleinerer Fraktionen – eine Arbeitsteilung und schaffen Entlastung. Beispielsweise könnte in allen Kreistagen die finanzielle Unterstützung des Deutschlandtickets beantragt werden. Die Landesverbände sollten für diese kommunalen Musteranträge eine koordinierende Funktion haben und dafür sorgen, dass die entsprechenden Themen auch über die landespolitische Ebene gespielt werden können. Hiermit verdeutlichen wir den Menschen: Wir tragen eure Sorgen in die Parlamente.

Schritt 6: Die richtigen Themen finden – ab an die Haustüren

Bei der Bundestagswahl machte uns unter anderem erfolgreich, dass wir zugehört haben. Auf Bundesebene haben sich dabei schnell die Themen Mieten und Preise als zentral für die Menschen herausgestellt. Es gilt, nun auch die landespolitisch relevanten Themen zu ermitteln, die den Menschen unter den Nägeln brennen und mit denen wir für Veränderung streiten. Diese Themen an den Haustüren und Infoständen zu suchen ist zentral: denn es schafft uns Vertrauen und ist damit ein wichtiger Baustein für den Erfolg. Ich plädiere dafür, in den Landesverbänden die relevanten Themen analog zum Vorgehen der Bundespartei in landesweiten Haustüroffensiven zu ermitteln. Wir verdeutlichen damit, dass wir auch fernab der Wahlen zuhören. Im Anschluss ist es an den jeweiligen Gremien, die Erkenntnisse aus den Gesprächen auszuwerten und in konkrete Kampagnen zu gießen, mit denen wir die Mehrheit entlasten und die da oben ärgern können. In Sachsen und Thüringen sollten die Kampagnen eng mit der Arbeit der Fraktionen abgestimmt sein – so agieren wir noch schlagkräftiger.

7 - Nah bei den Menschen – Die Linke hilft und ist da

Wir sind mit unseren politischen Ideen oft zu weit weg von den Menschen. Ein Schritt, das Vertrauen der Menschen in unser Wirken zu stärken, ist, unseren Status als Kümmererpartei real auszufüllen. Arbeitszusammenhänge wie „Die Linke hilft“ sollten Schule machen, in den Büros sollten Sozialberatungen und Hausaufgabenbetreuung angeboten werden. Wir beleben damit unsere Bürostrukturen und machen sie zu nicht kommerziellen Orten der Begegnung. Darüber hinaus sind lebendige Büros eine Möglichkeit, die Parteibasis zu aktivieren: Genoss*innen dürfen sich mit dem einbringen, was sie können.

Ein ganz konkretes Angebot ist die Küche für alle, die beispielsweise schon jetzt regelmäßig in Bad Salzungen oder Leipzig von Genoss*innen für arme Menschen auf die Beine gestellt wird. Eine weitere Idee sind mobile Büros, bei denen wir auf den Marktplätzen präsent sind. Wir machen es den Menschen damit leichter, mit uns in Kontakt zu treten und zeigen Präsenz in der Fläche. Damit beweisen wir: Wir sind nah an den Menschen, unsere Partei hilft konkret im Alltag.

Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht, vorhandene Hilfsangebote wie der Heizkostencheck oder die Mietwucherapp bekannter zu machen und mehr Menschen zur Nutzung der Angebote zu ermutigen. Eine Aufgabe für die gesamte Partei ist, weitere solche konkreten Möglichkeiten zu suchen, die eine direkte finanzielle Entlastung der Menschen versprechen.

8 - Politik in gesellschaftlichen Konflikten machen

Wir müssen dort präsenter sein, wo gewinnbare gesellschaftliche Konflikte sind. Die Parteiaktivitäten sollten auch danach geplant werden, wo gerade um den Erhalt eines Betriebs oder die Reaktivierung einer Bahnstrecke gekämpft wird. In konkreten Konflikten sollten wir mit aufsuchender Basisarbeit intervenieren – Stichwort: Organizing. Das sichert uns als Partei Glaubhaftigkeit und zeigt: mit uns kann man gewinnen.

Diese beschriebenen Punkte sind ein erster Aufschlag für eine Diskussion über die zukünftige Arbeit der Partei im Osten. Sie sind sicherlich weder vollständig noch abschließend. Aber sie bilden hoffentlich einen Anstoß, gemeinsam darüber zu diskutieren, wie wir in Zukunft wieder erfolgreicher sein können und wie wir gemeinsam die Partei der Zukunft bauen.

[1] Bei der Forschungsgruppe Wahlen sind wir bei den 18-24 jährigen Wähler*innen mit 26% die stärkste Kraft: https://wahltool.zdf.de/wahlergebnisse/2025-02-23-BT-DE.html?i=25[1]

[2] Ausführlich dazu Moritz Warnke in der Wahlauswertung der Rosa-Luxemburg-Stiftung: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/wahlanalysen/RLS_Wahlnachtbericht_BTW_2025.pdf[2]

[3] Oliver Decker et al: Autoritäre Dynamiken und die Unzufriedenheit mit der Demokratie, 2023. https://efbi.de/files/efbi/pdfs/Policy Paper/2023_2_Policy Paper.pdf[3], S. 20

[4] U.a. Steffen Mau: Ungleich vereint, Suhrkamp 2024.

Links:

  1. https://wahltool.zdf.de/wahlergebnisse/2025-02-23-BT-DE.html?i=25
  2. https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/wahlanalysen/RLS_Wahlnachtbericht_BTW_2025.pdf
  3. https://efbi.de/files/efbi/pdfs/Policy Paper/2023_2_Policy Paper.pdf